Kaum ein Schlagwort wird in der Werbung und in Gesprächsrunden so ausnahmslos positiv verwendet wie «Sicherheit», denn auf die Sicherheit beim Autofahren, auf sichere Schulen oder Renten möchte wohl niemand verzichten. Doch in der zeitgenössischen politischen Landschaft ist der geradezu inflationäre Gebrauch des Begriffs nicht nur als Antwort auf die Drohungen des Terrorismus zu verstehen, sondern schafft gleichzeitig aktiv ein Klima der Angst. In diesem Sinne sind Sicherheit und Unsicherheit die zwei Seiten derselben Medaille. Das Böse, das Gefährliche, das Andere muss identifiziert, reglementiert und ausgegrenzt werden, um die Gemeinschaft zu schützen. Davon erzählen im Kino nicht nur diverse Thriller, Horrorgeschichten Paranoiaszenarien und Kriminalfilme. Am Ursprung jeglicher Geschichte steht der Konflikt, der – stets neu erzählt – schliesslich gelöst und in die Ordnung des beruhigenden Happy Ends heimgeholt werden soll. Das ist die Sicherheit, die uns das Genrekino bieten kann. Fühlen wir uns nicht behütet und geborgen, wenn im beruhigenden Dunkel des Kinosaals auf der Leinwand der Mörder schliesslich gefasst wird, sich das Paar endlich in die Arme fallen kann, in Katastrophensituationen der Held für die Rettung der Welt einsteht? Und vermitteln uns neben der Eindeutigkeit von Genrekonventionen nicht auch Filmmusik, Kameraführung, Lichtsetzung oder verlässliche Erzähler emotionale Sicherheiten? Kino kann sich jedoch nicht in den sicheren Grenzen dieser bekannten Normen erschöpfen, sonst droht sich die Traummaschinerie totzulaufen und in Ideologie und Langeweile zu erstarren. Um aufregend zu bleiben, muss Kunst diese schützenden Grenzen immer wieder sprengen auf der Suche nach dem Anderen, dem Neuen, dem Überraschenden, dem Ambivalenten – dem Unsicheren. Wenn nötig mit avantgardistischer Gewalt, denn der Sicherheitswahn kann bis zur Zensur führen, die gerade im Filmgeschäft oft auch kommerziell begründet wird. Filme sollen uns jedoch nicht nur unterhalten, sondern uns auch immer wieder neue Einblicke ermöglichen, unsere lieb gewonnenen Gewohnheiten hinterfragen – aufrütteln. Deswegen ist CINEMA 52 auch den unsicheren Momenten im Kino gewidmet. Neben kurzen Szenenbetrachtungen einzelner Filme wird in weiteren Texten sowohl der Lust an der erzählerischen Unsicherheit nachgespürt wie den endlosen, neobarocken Verästelungen im Erzählfluss der TV-Serie Six Feet Under. Untersucht werden Paranoiafilme der Siebzigerjahre, das Heist Movie, visuelle Unsicherheiten in Jane Campions In the Cut sowie die plötzlichen Gewaltausbrüche im langweiligen Leben von Versicherungsagenten. Der Filmemacher Dani Levy erzählt vom Erwartungsdruck und von der befreienden Kraft des Komischen. Die Selbstversicherungsstrategien der Filmkritik werden ebenso zum Thema gemacht wie die Enge der Schweiz, die prekäre Sicherheit, die ein Hut seinem Träger verschafft, das nervende Notausgangsschild im Kinosaal oder die Katastrophe, die ein einziges Malteser vor der Leinwand anrichten kann. Essayistische Texte stehen neben wissenschaftlichen und literarischen, ein zeichnerischer Bildessay neben einem fotografischen. Der traditionelle «Filmbrief» berichtet dieses Mal von den Gefahren, denen Filmschaffende in Palästina ausgesetzt sind, während in der Rubrik «CH-Fenster» der Drehbuchautor Micha Lewinsky mit inneren Dämonen kämpft. Unter dem neuen Namen «Sélection CINEMA» wird schliesslich das Schweizer Filmschaffen des letzten Jahres in einer ausführlichen Übersicht kritisch kommentiert. Für die Redaktion Veronika Grob

CINEMA #52
SICHERHEIT
EDITORIAL
ESSAY
MOMENTAUFNAHME
CH-FENSTER
FILMBRIEF
SELECTION CINEMA
RIVIERA COCKTAIL – EDWARD QUINN, FOTOGRAF, NIZZA (HEINZ BÜTLER)