SONJA WENGER

MÖRDERISCHE ERPRESSUNG (MARKUS IMBODEN)

SELECTION CINEMA

Der TV-Film Mörderische Erpressung des Schweizer Regisseurs Markus Imboden ist ein verflixt gut gemachter Krimi, der sich dank einer angenehm intelligenten Geschichte von vergleichbaren Produktionen abhebt. Angesiedelt ist sie im beschaulichen Sieksdorf am Rande von Hamburg, wo die Leiche einer Frau gefunden wird. Doch dies scheint einzig dem pragmatischen Kommissar Klaus Burck und seiner eifrigen Kollegin Eva Mann nahe zu gehen. Die Empörung der Dorfbewohner hält sich in Grenzen, und nur allzu schnell geraten die drei Söhne des Lokalpatriarchen und einzigen Arbeitgebers vor Ort unter Mordverdacht. Bei seinen Ermittlungen stösst der in Sieksdorf aufgewachsene Burck auf eine eisige Mauer des Schweigens. Er sieht sich sogar mit offenen Drohungen konfrontiert – zivilisiertes Verhalten kommt schnell abhanden, wenn es um Arbeitsplätze und den persönlichen Wohlstand geht ...

Geschickt wird in Mörderische Erpressung die Frage gestellt, wie weit die wirtschaftliche Macht eines Einzelnen ein ganzes Dorf korrumpieren und zur Mittäterschaft verleiten kann. So ist in Sieksdorf kaum einer ohne Schuld – wobei der Film eindrücklich zeigt, wie schwammig die Grenze zwischen Schuld und Unschuld sein kann.

Das vielschichtige Drehbuch von Holger Karsten Schmidt verdient ein besonderes Lob: Es zeichnet ein konsistentes Gesamtbild ohne verwirrliche Nebenschauplätze und wagt sich trotzdem mit traumwandlerischer Sicherheit immer dann auf eine neue Ebene, wenn man glaubt, das Rätsel gelöst und die Zusammenhänge verstanden zu haben. Äusserst subtil sind da Hinweise eingeflochten, die dem aufmerksamen Krimifan sehr wohl nicht entgehen, ihn aber mit beinahe diebischem Vergnügen immer wieder auf die falsche Fährte locken.

Mörderische Erpressung ist, mit Ausnahme der Auflösung des Falles, konsequent chronologisch aufgebaut. Es gibt keine logischen Fallstricke oder unbeantworteten Fragen – gerne allerdings möchte man an gewissen Stellen etwas mehr erfahren über das Leben der Protagonisten. Da lässt sich zwar einiges vermuten – vieles bleibt aber nur angedeutet. Die Kameraarbeit ist innovativ, voller unauffälliger Experimente und die grösstenteils unverbrauchten Gesichter lassen durch ihr authentisches Spiel weder Langeweile noch jenes Déjà-vu aufkommen, das sich so gerne einschleicht bei dieser Art von TV-Filmen.

Markus Imboden hat eine dichte Parabel geschaffen auf die riesige Kluft zwischen Recht, Gesetz und Gerechtigkeit, die trotz eines gemeinen, fast schwarzen Endes zu keinem Zeitpunkt die gerne gepriesene Selbstjustiz befürwortet: Mörderische Erpressung ist ein mutiges Plädoyer für die Anständigkeit des kleinen Mannes und die tägliche Herausforderung, die eigenen Werte genauso in Frage zu stellen, wie die der vordergründig Biederen und Anständigen.

Sonja Wenger
*1970, ist Auslandredaktorin bei der Wochenzeitung WOZ und schreibt für das Kulturmagazin Ensuite sowie für das Bieler Tagblatt. Sie ist Gründerin der Zürcher Theatergruppe The Take Five Theatre Company und arbeitet freiberuflich als Übersetzerin, Wissenschaftsredaktorin und Malerin.
(Stand: 2011)
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