MARTINA HUBER

TELL (MIKE ESCHMANN)

SELECTION CINEMA

Apfelschuss, Hohle Gasse, irgendwo ein Hut auf einer Stange: Alle kennen wir die Geschichte von Wilhelm Tell – oder wenigstens einen Teil davon. Ein paar von diesen mythenbehafteten Anekdoten nimmt Mike Eschmann für seine Komödie auf, doch wer bei Tell eine Geschichte über den Ursprung der Schweiz erwartet oder eine Heldensaga, wird enttäuscht, denn «eigentlich war alles ganz anders».

Die neu erfundene Geschichte hat kaum etwas mit Schillers Drama zu tun. Wobei Geschichte vielleicht etwas hoch gegriffen ist, denn Tell besteht vielmehr aus einer Aneinanderreihung von Sketchen und Spässen. Item ist unser Nationalheld demnach ein österreichischer Scharlatan, der ein zweifelhaftes Wundermittel verkauft, um sich damit das Geld für den Schweizer Pass zu verdienen. Als seine Assistentin mit den Ersparnissen verschwindet, lässt er sich anheuern, den Bau einer österreichischen Burg zu sabotieren. Während er im Innern der Burg seine Mission erfüllen will, gelingt ganz in der Nähe der Rütlischwur nie recht, hauen geldgierige Touristenführer einen Schwaben übers Ohr und ein paar Pilze mit psychedelischer Wirkung bringen ein geplantes Hochzeitfest durcheinander. Doch zum Schluss reüssiert Tell mithilfe eines redseligen Eskimo-Prinzen, bekommt den Pass und obendrein das schöne Burgfräulein.

So weit, so schwierig, denn die dürftige Geschichte mit vielen Nebenschauplätzen und überzeichneten Figuren ist schwer zusammenzuhalten. Eschmann und seine Crew haben nach bestem Wissen und allen Regeln des Marketings einen möglicherweise Erfolg versprechenden Film zusammengezimmert – doch die krude Mischung aus literarischen Figuren, Schweizer Fernsehprominenz, anachronistischem Klamauk und deutschen Komödianten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Film an vielem fehlt, insbesondere an Dramaturgie (und Humor ist bekanntlich Geschmackssache).

Schlecht recherchiert war aber das Skandalpotenzial der Thematik. Das Ansinnen, den Mythos Tell mit politisch inkorrekten Scherzen zu demontieren und damit auf sich aufmerksam zu machen, misslang. Ein Zeitungsjournalist sah sich zur Bemerkung veranlasst, mit diesem Film werde eher der Ruf des Regisseurs geschlachtet als eine Heilige Kuh.

Sowieso bekam Tell ausnahmslos schlechte Kritiken. Bemängelt wurde insbesondere der kindische Humor beziehungsweise, dass es sich entgegen der Absicht des Regisseurs um einen «geistlosen Kommerzfilm» handle, der als fragwürdiger Auswuchs der zeitgenössischen Filmpolitik gesehen werden könne. Denn weil Mike Eschmann 2003 mit Achtung, Fertig, Charlie! einen Publikumserfolg realisiert hatte, wurde Tell im Filmförderungs-System «Succes Cinema» entsprechend berücksichtigt. Bund, SF und die Zürcher Filmstiftung investierten, was all jenen suspekt ist, die mit diesem Geld lieber anspruchsvollere Produktionen unterstützt sähen. Ob Tell die in ihn gesetzte Hoffnung, den Marktanteil des Schweizer Films 2007 zu erhöhen, erfüllen kann, bleibt abzuwarten.

Es gibt aber Anzeichen dafür, dass dieses Projekt mit seiner komfortablen finanziellen Ausgangslage, einer professionellen Besetzung und guten Kontakten zu den Medien ein bisschen ins Leere gelaufen ist.

Martina Huber
*1971, Studium der Allgemeinen Geschichte und Filmwissenschaft auf dem zweiten Bildungsweg an der Universität Zürich. Lebt in Zürich.
(Stand: 2011)
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