SONJA WENGER

HIPPIE MASALA (ULRICH GROSSENBACHER, DAMARIS LÜTHI)

SELECTION CINEMA

Spätestens nach einer Viertelstunde Hippie Masala möchte man am liebsten nach Indien auswandern. Zu verlockend erscheint auf den ersten Blick auch heute noch die vermeintliche spirituelle Freiheit jenes Landes, das Ende der Sechzigerjahre ungezählte Europa erinnen und Europa er in seinen Bann gezogen hatte. Es waren so viele, dass die indischen Bauern hinter der Wanderbewegung eine grosse Dürre im Westen vermuteten. Dies dürfte so abwegig nicht gewesen sein, auch wenn es sich, zumindest in der Wahrnehmung der Hippies, wohl mehr um eine spirituelle Dürre gehandelt hatte.

Hippie Masala fragt nach, was nach zwanzig oder dreissig Jahren aus jenen geworden ist, die damals in Indien geblieben sind, und relativiert gleichzeitig einige Idealvorstellungen über «das Paradies Indien». Das Regie-Team Ulrich Grossenbacher und Damaris Lüthi lässt seine Protagonisten ohne Frage-und-Antwort-Spiel einfach erzählen – und dies funktioniert blendend: Während sich die einen selbst gnadenlos entlarven, werden andere als Sympathieträger wahrgenommen. In diesen Momenten wird der Film streckenweise ein wenig voyeuristisch, aber niemals wertend. Es ist dem Publikum überlassen, wer und welche Handlungen an welchen Wertmassstäben gemessen werden.

Gleichzeitig sind es auch gerade diese Momente, die den Film so unterhaltsam machen: Sie lassen einen kichern und auflachen, sie nerven mal – und berühren einen dann wieder tief.

Die Kamera begleitet sechs Menschen, die bereits mehr als die Hälfte ihres Lebens in Indien verbracht haben. Zwischen ihnen besteht kaum eine Verbindung, ausser vielleicht der Konsum von Haschisch, und doch verweben sich die unterschiedlichen Biografien gerade wegen ihrer Gegensätze so harmonisch ineinander. Der Film porträtiert etwa den Italiener Cesare, der als Yogi in einer Höhle lebt und kaum noch als Europäer erkennbar ist, oder den niederländischen Kunstmaler Robert, der es mit seiner jungen Familie zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hat. Die belgische Asketin Meera leidet nach achtzehn Jahren noch immer unter der fehlenden Anerkennung durch die Einheimischen, und Hanspeter aus dem Emmental verheddert sich als Bergbauer auch in Indien in seinen eigenen Widersprüchen.

Viele der ausgewanderten Hippies sind schon nach wenigen Monaten oder Jahren zurückgekehrt, und noch mehr haben sich früher oder später in den ewigen Kreislauf des gesellschaftlichen Konsens integriert, sind Kompromisse eingegangen oder haben ihre Lust auf Anarchie begraben. Für all diese Menschen dürfte Hippie Masala wie ein Jungbrunnen wirken, ernüchternd und melancholisch zugleich.

Sonja Wenger
*1970, ist Auslandredaktorin bei der Wochenzeitung WOZ und schreibt für das Kulturmagazin Ensuite sowie für das Bieler Tagblatt. Sie ist Gründerin der Zürcher Theatergruppe The Take Five Theatre Company und arbeitet freiberuflich als Übersetzerin, Wissenschaftsredaktorin und Malerin.
(Stand: 2011)
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