MICHAEL LANG

NÄKKÄLÄ (PETER RAMSEIER)

SELECTION CINEMA

Der 1954 in Liestal (BL) geborene, gelernte Fotograf Peter Ramseier weilte als Kameramann des Schweizer Fernsehens vor etwa einem Jahrzehnt in Schweden und in Lappland. Dort kam er in Kontakt mit dem urtümlichen, naturverbundenen Volk der Samen. Ramseiers Interesse war geweckt und bei weiteren Recherchen stiess er auf die literarischen Aufzeichnungen des heute über achtzig Jahre alten Emmentaler Autors Hans Ulrich Schwaar. Der studierte Romanist, ehemalige Lehrer und Spitzensportler verbringt seit über zwei Jahrzehnten einen Grossteil seiner Zeit bei den Samen und gilt als einer der intimsten Kenner dieser Kultur. Schwaar spielt demnach in Peter Ramseiers Feldforschung der besonderen Art im Flecken Näkkälä in der finnischen Tundra eine wichtige Rolle: Er ist das Bindeglied zwischen einer uns vertrauteren schweizerischen ländlichen Mentalität und der archaischen, symbolstarken, ja magischen sämischen.

Seit den Sechzigerjahren leben die einstigen Nomaden aufgrund staatlicher Verordnungen meist an festen Wohnsitzen. Bis 1985 war ihre Haupteinnahmequelle die Rentierzucht. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl führte jedoch zu einer drastischen Senkung der Fleischpreise. Viele Samen waren dadurch gezwungen, diverse Nebentätigkeiten anzunehmen, um ihre Existenz zu sichern.

Ramseiers Film berichtet in Ansätzen von diesen Zusammenhängen und Entwicklungen, erhebt aber nicht den Anspruch einer ethnologischen Feldstudie. Der Autor verbindet vielmehr – und das ist eine Qualität seiner präzisen Arbeit – filmisch aufbereitete Beobachtungen und Erkenntnisse vor Ort zu einem Feldporträt über diese spezielle Facette der nordischen Lebenskultur.

Der Film folgt strukturell dem natürlichen Rhythmus der vier Jahreszeiten und spiegelt sie an der Begegnung zwischen dem Wahlsamen Hans Ulrich Schwaar und seinem langjährigen Gastgeber, dem rund sechzigjährigen Lisakki-Matias Syväjärvi, einem Enkel des legendären Rentier-Fürsten Vilkuna Näkkäläjarvi. Die filmische Reise durch den Jahreslauf beginnt im Sommer, mit der traditionellen Rentiermarkierung und den rituellen Fischopfern. Im Herbst stehen dann die Holzwirtschaft im Zentrum sowie die minutiösen Vorbereitungen auf die entbehrungsreiche Winterzeit.

Das Winterkapitel bringt Informationen zur so genannten Rentierschneid – wozu etwa die Pflege der Herde oder deren Selektion für Verkauf und Schlachtungen gehören –, vermittelt berührend Einblicke ins alltägliche, fast symbiotische Zusammenwirken der Männerfreunde und zeigt das soziale Leben in der Gruppe.

Ramseiers Kamera hält all dieses in stimmigen, atmosphärisch dichten Bildern fest. In unaufgeregter Weise öffnet er so dem Publikum Verbindungstüren zum Unvertrauten. Akzentuiert durch die Volksmusik der Gegend wird man als Zuschauer in den Jahresreigen der einfach lebenden sämischen Bevölkerung aufgenommen. Mit dem Resultat einer bereichernden, diskret vollzogenen, sinnhaltigen Annäherung an eine Kultur zwischen Tradition und Moderne.

Michael Lang
geb. 1949, studierte Geschichte an der Universität Zürich und ist Filmemacher, Journalist und Buchautor.
(Stand: 2007)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]