Der Dokumentarfilm ist auf immer wieder neue, kreative Weise dazu geeignet, gehörig mit Klischees und hartnäckigen Vorstellungen über andere Länder und Kulturen aufzuräumen. Auch Afsar Sonia Shafie gelingt es mit ihrem Film City Walls – My Own Private Teheran, den Iran endlich einmal nicht im Kontext der islamischen Revolution zu zeigen, sondern das Publikum stattdessen am Leben ganz normaler Leute teilhaben zu lassen – wobei Shafie in erster Linie die Frauen ihrer Familie porträtiert.
Jede der aufgezeigten Lebensgeschichten ist eine Anklage gegen die Ungleichheit der Geschlechter in einer extrem patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Doch geht es in City Walls – My Own Private Teheran nicht um eine Grundsatzdiskussion zum Islam und der Geschlechterfrage, sondern vielmehr darum, wie sich die Wertvorstellungen der Gesellschaft direkt auf das Leben der Grossmutter, Mutter, Schwester und der Tanten, aber auch auf Shafies Alltag ausgewirkt haben. So trägt der Film feinfühlig Erinnerungen und Familiengeschichten zusammen, wie sie einem zum Beispiel die eigene Grossmutter immer erzählt hat – mit dem einzigen Unterschied, dass hier eine Kamera mit dabei war.
Shafie, die in Teheran aufgewachsen ist und dort Philosophie und Film studierte, lebt seit mehreren Jahren in der Schweiz. City Walls – My Own Private Teheran dokumentiert ihre erste Heimreise seit langer Zeit und spart nicht mit Emotionalität und Melancholie. Doch nicht nur die Balance zwischen Innen- und Aussenblick der Regisseurin macht den Film zu einem besonderen Erlebnis, sondern auch die persönlichen und oft schmerzhaften Erinnerungen, die die Frauen preisgeben: So etwa wirft die Grossmutter ihrem Mann vor laufender Kamera gnadenlos seine Verfehlungen vor; die Mutter erzählt, wie sie ohne jegliche Unterstützung der Familie ihre beiden unerwünschten Töchter aufziehen musste – und gerade deswegen darauf bestanden hat, dass beide später studieren sollten; und schliesslich äussert sich auch die Filmemacherin – über ihre gescheiterte Ehe, die Versuche, sich anzupassen und den langen Weg zu einer emanzipierten und selbstbewussten Frau.
City Walls – My Own Private Teheran ist ein Film mit einer ruhigen, souveränen Kameraführung, die ganz nah an den Menschen ist und doch niemals aufdringlich wirkt. Durch den angenehmen Erzählrhythmus, der immer wieder Zeit und Raum zum Verweilen und Verstehen lässt, regt Shafie nicht nur zum Nachdenken an, sondern relativiert auch ein Bild über den Iran, das durch die täglichen politischen Machtspiele und die subjektive Berichterstattung in den Medien entsteht. Die Geschichten der starken Frauen, die aus Liebe zu ihren Kindern Entbehrungen auf sich nehmen und die eigenen Bedürfnisse aufopfern – Geschichten, die sich wohl auf der ganzen Welt ähneln – hallen lange nach.