NICOLA RUFFO

FELTRINELLI (ALESSANDRO ROSSETTO)

SELECTION CINEMA

Das Leben von Giangiacomo Feltrinelli bietet alles, was sich ein Drehbuchschreiber wünscht: Jetset, Liebesgeschichten, Revolution und ein tragisches Ende. 1936 als Spross einer der reichsten Familien Italiens geboren, wird er schon früh getrieben vom Glauben an eine sozialere, gerechtere Welt. Als Partisane, einflussreicher Verleger, politischer Playboy und später radikaler linker Revolutionär kämpft er im Laufe seines Lebens für seine Ideale. Als enger Freund Fidel Castros, Che Guevaras, Boris Pasternaks und Gabriel García Márquez’ beteiligte er sich aktiv auf den politischen Bühnen der Welt. Sein Leben endet jedoch einsam 1972 bei einem missglückten Anschlag auf einen Hochspannungsmast bei Mailand.

Der italienische Regisseur Alessandro Rossetto verwebt in seinem Dokumentarfilm die bewegte Biografie von Giangiacomo Feltrinelli mit einem aktuellen Blick hinter die Kulissen von dessen Buchimperium: La Feltrinelli ist inzwischen nicht nur ein wichtiger Buchverlag, sondern auch eine der grössten Buchhandelsketten Italiens. Überraschend wird der Film, wenn von dem fast aussichtslosen Versuch berichtet wird, die italienischen Arbeiter zu überzeugen, für eine Buchlektüre auf das nächste Fussballspiel der Serie A zu verzichten oder wenn Fidel Castro vor aller Augen für Feltrinellis Lasagne-Rezept schwärmt. Zudem gelingt es Alessandro Rossetto in seinem vierten dokumentarischen Werk mit Liebe fürs Detail, intime Momente aus der heutigen Bücherwelt einzufangen: Vom Schriftsteller auf der Suche nach dem richtigen Wort bis zur Schwierigkeit, ein Werk im Laden nach seinem Cover zu beurteilen, bietet Rossetto dem Zuschauer ungewohnte Einblicke in die Produktion einer Ware zwischen Kunst und Kommerz. Der einzige formale Wermutstropfen ist die Qualität der deutschen Fassung: Die deutschen Untertitel gehen manchmal sehr lax mit dem Original um, und die Vertonung des deutschen Off-Kommentars wirkt etwas lieblos neben der sonst sorgfältig abgemischten Toncollage. Durch die gekonnte Montage von historischem Bildmaterial und sensiblen Handkameraaufnahmen zeichnet der Regisseur ein aktuelles Porträt einer italienischen Familiendynastie im Schatten eines gewichtigen politischen Abenteurers des 20. Jahrhunderts.

Angesichts der gescheiterten Weltverbesserungsversuche seines übermächtigen Vaters übt sich der Sohn Carlo Feltrinelli als jetziger Leiter des Imperiums im pragmatischen Umgang mit der Geschäftswelt. Ein Verleger macht heute keine Politik mehr, sondern Geschäfte mit Papstbüchern. La Feltrinelli soll exemplarisch für die Kommerzialisierung der Kultur stehen. Carlo Feltrinelli sieht sich bei mehreren intimen Stelldicheins mit alten Weggefährten seines Vaters mit dem Vorwurf der unpolitischen Liebe zu Büchern und deren Verkauf konfrontiert. Die Beantwortung der Frage, wo der politische Idealismus geblieben sei, wird der Literaturagentin Carmen Balcella überlassen. Sie beschliesst den Film mit dem Satz: «Allein die Kulturindustrie kann die Menschheit erlösen» – Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Nicola Ruffo
*1979, Studium der Politologie, Filmwissenschaft und Publizistik. Seither mannigfaltiges Patchwork-Berufsleben, u. a. Mitglied der Koordination und Auswahlkommission der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur, Mitglied der CINEMA-Redaktion 2007–2008.
(Stand: 2011)
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