KRISTINA TROLLE

DER CHARME DES ALLTAGS — LATENZ UND IRONIE IN DEFA-SPIELFILMEN

ESSAY

In Spielfilmen der DEFA, der Produktionsgesellschaft der DDR, sind Momente einer Schönheit zu finden, die mit ihrem alltäglichen Erscheinungsbild zu tun haben. Der besondere Blick der Filmemacher für Details und die gesellschaftliche Situation, in der die Filme entstanden und gesehen wurden, sind der Ursprung einer Ästhetik, die durch latente und ironische Elemente ein von der offiziellen politischen Darstellung abweichendes Bild der Gesellschaft zeigt. Am Beispiel von drei Sequenzen aus verschiedenen Filmen möchte ich das Schöne dieses künstlerischen Prinzips beschreiben.

Der Film Berlin um die Ecke (Gerhard Klein/Wolfgang Kohlhaase, DDR 1965/1990) zeigt in einer kurzen Sequenz Olaf und Karin, ein junges Paar, das an einem Sommertag sich sonnend an einem See liegt. Im entfernten Bildhintergrund sind der See mit Segelbooten, Badende, Ball spielende Kinder und Bäume zu sehen. Die Tonspur gibt die passende Geräuschkulisse wieder: ineinander verschwimmende ferne Geräusche von Wind, Motorbooten, Kindergeschrei, Stimmengewirr ... Karin bittet Olaf, ihr etwas zu erzählen, doch Olaf druckst und meint: «Da jibts nüscht!» Also soll er stattdessen beschreiben, was er sieht. Dieser Aufforderung kommt er nach, stützt sich auf, schaut um sich und berichtet langsam und mit Pausen: «N’ Mann kratzt sich am Bauch ... n’ Kind is hinjefallen ... einer springt ins Wasser ... drei Segelboote haben mittelmässigen Wind ... eine Frau isst Kuchen.» Und mit einem Grinsen zu Karin: «... Zwei küssen sich.» Es folgt eine Grossaufnahme von Karin, die mit geschlossenen Augen schlummernd lauscht und bei der letzten Bemerkung zu lächeln beginnt.

Durch die Wahl des Schauplatzes, die nahen und dadurch intimen Kameraeinstellungen sowie das Schildern einer letztendlich ganz alltäglichen Szene entsteht in dieser kurzen Sequenz mit nur zwei Einstellungen eine stille, poetische und banale Schönheit. Ihre dokumentarische Genauigkeit lässt sie den Zuschauer regelrecht nachvollziehen – man kennt solche oder ähnliche Situationen, weil man sie selbst erlebt hat. Sie zeigt einen Sonntag, wie er typisch ist für sommerliche Wochenenden in Berlin. Man fährt raus aus der Stadt, legt sich an einen See, badet, döst und macht sonst nichts weiter. Die erste Einstellung ist in einer Halbtotalen ruhig gehalten. Die Regisseure lassen der Szene genug Zeit und machen so die sensibel eingefangenen Details der Situation am See und zwischen den beiden sichtbar. Im Bildvordergrund sieht man das junge Paar, die Geräusche sind gedämpft, die Hitze und die Sonne scheinen zu drücken, im Hintergrund sind See und Ufer mit anderen Badenden und sich Sonnenden bevölkert. Das Geplänkel der beiden Hauptfiguren ist sowohl neckend und verschmitzt als auch zärtlich. An nur wenigen Worten und Gesten kann man das Aufkeimen der Liebe der beiden füreinander erkennen: die scheinbar harmlose Aufforderung der dösenden Karin, das verlegene Abwehren Olafs, der dann doch charmant und humorvoll die Situation für sich zu nutzen weiss, indem er die scheinbar belanglose Szenerie mit ihren zwar banalen aber vertrauten Momenten beschreibt. Die folgende Grossaufnahme von Karin stützt den privaten Charakter der Szene.

Das detaillierte Nachzeichnen des Alltäglichen ist charakteristisch für eine Vielzahl von DEFA-Spielfilmen. In dokumentarischem Modus und mit Liebe zum Detail zeigen sie an ihren unspektakulären und ungeschönten (Original)Schauplätzen einerseits wie die Normalität in der DDR tatsächlich «aussah», ausserdem thematisiert die Handlung durchaus «langweilige» und «gewöhnliche» Ausschnitte des Lebens. Die Filme entwickeln eine Ästhetik des Profanen, die das Leben zeigt, wie es täglich erfahren wird. Kennzeichnend ist ebenso eine gewisse Beiläufigkeit in der Schilderung von Umständen, versteckte Andeutungen, nicht Ausgesprochenes. Für Filme in der DDR war sowohl seitens der Produktions- als auch der Rezeptionssituation nicht nur wichtig, was sie zeigen, sondern auch, was sie nicht zeigen.

In ihrer Belanglosigkeit erzählt die Sequenz am See, wie Freizeit tatsächlich verbracht wird und nebenbei, dass sie eben nicht unbedingt angefüllt ist mit «sinnvollen» Tätigkeiten einer «sich entwickelnden allseits gebildeten Persönlichkeit», wie es das stets präsente kulturpolitische Anforderungsprofil des sozialistischen Realismus vorgab. Mit diesem Begriff forderte die Kulturpolitik der DDR von den Künstlern, dass sie statt der tatsächlich erfahrbaren gesellschaftlichen Realität einen Idealzustand quasi zur Realität erklären und darstellen.1 In Berlin um die Ecke gehen der geschilderten Sequenz jeweils konfliktreiche und deprimierende Situationen der beiden Protagonisten voraus: Olaf erfährt von seinem besten Freund und Arbeitskollegen, für den er sich während eines Streits an der Arbeitsstelle eingesetzt hat, dass dieser ihn diesbezüglich angelogen hat; Karin hat sich kürzlich von ihrem Partner getrennt und erlebt nun als Kleindarstellerin bei Drehaufnahmen, dass diese Trennung Gerede und Nachteile für sie verursacht. In der «harmlosen» Freizeitszene am See wird also auch der unvollkommene Arbeitsalltag sublimiert, das Private bietet Zuflucht aus dem Gesellschaftlichen, das auf diese Weise völlig irrelevant wird. Das Zeigen einer gelebten Realität anstelle eines nicht existierenden Ideals ist typisch für viele DEFA-Filme: Erkennt man diese künstlerische Position der Abweichung, offenbart sich ein subversives und vergnügliches Prinzip der Verständigung, dessen Reiz sich den Zuschauern intellektuell erschliesst. Berlin um die Ecke wurde unvollendet 1965 im Zuge des berüchtigten 11. Plenums des Zentralkomitees der SED verboten und erst 1990 fertiggestellt und aufgeführt.2

Auch in Solo Sunny (Konrad Wolf, DDR 1980) lassen sich das Profane und das Abweichende finden, Letzteres nicht nur im Handlungsverlauf, sondern ebenso in der Figur der Sunny. Die Titelsequenz des Films zeigt einen typischen Hinterhof eines heruntergekommenen Hauses in Berlin Prenzlauer Berg. In mehreren nahen und grossen Einstellungen werden die kleinen Details des Lebens sichtbar: die Hausfassade, von der der Putz bröckelt, Fenster, deren Anstrich abblättert, die Mülltonnen im engen Hof, kein Grün, die Hofeingänge. Katzen sitzen auf Fensterbrettern und Tauben fliegen durch das Stückchen Himmel, das der Blick aus dem Hof frei lässt. In einem Fenster der obersten Etage sieht man bei genauer Betrachtung undeutlich eine junge Frau, die in ihre Dusche steigt, nach einer Weile wieder herauskommt und Apfel essend ans Fenster tritt. Die Kameraeinstellungen sind jetzt näher und wechseln mehrmals zwischen Sunny und einer alten Frau, die sie vom Hof aus anspricht und tadelnd darauf hinweist, dass im Schrank unter ihrem Fenster Tauben nisten würden und das seien schliesslich Schädlinge. Sunny schaut in ihrem Schrank nach, findet keine Tauben und antwortet der Frau im Hof frech: «Ich weiss nicht, was sie sehen Frau Pfeifer!» Damit ist die Sache für sie erledigt und sie geht in ihre Wohnung zurück, die aus einem Zimmer, einer Küche mit Duschkabine und Gaskocher mit zwei Flammen besteht. Das Klo ist eine halbe Treppe tiefer. Zum authentisch nachgezeichneten Milieu des Wohnens und Lebens in der DDR der Achtzigerjahre gehören gängelnde Nachbarn ebenso wie kleine unkomfortable Wohnungen und ein imperfekter Alltag, dessen allgegenwärtige Mängel durch Provisorien behoben sind, in denen man sich eingerichtet hat: Die Duschkabine in der Küche gehört zum gängigen Inventar, der Kloschlüssel hängt am Haken, der winzige Flur erlaubt nur die Sicht auf angeschnittene Plakate. Enge und begrenzende Kameraeinstellungen im Inneren der Wohnung Sunnys zeigen, wie klein eine Ein-Raum-Wohnung mit Küche, ohne Bad und WC sein kann. Der Reiz dieser filmischen Beschreibung eines Alltags jenseits des idealisierten Bilds vom «sozialistischen Wohnen» geht auch davon aus, zu sehen, wie die Menschen in diesen Verhältnissen leben und wie sie charakterisiert werden. Sunny hat es sich in den eigenen vier Wänden gemütlich gemacht: Die Wohnung wirkt trotz undichter Fenster, winziger Küche und fehlendem Komfort mit Teppich, Bett, Spiegel und Nippes, Bildern an den Wänden, Plakaten im Flur und pfeifendem Teekessel wohnlich. Direkt in der Tasse aufgebrühter Kaffee und die Stulle aus der Hand zu essen, gehören zu Sunnys ganz normalem Leben.

Bereits die Eingangssequenz führt mit der Protagonistin Sunny eine Figur ein, die durch ihre Unvollkommenheit, ihr Aufbegehren und ihre Sprödigkeit schön ist. Ihren nächtlichen Besucher setzt sie nach dem Duschen noch apfelkauend mit dem Kommentar «Is ohne Frühstück» und auf seinen Protest hin «Is och ohne Diskussion» kurzerhand vor die Tür. Mit schnodderiger Berliner Schnauze pariert und meistert Sunny frech jede Situation, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ist sie in dieser Szene strubbelig und im Bademantel, zeigen der Prolog und die folgende Sequenz andere Facetten ihrer Persönlichkeit: als Sängerin auf der Bühne und als Bürgerin, die wegen einer Beschwerde über ihren vermeintlich anstössigen Lebenswandel auf der Polizei erscheinen und sich rechtfertigen muss. In jedem dieser Lebensbereiche steht Sunny selbstbewusst und mit Zivilcourage zu sich selbst und dem Leben, das sie gewählt hat. Frau Pfeifers Nörgelei über vermeintliche Tauben in ihrem Fensterschrank lässt sie sich nicht gefallen und widerspricht ihr, wobei die Kameraarbeit die Sympathie für die Figur der Sunny stützt, indem sie nur von ihr subjektive bzw. Overshoulder-Positionen und damit ihren Standpunkt einnimmt. Sunny steht zu Konflikten und legt sie offen, sie benennt, was nicht stimmt. In ihrer Unabhängigkeit passt sie sich nicht an, sondern begehrt auf, sie ist nicht kompromissbereit, sondern steht zu ihren ganz eigenen Meinungen und Träumen.

Mit Sunny ist eine positive Heldin geschaffen, die mit all ihren Widersprüchen und Zweifeln dazu auffordert, sich zu identifizieren, und gleichzeitig eine bestimmte Identität widerspiegelt: Sie steht für Menschen, die sich nicht um jeden Preis einer Mehrheit anpassen, fest zu ihren eigenen Werten stehen und dafür auch Nachteile in Kauf nehmen. Die Brisanz und die Schönheit dieser Figur liegt zum einen in ihrer Individualität, darin dass sie sich in keine Gemeinschaft, in kein Kollektiv einfügt; zum anderen richtet sich das Bemühen der Figur auf keine gesellschaftlichen Zusammenhänge ändern, sondern nur sich allein als Person, als Künstlerin entwickeln. In der Figur der Sunny, die schnodderig und frech, aber mit Charme provoziert, lässt sich noch etwas anderes erkennen: Ironie. Einerseits ironisieren einzelne Sequenzen den Handlungsverlauf des Films, andererseits kommentieren die Regisseure durch Ironisierungen auch ausserfilmische Realitäten. Das war subversiv.

Jadup und Boel (Rainer Simon, DDR 1981/88) spielt in der kleinen Stadt Wickenhausen irgendwo in der Provinz der DDR. Auf einem Platz spielen ein paar Jugendliche Fussball, andere kurven mit ihren Mopeds immer im Kreis herum, wobei die bewegliche Kamera dem jeweiligen Geschehen leicht folgt und nebenbei im Hintergrund den Blick auf zum Teil verfallene Häuser, eine alte Kirche und dürftig gepflasterte Strassen freigibt. Der Platz ist einfach eine unbebaute und ungenutzte Fläche, an dessen Rändern Material herumliegt. In Parallelmontage zum Spiel der Jugendlichen ist inmitten alter Häuser eine provisorische Bühne zu sehen, auf der der Bürgermeister der Stadt, Jadup, gerade eine Rede zum Richtfest der neuen Kaufhalle hält. Währenddessen ist sein Sohn Max Torhüter in einem Tor, das keines ist, sondern einfach eine Linie zwischen zwei Steinen. Er hält jedoch die Bälle nicht, da er immer wieder zu Eva, der Dorfschönheit, schaut, die sich ihrerseits von den Mopedfahrern hofieren lässt. Am Spielfeldrand sitzt die Aussenseiterin Edith wie ein Orakel, fängt den von Max verfehlten Ball auf und neckt diesen, indem sie die Worte des Bürgermeisters voraussagt: «Ich weiss schon alles, was dein Vater sagen wird, ich könnt ihm vorsprechen, soll ich?» Und etwas später: «Ich weiss alles, was hier passiert. Hier passiert nichts seit tausend Jahren.» Unterdessen wird die Rede des Bürgermeisters mehrmals durch zu laute Traktorengeräusche und Rückkopplungen gestört, bevor das Einstürzen eines alten Hauses direkt neben der Tribüne sie endgültig beendet, ohne dass er mehr sagen konnte als seinen ersten Satz: «Liebe Genossen und liebe Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Mit Stolz und Freude feiern wir in unserer 800-jährigen Stadt das Richtfest dieser Kaufhalle.» Die Kamera zeigt nur noch die Ruine des alten Hauses, während seine Worte im Gelächter der wenigen Zuschauer und dem Gejohle der Kinder untergehen.

Es ist nicht die stille lebensnahe Schönheit aus dem Schauplatz selbst, sondern aus seiner präzisen Schilderung, die einen die Enge und den Mief der Provinz regelrecht spüren lässt: der ewig vorläufige und verlotterte aber lebendige Fussballplatz, die pubertierende Balzerei der Jugendlichen auf der Strasse. Jeder kennt jeden und alter Tratsch ist genauso aktuell wie neuer. Bestimmend für die geschilderte Sequenz sind die ironischen Momente: Ediths Voraussagen gelten dem ewig Gleichen, das sich ständig wiederholt – hier entwickelt sich nichts und schon gar kein Sozialismus. Die widersprüchliche Situation, dass während eines Richtfests, wo etwas Neues entsteht, das Alte wegen seiner Vernachlässigung einstürzt, spitzt die Ironie in Richtung Komik zu. Max reagiert auf Ediths Bemerkung, da er als Sohn des Bürgermeisters zu ihm hält, aber auch weiss, dass Edith Recht hat und er ihr eigentlich innerlich zustimmt. Er entwindet sich den entlarvenden Blicken Ediths. Dagegen gilt das Gelächter der Kinder und Zuschauer ganz offensichtlich der komisch wirkenden Situation des Hauseinbruchs. Der Film bezieht Stellung zur unvollkommenen ausserfilmischen Realität und kommentiert sie kritisch und humorvoll. Der Ernst der Situation wird überhöht und unterlaufen. Die bedrückenden gesellschaftlichen Mechanismen werden nicht ganz ernst genommen, man lacht über sie (und sich selbst darin), wobei das Lachen innerhalb und ausserhalb des Films befreit und verbündet.

Ähnlich wie Solo Sunny unterläuft Jadup und Boel mit seinen verlotterten Schauplätzen und seiner Ironie ein Ideal: Kleinstädte, die aussahen wie Wickenhausen gab es Hunderte, aber dass sie mit ihrem Verfall und ihrer Tristesse so gezeigt wurden, wie sie tatsächlich existierten, und dass das Publikum sogar darüber lachte, gleicht einer Bankrotterklärung. Das entging auch den Zensurverantwortlichen nicht. Um den Film Jadup und Boel wurde lange diskutiert, bevor er 1983 endgültig abgelehnt wurde. Erst 1988, nach dem politischen Umschwung in der Sowjetunion, kam er mit wenigen Kopien in die Kinos.

Das Charmante der drei geschilderten Sequenzen liegt zunächst darin, dass sie etwas Alltägliches authentisch und mit liebevollem Blick auf Details einfangen. Sie nehmen die Kleinigkeiten des Lebens ernst und schildern sie genau. Die Glaubwürdigkeit der Filme entsteht durch die erzählten Geschichten, die gewöhnlich und gegenwärtig sind – ungeschönt und dadurch schön. Zudem erlauben überwiegend nahe Einstellungen und Zwischenschnitte auf Einzelheiten der Schauplätze den Zuschauern, die eingefangene Szenerie genau zu sehen und dem Blick der Regisseure auf diese zu folgen. Das Geschehen spielt sich an Originalschauplätzen ab, die Figuren sind wie «du und ich» dem Leben verpflichtet. Auf diese Weise stellen die Alltagsbeschreibungen der Filme eine zeitlose und berührende Vertrautheit her. Die Filme sind nicht nur ein Dokument ihrer Zeit, sondern universell verständlich. In ihnen geht es nicht um das Besondere und Aussergewöhnliche, sondern um ganz gewöhnliche und alltägliche Fragen an das Leben. Mit ihrem Erscheinungsbild und dem Hintersinnigen weiterer Bedeutungsschichten sprechen die Filme das Auge und den Intellekt gleichermassen an. Die Ästhetik des Profanen bedeutet, dass die Filme mit ihrem künstlerischen Prinzipien der Abweichung sowie der Ironie sehr fein und dezent etwas schildern – bestimmte Situationen, Charaktere etc. – und damit implizit etwas über die Gesellschaft aussagen, sie sind subversiv. An diesen DEFA-Filmen ist auch die Art und Weise schön, wie sie Bezug nehmen zur Realität, wie sie unter Zensurbedingungen Kritik an bestehenden Verhältnissen üben, wie sie Probleme benennen. Schön ist, dass sie einen Weg gefunden haben, in Zwischentönen zu kommunizieren und so ihren eigenen Anspruch – über die Realität und die Gesellschaft wenigstens zu sprechen, wenn schon kein Einfluss genommen werden kann – nicht aufgeben.

Der Begriff sozialistischer Realismus entstand 1932 in der Sowjetunion und wurde in den Fünfzigerjahren von der DDR übernommen. Er beschreibt eine Methode der künstlerischen Aneignung der Wirklichkeit durch den Künstler, der mit seinem Werk von der Überlegenheit des Sozialismus durchdrungen sein sollte. Ästhetisch waren die Kunstwerke gekennzeichnet durch das Primat des Inhalts, Konflikte erschienen als nicht systembedingt und lösbar. Im Zentrum der Handlung standen positive Helden, die vorbildliche Identifikationsmöglichkeiten anbieten sollten. Werke des sozialistischen Realismus sollten optimistisch sein und den Sozialismus «richtig», (das heisst geschönt) widerspiegeln. Da der verschwommen bleibende Begriff eine Haltung des Künstlers beschrieb, diente er eher zur ideologischen Bewertung als zur theoretischen Kategorisierung von Kunstwerken. Vgl.: Judt, Matthias (Hg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und All- tagszeugnisse. Berlin, 1997, S. 305 ff. Und: Kulturpolitisches Wörterbuch, Berlin (Ost), 1970.

Dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED vom Dezember 1965 folgte ein Kahlschlag in Kunst und Kultur, dem auch fast der gesamte Jahrgang der DEFA-Spielfilmproduktionen 1965/66 zum Opfer fiel. Das Filmmaterial der verloren geglaubten Filme wurde nach 1989 aufgefunden. Man restaurierte das gefundene Material und stellte die unbeendeten Arbeiten fertig, um sie öffentlich vorführen zu können. Eine ausführliche Darstellung findet sich in: Agde, Günter (Hg.): Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Doku- mente, Berlin 2000.

Kristina Trolle
geb. 1969. Film- und Kommunikationswissenschaftlerin. Dozentin an der Zürcher Hochschule der Künste. Lehraufträge am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Arbeitet zurzeit an einer Dissertation zur ästhetischen Kodierung von DEFA-Spielfilmen.
(Stand: 2008)
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