Experimente waren schon verschiedentlich Gegenstand und Methode von Peter Liechtis Dokumentarfilmen. Er porträtierte experimentierfreudige Künstler (Signers Koffer, CH 1996), probte mit Tonspuren und Aufnahmegeräten herum (Kick That Habit, CH 1989), unternahm Selbstversuche (Hans im Glück, CH 2003) und begleitete Musikerinnen und Musiker auf einem Konzertabenteuer durch Afrika (Namibia Crossings, CH 2004). Liechti nähert sich seinen Sujets auf ganz unterschiedliche Art; Taktik und Technik reichen von präziser Kleinstarbeit mit Mikromikrofonen bis zu ausgedehnten Reisen. Gleich bleibt meistens, dass Film und Filmer am Prozess teilnehmen. Liechti hat ausserdem eine Vorliebe für Musik und Ton, die gemeinsam mit den Experimenten als Gestaltungsmittel, Inhalt, Motiv und Inspiration ein mehrspuriges und -schichtiges Ganzes bilden.
In Hardcore Chambermusic, einem Musikfilm über das Trio Koch-Schütz-Studer, kommen diese Passionen zusammen. Mit einem Experiment stützt Liechti seine These von der «Besten Band der Schweiz»: Im September 2005 wurde in der Alten Schlosserei 12 in Zürich ein «Labor» eingerichtet und damit die Bedingung geschaffen für eine besondere Form der Beobachtung: Hier improvisierten Koch-Schütz-Studer an dreissig Abenden hintereinander – und jedes Mal ein bisschen für Peter Liechti.
Hardcore Chambermusic zeichnet dieses Ereignis auf und vermittelt uns die «aufregende Lebendigkeit und Sinnlichkeit eines Livekonzerts» (Zitat Liechti). Der Film beginnt mit dem Aufbau der Bühne, der erwartungsfroh gespannten Stimmung unter den Musikern und der Ankunft der ersten, noch zurückhaltend wirkenden Besucherinnen und Besucher. Im Verlauf des Monats spielen sich alle Beteiligten ein; die einen spielen, die anderen hören konzentriert zu oder tanzen – alle zusammen reden, trinken und rauchen ziemlich viel (fast schon wünscht man sich einen Film in 5-D, bei dem auch Hitze und Gerüche wahrnehmbar wären). Die sachliche Tagesstruktur löst sich zusehends auf, das Tempo nimmt zu, mehr und mehr gibt sich der Film ganz der Musik hin.
Zwischen den Konzerten überzeugen die Musiker mit Witz und klugen Aussagen, erzählen von der Leere als Voraussetzung für Konzerte, reflektieren ihre Beziehung zur Musik während der Improvisation und analysieren geglückte und weniger gelungene Abende. Auf der Bildebene gibt Hardcore Chambermusic der Musik Farbe und Formen, indem er Licht und Bewegung aufzeichnet, fragmentiert und abstrahiert. Auf der Tonebene konzentriert sich der Film ganz auf die Konzertmusik und -geräusche. Manchmal möchte man sich nur auf die anspruchsvolle Musik einlassen, ohne gleichzeitig einen Film schauen zu müssen. Leicht paradox sind deshalb jene Momente, in denen wir den Konzertbesuchern zuschauen, wie sie beim Zuhören die Augen schliessen. Umso mehr verführt Hardcore Chambermusic zur Musik und zum Konzertbesuch. Auf weitere Versuchsanordnungen.