Bei der Redaktion des vorliegenden Buches fiel uns auf, dass sowohl der Bildessay der Fotografin Anna Leader wie auch die Stills zu Nip/Tuck und zu What’s Up, Doc? ein Wimpernklimpern einfangen – eine Geste, die landläufig als Verschönerung eingesetzt wird. (Stand-)Fotografien können diese Geste jedoch nicht in ihrer Bewegung abbilden – dieses Privileg bleibt dem Medium Film vorbehalten. Wir fragten uns bei dieser Beobachtung: Ist das Klimpern mit den Wimpern symptomatisch für unser Buchthema und für den Versuch, Schönes in Worte zu fassen? Und soll man es mitunter auch als Augenzwinkern verstehen – das heisst: als eine bewusst wiedergegebene und ebenso bewusst wahrgenommene Pose der Schönheit? Die Frage, was nun eigentlich schön ist, ist manchmal schwieriger zu beantworten als ursprünglich gedacht. Oft geschieht dabei eine Brechung, ein Unterwandern, eine Umschreibung der Schönheitsempfindung – als ob die direkte Erfahrung von Schönheit zu rührend, überwältigend und persönlich wäre, um unmittelbar geäussert werden zu können. Das einfache Allerweltswort «schön» kann Verlegenheit wecken, meint es doch oft emotionale Welten und ein absolutes Gefühl. So wird es zum direkten Draht zu Werten wie Reinheit, Erhabenheit, Liebe und dient als Sensor für Sehnsüchte. Zum ersten Mal widmet sich CINEMA einem Adjektiv. «Schön»: So oft wie kaum ein anderes Attribut benützen wir dieses Wörtchen im Alltag. Dabei wird, ähnlich wie die Vergabe von Sternen in Filmkritiken, auch «schön» schnell einmal zum äusserst unpräzisen Werturteil, wenn es nicht ergänzt, erklärt und reflektiert wird. Nachzudenken über das Urteil «schön» bedeutet unweigerlich, sich Gedanken zu machen zur Spontanreaktion und zum eigenen ästhetischen Empfinden, das der radikal subjektiven Perspektive ebenso unterworfen ist, wie modischen Zeitströmungen und kulturellen Prägungen. In CINEMA 53 soll deshalb die formale und inhaltliche Schönheit des Films im Zentrum stehen. Neben den schönen Schwänen bekommen aber auch die hässlichen Entlein und ekligen Biester ihren Auftritt. Eine Doppelseite des Buchs listet Namen von Filmschönheiten auf, die die Redaktion gesammelt hat. Ein kleines Spiel im Selbstversuch: Bei wem lässt sich «schön» mit anderen Attributen wie etwa «attraktiv», «aussergewöhnlich», «anziehend» ersetzen? Bei wem nicht? Und sind diese Menschen anders schön? Verändert sich Schönheit bei näherem Hinsehen? Näher hinsehen tun auch die folgenden Texte. Sie betrachten den Schönheitsbegriff in einem Tagebuchfilm von Jonas Mekas, die filmische Darstellung der Schweizer Landschaft und die Zeitlupe als Stilmittel. Die spröde Alltagsschönheit in DEFA-Spielfilmen kann genauso eine Manifestation des Schönen und der Sehnsucht sein wie filmische Dystopien oder Liebeserklärungen und Happy Ends in Spielfilmen. Der Glanz US-amerikanischer Cheerleader ist ebenso ein Thema wie derjenige italienischer Schönheitsköniginnen. Untersucht werden ausserdem die blitzenden Skalpelle der Schönheitschirurgie in der Serie Nip/Tuck, die versehrten Körper im medizinischen Aufklärungsfilm und die Gewichtszu- und -abnahme als Rollenvorbereitung glamouröser Hollywoodstars. Der Schweizer Kameramann Filip Zumbrunn erzählt im Interview von der Suche nach der geeigneten Bildgestaltung, während Andri Beyelers literarischer innerer Monolog vom scheinbaren Kitsch ins Verstörende kippt. Auch bildlich gehen wir dem Thema nach: Die Illustrationen variieren Hilfskonstrukte, die in frühen Fotografien der Inszenierung schöner Porträts nachhelfen sollten, während die Fotostrecke zerbrechliche Augenblicke der Schönheit einfängt. Die Momentaufnahmen schildern in Bild und Text persönliche filmische Schönheitserlebnisse der Autorinnen und Autoren. Der «Filmbrief» berichtet von Tendenzen des neuen argentinischen Kinos, während die «Sélection» wie immer einen Überblick über das Schweizer Filmschaffen des vergangenen Jahres bietet. Das «CH-Fenster» beleuchtet diesmal die Schweizer Kurzfilmszene und fragt dabei nach der Verknüpfung zwischen Ästhetik und kommerzieller Auswertung. Wir wünschen Ihnen schöne Momente beim Lesen! Für die Redaktion Natalie Böhler
CINEMA #53
SCHÖN
EDITORIAL
ESSAY
SCHÖNE AUSSICHTEN ODER: WARUM DIE ZUKUNFT AUF JEDEN FALL SCHRECKLICH SEIN WIRD
MOMENTAUFNAHME
LOVE IS THE DEVIL: STUDY FOR A PORTRAIT OF FRANCIS BACON (JOHN MAYBURY, GB 1998)
DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS (RAINER WERNER FASSBINDER, BRD 1982)
CH-FENSTER
FILMBRIEF
SELECTION CINEMA
TROPHÄEN DER ZEIT (BARBARA ZÜRCHER, ANGELO A. LÜDINBARBARA ZÜRCHER, ANGELO A)