SASCHA LARA BLEULER

ICH KANN NICHT NUR DRAMATISCH UNTERWEGS SEIN — EIN GESPRÄCH MIT DANI LEVY

ESSAY

Der Schweizer Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Dani Levy lebt seit 1980 in seiner Wahlheimat Berlin und wagt mit seinem filmischen Werk immer wieder den Spagat zwischen Tragik und Komik.

Seine Karriere im Showgeschäft begann Dani Levy als Clown und Akrobat im «Zirkus Basilisk». Das nach dem Abitur begonnene Germanistikstudium brach er bald ab, um in der Zeit von 1977 bis 1979 als Schauspieler am Stadttheater in Basel, später dann mit den Berliner Theatergruppen «Rote Grütze» und «Logo» zu arbeiten. 1983 folgten Auftritte im Fernsehspiel Ich bin seine Schwester und der Schweizer TV-Serie Motel, bei der er auch als Autor mitwirkte. Sein Regiedebüt Du mich auch (BRD/CH 1986) erhielt am Komödienfestival von Vevey gleich den ersten Preis und lief am Filmfestival in Cannes. Es folgten weitere Komödien, Thriller und Dramen, die mit diversen Preisen ausgezeichnet wurden. Für seine berührende und schwarzhumorige Komödie Alles auf Zucker! (D 2005) erhielt Levy nicht nur den renommierten Ernst-Lubitsch-Preis, sondern auch sechs Lolas an der Verleihung des Deutschen Filmpreises. 1994 gründete er in Berlin gemeinsam mit Tom Tykwer, Wolfgang Becker und Stefan Arndt die Produktionsfirma X-Filme Creative Pool, die mittlerweile zu den innovativsten und erfolgreichsten deutschen Produktionsfirmen gehört.

Mit seinem neusten Filmstreich Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (D 2007), einer bittersüssen Komödie über den Nationalsozialismus, bricht Levy wieder so manches Tabu. Und dies mit «diebischer Freude», wie der Filmemacher augenzwinkernd sagt.

Folgendes Gespräch wurde im Oktober 2006 in Berlin geführt.

Sascha Bleuler: In deinen Filmen geht es immer wieder um Figuren, deren äussere wie innere Sicherheit ins Wanken gerät. Ein Ereignis wirft die bestehende Welt aus den Fugen und provoziert grundlegende Veränderungen. Was interessiert dich an den unsicheren Phasen menschlichen Daseins?

Dani Levy: Das ist die Substanz, aus der alle Filme sind. Menschen ohne Probleme, das wäre wie Sex and the City allerdings ohne Sex und ohne City! Dann ist wirklich fast gar nichts mehr da. Für mich steht ganz klar der Mensch im Zentrum. Das menschliche Universum hat mich schon immer mehr fasziniert als das Weltall. Ich träume mich in die Menschen hinein und in die Widersprüchlichkeit ihrer Seelen – das ist für mich der Stoff, aus dem die Filme sind.

Filme werden oft ins Schwarzweisse degradiert: Ein Held darf nur noch gut sein und der Gegner schlecht. Der Zuschauer soll bloss nicht vor den Konflikt gestellt werden, dass er eine Negativfigur liebt oder dass er seinen geliebten Helden plötzlich von einer abgründigen Seite kennenlernt – das ist anstrengend für Zuschauer. Umso wichtiger ist es für mich, dass es neben den vielen Filmen, in denen man sich einfach nur wohlfühlt und auch optimal orientieren kann, auch Filme gibt, die den Zuschauer herausfordern.

Du magst also Filme, die den Zuschauer verunsichern?

Filme, die ihn verunsichern, ihm aber auch eine Erkenntnis bringen. Am besten funktioniert das über die Unterhaltung: Gesellschaftliche Fragen können einfliessen, ohne dass der Zuschauer das Gefühl kriegt, er strenge sich dabei gedanklich an. Dafür müssen die Figuren natürlich eine amüsante, spannende Entwicklung durchmachen. Sie müssen ein richtiges Problem haben und geläutert werden. Ich bin der Meinung, dass gerade die Komödie einen ordentlichen Konflikt braucht, sonst bleibt sie flach.

Komödie und Tragödie sind eigentlich dasselbe, die Komödie setzt sich bloss eine andere Brille auf, aber letztlich geht es bei beiden Genres um Notsituationen.

Gehst du jeweils bewusst von diesem Ansatz aus oder ergibt er sich, wenn du deine Geschichten erzählst?

Das mache ich nicht bewusst, sondern das ist einfach meine Kultur, meine Herkunft, mein Judentum und mein Sternzeichen – ich bin Skorpion.

Nicht zuletzt spiegelt dieser Ansatz auch meine linke Haltung wider. Ich denke, dass sich die Welt von Dogmatismen befreien müsste und wir zu Freidenkern werden sollten! Wir sollten frei mit unserer Sexualität umgehen, tolerant sein gegenüber anderen Menschen – das sind für mich ganz wichtige Punkte, die ein Film beinhalten muss.

Hast du aufgrund des Misserfolgs von Väter deine Strategie gewechselt? Wenn man deine Filmografie anschaut, sieht man eine klare Entwicklung von persönlichen, intimen und hauptsächlich schweren Themen hin zu amüsanten Stoffen wie in Alles auf Zucker!.

Man muss bedenken, dass ich mit Komödien begonnen habe, selbst wenn Du mich auch ein richtig sperriger, schwarzweisser Arthouse-Film auf 16 mm ist; tiefste Subkultur also. Ein autodidaktischer Regisseur und eine ganz junge, unerfahrene Schauspielerin (Anja Franke, Anm. d. Red.) machen einen Film voller Fehler, voller Charme – letztendlich voller Anfängerglück. Dass wir mit so einem Film gleich hochgelobt wurden, dass er in Cannes lief, überall auf der Welt an Festivals gezeigt wurde – das war natürlich ein Glücksstart. Auch über RobbyKallePaul (BRD/CH 1989) wurde sehr viel gelacht, der Film war als Komödie unverschämt erfolgreich. Das Komödiantische war also meine erste Ausdrucksform und ich habe mich darin sehr wohl gefühlt, mich aber gleichzeitig auch immer ein bisschen geschämt für die Leichtigkeit der Stoffe.

Dann kam I Was on Mars (D/USA/CH 1992), ein Film, den ich unglaublich liebe. Er wurde fast ohne Geld, geradezu in Guerilla-Manier in New York gedreht. Der Film war meine Reaktion auf den Zusammenbruch des Ostens, auf das Weggerissenwerden der Mauer, auf diese Kollision von Ost und West. Er belegt einen Zwischenbereich zwischen Tragödie und Komödie, ist unglaublich sentimental und traurig, aber trotzdem heiter – ein Film, der völlig untergegangen ist, den hat fast niemand gesehen.

Dann bin ich durch das künstlerische und persönliche Zusammenleben mit Maria Schrader mit Stille Nacht (D/CH 1995), Meschugge (D/CH/USA 1998) und Väter ins Melodrama eingetaucht und fast zehn Jahre in diesen Gewässern geschwommen. Ich fand die Chancen des Dramas ganz wunderbar, dieses Packende, dieses Distanzlose, das den Zuschauer wirklich an der Kehle nimmt, ihn hochzieht an die Leinwand. Hier gibt es kein Entkommen, denn die Identifikation mit den Figuren ist zwingend. Ich meine damit nicht, dass die Filme zwangsläufig gelungen sind, vielleicht fehlt ihnen manchmal eine ironische Distanz, aber die Filme sind auch irgendwie autoritär. Es war eine Zeit, in der ich mit 35 mm und Cinemascope wirklich «gewaltige» Filme gemacht habe, die den Zuschauer wie eine Welle erfasst haben, wenn man sich auf sie eingelassen hat. Ich habe das sehr genossen. Vielleicht war ich damals aber selber in so einem wilden Strudel – dem ich mich ergeben wollte, dieser Gewalt, die das Kino haben kann.

Mit Väter hast du dann einen sehr intimen, persönlichen Film gemacht und viel von dir selbst preisgegeben.

Ich war gerade selber Vater geworden. Das Thema von Väter – das Sorgerecht und die Frage, was mit einer Beziehung und dem gemeinsamen Kind passiert, wenn man sich als Paar auseinanderlebt und sich plötzlich trennen muss oder will – hat mich sehr interessiert. Wie kann man eine Trennung gestalten, ohne dass sie in einem Krieg um das Kind endet? Ich wollte mich mit dem Film aber nicht auf eine Seite stellen. Es war mir wichtig, dass der Zuschauer hin und her gerissen ist zwischen der Position des Mannes und derjenigen der Frau, wie im richtigen Leben! Ich wollte diesen Konflikt eben nicht schwarzweiss darstellen, nicht dass der Zuschauer sagt: «Ach, der arme Mann, dem wird das Sorgerecht genommen, er hat schlechte gesellschaftliche Voraussetzungen», und man verbündet sich dann mit ihm gegen die Frau. So einfach ist es eben nicht. Denn die zwei erwachsenen Menschen müssen sich zusammenraufen, sie müssen das Problem wirklich lösen. Für sich und für das Kind.

Danach bist du wieder zur Komödie zurückgekehrt. Hast du nach dem Flop an der Kinokasse versucht, deine Filme erträglicher, leichter verdaulich und damit wieder sicherer zu machen?

Alles auf Zucker! war ein Versuch, Kino zu machen, das intelligent unterhält – so hoffe ich wenigstens –, den Zuschauer thematisch und politisch fordert, ihn aber durch Humor und durch die Möglichkeit des Lachens mehr in Ruhe lässt.

Ich glaube, Lachen ist immer auch Empathie. Lachen ist ein Politikum und ein ganz entscheidendes Gefühlsmittel, um Dinge zu verarbeiten, über die man nicht weinen will oder kann. Sicher bin ich damit auch vor dem Misserfolg geflüchtet, denn man muss bedenken, dass sowohl Meschugge, Stille Nacht und vor allem Väter hier in Deutschland nicht gut gelaufen sind. In der Schweiz gibt es für solche Filme eher ein Publikum. Meschugge ist hier sehr gut gelaufen und auch Stille Nacht und Väter waren erfolgreicher als in anderen Ländern. Aber diese Filme sind sehr geliebte Kinder, die wir mit ungemeiner Leidenschaft, Vehemenz und Liebe gemacht haben. Angesichts ihres Misserfolgs habe ich mich manchmal richtig einsam gefühlt. Hier stehe ich auf der Bühne und zeige euch meinen Film – warum werdet ihr bloss nicht glücklich damit?

Dann war Alles auf Zucker! auch eine Entspannungsmöglichkeit für dich nach all den Strapazen des Dramas? Gab dir die Komödie mehr Sicherheit vor dieser Einsamkeit, weil das Publikum sie besser verstand und sie liebte?

Entspannung brauchte ich damals, aber es war kein bewusster Entscheid. Ich bin nicht eines Tages aufgewacht, habe in den Spiegel geschaut und gesagt: Levy, du musst dein Leben verändern, du musst ein bisschen Geld verdienen, du musst die Leute mehr entzücken und erfreuen.

Alles auf Zucker! war ein Projekt, an dem ich schon während meiner Tragödienzeit gearbeitet habe. Ich war schon immer daran interessiert, einmal eine tragische Komödie zu machen. Es hat einfach lange gedauert. Mir war immer klar, dass ich zur Komödie zurückkehren würde. Ich liebe Komödien! Mit meiner eigenen schwermütigen Natur brauche ich das Lachen. Ich kann nicht nur dramatisch unterwegs sein. Ich muss auch um meinetwillen längere Ausflüge ins Komödienland machen, therapeutische Ausflüge.

Dennoch sind Komödien kein sichererer Erfolgsgarant als Tragödien. Man kann nicht sagen, nur weil man lacht, kriegt man bessere Kritiken oder mehr Publikum. Das stimmt so nicht. Eine Komödie kann genauso deftig und erbarmungslos scheitern wie eine Tragödie.

Mit Alles auf Zucker! bin ich um die Erfahrung der Tragödie reicher nach Hause, zur Komödie, zurückgekehrt. Alles auf Zucker! und auch mein neuster Film Mein Führer wäre nie möglich gewesen, hätte ich nicht fast zehn Jahre mit Tragödien verbracht, ohne Ironie und doppelten Boden. Durch die Tragödie habe ich gelernt, mich intensiv um meine Figuren zu kümmern. Für mich ist die Beschäftigung mit Filmfiguren immer auch eine Abenteuerreise. Zusammen mit dem Schauspieler, der die Figur substanziell mitgestaltet, versuche ich, als Regisseur und Autor wahrhaftige, spannende Momente des Menschseins einzufangen. Darum sollte es in einem Film gehen. Ich habe gestern The Devil Wears Prada (David Frankel, USA 2006) gesehen, der hat null wahre Momente. Nach einer Viertelstunde hast du dich daran gewöhnt, dass die Wahrheit gar keine Rolle spielt, du siehst einfach nur ganz banale Fiktion.

Das Thema Judentum ist in Deutschland immer noch heikel und mit vielen Tabus belastet. Du wurdest als Held gefeiert, der diese Hemmschwelle endlich mal überschritten hat.

Dass mir der Film nicht um die Ohren geschlagen wurde und politisch nicht falsch verstanden wurde, war wie ein Fünfer im Lotto. Da war viel Glück im Spiel. Unter Umständen hätte eine radikale Stimme aus der jüdischen Gemeinde gereicht, um den Film zu diskreditieren. Er hätte plötzlich einen falschen Ruf gekriegt, und man wäre dann plötzlich nicht mehr in diesen «Antisemiten-Film» gegangen.

Hattest du Angst vor solchen Reaktionen?

Angst hatte ich keine, denn ich bin von meinem Naturell her merkwürdig schizophren. Zu Beginn eines Filmprojekts bin ich seltsam furchtlos und kenne kein Pardon: Fast schon kamikazemässig traue ich mich, alles zu denken und zu schreiben. Doch dann werde ich im Lauf der Filmentwicklung immer kleinlauter. Ich beginne, weitere Meinungen einzuholen und merke plötzlich, dass ich eben doch ein Sensibelchen bin. Ich lasse Kritik zu nahe an mich ran, ich bin keiner, der sich gut abschirmen kann. Hinzu kommt, dass ich als Filmemacher viel zu selbstkritisch bin.

In welcher Phase des Filmemachens treten diese Unsicherheiten am meisten auf?

Wenn der Film fertiggestellt ist, in optimalem Zustand innerhalb der gegebenen Bedingungen natürlich – und die Aussenwelt hinzukommt. Testvorführungen, Presse, Kinobesitzer, wenn Freunde und das Team den Film zum ersten Mal sehen. Der Film wird begutachtet, von links, von rechts, gutgeheissen, gelobt, geliebt oder eben nicht. In dieser Phase muss man sehr stark sein. Auch wenn man als Regisseur relativ stoisch seinen Weg gehen muss, egal wie viel Prügel man dabei einheimst, so will man trotzdem in erster Linie geliebt werden. Du sehnst dich nach Zustimmung. Du willst, dass die Leute den Film mögen. Eine Filmkritik allein kann manchmal jegliche Chancen beim Publikum verhindern.

Bei den Testvorführungen kann ich prüfen, ob der Zuschauer meine Nachricht versteht. Versteht er den Humor, die Figuren und die Geschichte? Vermag die Geschichte ihn zu berühren, löst sie etwas beim Zuschauer aus?

Hast du jeweils konkrete Vorstellungen davon, was an Reaktionen auf dich zukommen wird?

Für mich ist diese Phase wie ein Tappen im Dunkeln. Ich spiele gern die Rolle des Teufelchens, das die Leute zwar herausfordert, sie aber trotzdem unterhalten will. Ich möchte das grosse Publikum bedienen und möchte, dass es mich versteht. Nicht alle natürlich. Manchmal schaue ich mir die Zuschauer in den riesigen Multiplex-Kinos an und denke, du meine Güte, die lassen sich wohl eher schwer mit meinen Inhalten füttern. Diese Zuschauer aber ebenfalls zu erreichen, ist eine Herausforderung, die mich reizt.

Bei Mein Führer wusste ich von Anfang an, dass ich mich aufs Glatteis begebe. Das ist nicht wie bei Alles auf Zucker!, wo ich relativ naiv gesagt habe, jetzt mache ich mal eine Komödie mit Juden. Die politische Brisanz wurde mir erst bewusst, als Alles auf Zucker! so lange überall abgelehnt wurde und für die Finanzierung keinen Fernsehsender fand. Ich merkte erst, wie heikel dieses Thema ist, als etliche Leute das Drehbuch kritisch und fast verachtend aus der Hand gelegt hatten: Wer lacht denn über Juden, wen interessiert das? Dann habe ich den Film doch machen können, und die Testvorführungen waren ein sensationell positives Statement für den Film. Das gab uns den Mut und die Risikofreude, den Film nicht als Fernsehfilm, sondern gleich als Kinofilm zu lancieren. Dass diese Rechnung aufgegangen ist, die Kritiken mitgespielt haben, dann der Deutsche Filmpreis und all diese Dinge zum Optimalszenario dazukamen – das war einfach Glück. Das hätte auch ganz anders kommen können. Am Start-Donnerstag hätte ich mein halbes Vermögen verwetten können, dass der Film floppen wird. Ich dachte, die Leute würden sich keinen Film über Juden ansehen. Das Thema ist zu vorbelastet, zumindest in Deutschland. Doch ich hatte mich getäuscht! Unter der Oberfläche bestand offenbar das Bedürfnis – was wir als Produzenten auch bei Good Bye, Lenin! (D 2003) unterschätzt hatten –, sich mit der Vergangenheit auf eine neue Art zu beschäftigen, einer, die befreit, entspannt und erlöst.

Ich habe Mein Führer unter anderem auch geschrieben, um mich von diesem Dämon der Vergangenheit zu befreien. Sich von einem Dämon zu befreien, bedeutet eben nicht, ihn weiter zu dämonisieren, sondern es bedeutet für mich, ihn einfach mal lächerlich zu machen. Ihn zu durchleuchten, ihn aber auch an sich ranzulassen.

Hitler und die Nationalsozialisten dürfen also nicht nur monströs und unnahbar sein?

Über Figuren, die gar nicht berühren, kann man nicht lachen. Lachen hat mit Nähe und Empathie zu tun, ist immer etwas Warmes, das ist unvermeidbar. Bei Alles auf Zucker! war das einfach, denn du lachst über Menschen, die du liebst. Bei Mein Führer lachst du über Menschen, die du nicht lieben darfst. Bloss nicht! Auch ich will nicht, dass sie geliebt werden! Wir reden nicht über einen skurrilen Bauern in Wisconsin, sondern wir reden über Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler – wir reden über die schlimmsten Verbrecher der Welt.

Doch wenn man über diese Figuren lacht, bedeutet das auch, dass man sie von einem Sockel runterholt, dass man das Monströse, Dämonische an ihnen auf unseren Boden stellt und es dort zerpflückt und zersetzt.

Es gab in den letzten Jahren ja einige Deutsche Filme wie Sophie Scholl (Marc Rothemund, D 2005), Der Untergang (Oliver Hirschbiegel, D/I/A 2004) und Napola (Dennis Gansel, D 2004), die auf sehr ernsthafte Art versucht haben, eine filmische Vergangenheitsbewältigung anzubieten. Ist Mein Führer auch als Reaktion auf diese Filme zu verstehen?

Die Idee zu einer Komödie über Hitler und die Nationalsozialisten hatte ich schon seit fast zehn Jahren. Ich verspürte immer wieder grosse Lust, mich dem Thema Nationalsozialismus komödiantisch zu nähern und es moralisch aufzumischen. Diese klare didaktische Moral der gängigen Aufarbeitungs- und Aufklärungsfilme war mir oft zu einfach. Der Untergang hat durchaus grosse filmemacherische Qualität und versorgte das breite Publikum mit Informationen über die letzten Tage im Bunker. Aber die moralisierende Beschäftigung mit der Vergangenheit fand ich zunehmend langweilig. Es wurde nie etwas wirklich Neues erzählt, und dieses Kribbeln, da mal reinzufunken, verspürte ich schon lange.

Hattest du Vorbilder? Ich denke an Charlie Chaplins The Great Dictator (USA 1940) und Roberto Benignis La vita è bella (I 1997), die sich in ihrer Zeit auch auf mutige, komödiantische Weise das Dritte Reich vorknöpften und Lachen über den Führer und die Nazis als befreiende Waffe einsetzten.

Benignis La vita è bella war ein wichtiger Auslöser. Ein Film, der das Verbotene gemacht und sich das Unerlaubte erlaubt hat. Ich bin Benigni bis heute für seinen Mut dankbar. Er hat es – sogar als Nichtjude – gewagt, eine romantische Komödie im Konzentrationslager spielen zu lassen, das KZ zu abstrahieren.

Benigni kommt aus Italien, das im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz ein Filmland ist, in dem die poetische und skurrile Realität eine gefestigte Tradition hat. Fellini, Pasolini, Werthmüller – das sind Filmemacher, die haben sich nie um die wahrhaftige, authentische Darstellung gekümmert, sondern sie bevorzugten eine poetische, märchenhafte Realität.

Deutschland dagegen hat sich immer schon mit der Authentizität, dem Dokumentarischen und mit der Präzision nüchterner Beobachtungen einen Namen gemacht. Der Untergang wurde als der authentischste Film über die Zeit des Nationalsozialismus propagiert; Joachim Fest bürgte als Instanz und Pate für die Korrektheit der historischen Fakten und Hitlers Biografie. Ich dachte mir, wenn ich einen Film zu diesem Thema mache, dann muss ich mich von diesem Netz befreien. Ich möchte frei erfinden können, eine surrealere Wahrheit über diese Zeit zeigen, die trotzdem relevant ist für die Realität. Märchen sagen oft Wahres über unsere Realität und Psyche aus.

Auch Mein Führer ist stellenweise durch eine gewisse Märchenhaftigkeit geprägt, hat fast schon Traumqualität.

Natürlich ist es eine fiktive Geschichte, dennoch basiert alles auf realen Eckdaten. Adolf Hitler hatte tatsächlich einen Schauspiellehrer, Paul Devrient. Die Figur des Juden Adolf Grünbaum in meinem Film ist ein weitergedachter Paul Devrient, der Hitler in den Zwanzigerjahren Schauspielunterricht gab: Stimmbildung, Ausdrucksarbeit, Atemtechnik, das volle Programm!

Devrient war aber sicher kein Jude?

Das ist natürlich zugespitzt wie auch die psychologischen Hintergründe zu Hitlers Leben. Allerdings habe ich Alice Millers Ausführungen über Hitler in ihrem Buch Am Anfang war Erziehung und Joachim Fests Recherchen zur Kindheit von Hitler sowie die Pädagogik der Zeit als Realbasis genommen. Adolf Hitler war eine manisch-depressive, sexuell unfähige, psychotisch-schizophrene Natur. Er war ein psychisch unberechenbares Wrack, und das lässt sich mit einer Komödie am besten zeigen.

Du versuchst nicht nur, uns die psychologischen Abgründe von Hitler etwas näher zu bringen, sondern die des ganzen Volkes während des Dritten Reichs. Dies ist mutig und provokativ zugleich.

Diesen Anspruch habe ich nicht. Der Film ist ein, wie ich hoffe, amüsantes, intelligentes und verstörendes Puzzlesteinchen, eine weitere Komponente zur Erklärung und Ergründung des Faschismus.

Es ist banal und schrecklich zugleich einzusehen, welch elementar wichtiger Einfluss die Kindheit auf das weitere Leben hat: politisch und sozial. Adolf Hitler hätte sein menschenverachtendes, willkürliches Folter- und Tötungssystem nicht durchziehen können, wenn nicht genügend Menschen diesen unmenschlichen Befehlen, partiell auch freiwillig, gefolgt wären. Dazu braucht es verrohte, verwahrloste Menschen – wir dürfen nicht vergessen, in was für einer Zeit diese Leute gelebt haben. Sie waren vom Ersten Weltkrieg geprägt, das ist gar keine Frage, aber auch die Pädagogik der Zeit spielte eine entscheidende Rolle. Welche Ethik, welche Werte gab es in welcher Zeit? Das sind interessante Fragen. Ich bin sicherlich nicht der Erste, der diese Fragen stellt, aber ich finde sie für meinen Film grossartig.

Diese Thematik hat mich in ihren Bann gezogen. Ich hatte eine innere Stimme, einen Drang, dem ich gefolgt bin. Das ist ganz wichtig, gerade, wenn wir über Risiko sprechen und über die Gefahren des Filmemachens: Deine innere Stimme und dein innerer Glaube sind das Letzte, was bleibt. Wenn der ganze Film über deinem Kopf zusammenbricht, die Leute ihn nicht sehen wollen und du wieder einmal für nichts viel Geld verpulvert hast, dann muss man sich selber im Spiegel angucken und fragen: Ist meine innere Stimme für dieses Projekt noch da? Bis jetzt war sie es Gott sei Dank immer.

Die Erwartungen nach dem Erfolg von Alles auf Zucker! sind hoch. Wie gehst du mit diesem Druck um?

Ich könnte es mir leichter machen, aber ich bin irgendwie triebhaft in meinem Schaffen. Wenn mich etwas reizt, dann würde es mich nur blockieren, wenn ich dauernd überlegen würde, welche Dämonen sich mir in den Weg stellen und wie ich damit auf die Fresse fallen könnte. Solche Gedanken sind keine guten Begleiter. Es war mir eine unglaubliche Freude, Mein Führer zu schreiben, ich bin jeden Tag ganz beschwingt vom Computer aufgestanden. Dieser Stoff sprudelte aus mir heraus, als wäre eine Blase geplatzt.

Du wünschst dir, dass gerade auch die Deutschen über Mein Führer lachen können. Wie sicher bist du dir, dass deine Art von Humor von Medien wie Publikum verstanden wird?

Ich mache mir da keine Illusionen. Einerseits gibt es eine Art Regelmässigkeit: Regisseure werden hochgejubelt und dann wieder fallen gelassen – die Medien, die Kritiker brauchen ihr Futter. Das ständige Rauf und Runter, dass alles in Bewegung bleibt, ist ein Naturgesetz des öffentlichen Lebens. Andererseits ist mir klar, dass man, wenn man in Deutschland eine Komödie über die Nationalsozialisten macht, auch in einem Minenfeld rumstolpert. Dass der Humor nicht verstanden wird, dass man Geschmäcker verletzt oder falsch verstanden wird – dieses Risiko ist immer da. Die Leute sind so unterschiedlich; jüdisch, nicht jüdisch, haben selber den Nationalsozialismus erlebt, sind Nachkommen von Tätern, Opfern – das ist keine homogene Masse. Ich habe in diesem Film versucht, eine Grenze einzuhalten, die meiner Meinung nach den guten Geschmack nicht verletzt. Aber das ist immer subjektiv.

Kannst du als Schweizer und Jude nicht auch zuversichtlich sein, dass du dir einen humorvollen Umgang mit dem Thema erlauben darfst?

Ich glaube nicht, dass dies ein Vorteil ist. Hätte meine Familie eine deutsche, nationalsozialistische Vergangenheit, hätte ich einen Grossvater bei der SS – dann würde man mich und meine Art, wie ich mich mit dem Thema filmisch auseinandersetze, wahrscheinlich eher verstehen.

Ich denke, da habe ich als Schweizer Jude keinen Bonus, und den brauche ich auch nicht. Ich finde es nicht wichtig, ob jemand Jude ist oder nicht. Bestimmt habe ich durch mein jüdisches Umfeld, meine Erziehung und meine Familie eine bestimmte Einstellung gegenüber dem komplexen Dschungel Mensch. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die sehr selbstironisch sind und mit der Tragödie des Nationalsozialismus, ja selbst mit dem Tod, ironisch umgehen können. Das hat mich geprägt.

Ich starte ein Projekt wie Der Führer furchtlos, in diebischer Freude, mit grosser Leidenschaft und erst, wenn der Zeitpunkt der Auswertung naht, rutscht mir manchmal das Herz in die Hose. Das gebe ich zu. Weil ich eben so angreifbar bin; ich bin halt eine Mimose.

Bist du der Erste in Deutschland, der sich dem Thema Hitler und Nationalsozialismus mit Humor nähert?

Na ja, wir leben doch in einem Land, in dem «political incorrectness» durchaus angesagt ist. Wir haben seit Jahrzehnten die Leute um die «Titanic», es gibt Gerhard Polt, Zimmerschied, Harald Schmidt, selbst Stefan Raab ist manchmal wirklich sehr unvorsichtig, trifft dadurch voll ins Schwarze und erregt die Leute. Wir haben den «Dadaisten» Helge Schneider (spielt Adolf Hitler in Mein Führer, Anm. d. Red.). All diese Elemente gibt es schon, ich bin kein Erfinder. Aber ich möchte mich unter anderem auch mit diesem Hitlerkult auseinandersetzen. Selbst wenn die Figur, was natürlich politisches Pflichtprogramm ist, immer kritisch gezeigt wird, so ist sie trotzdem Kult. Mit Mein Führer will ich diesen Kult auf die Schippe nehmen oder besser, ihn den Leuten vorführen. Wir können darüber reden, wie Faschismus entsteht oder warum die NPD an manchen Orten über sieben Prozent hat. Wir können uns anschauen, welches die Wegbereiter einer rassistischen und menschenverachtenden Philosophie sind. Aber man muss aufpassen mit dieser Art von Antivergötterung, die eben auch Denkmäler setzt.

Jetzt kann man natürlich sagen: «Levy, du machst doch das Gleiche, du nimmst Hitler und machst ihn unsterblich und baust ihm sogar noch eine komödiantische Plattform.» Das kann man mir vorwerfen. Doch Hitler selbst ist eine Plattform, der Mann funktioniert als Projektionsfläche.

Dass im Nationalsozialismus viel komödiantisches Potenzial steckt, ist für mich offensichtlich. Wenn er nicht so grausam und schrecklich gewesen wäre, wäre er vor allem lächerlich. Schon wie die alle aussahen in ihren Uniformen! Allein, «Heil Hitler» zu sagen, ist eigentlich zum Brüllen komisch. Hitler mit seiner Gestik und seinem Geplapper, eine Karikatur seiner selbst. Als ich erfahren habe, dass er einen Schauspiellehrer hatte, musste ich laut lachen. Man denkt, dass man das alles nur erfinden kann, aber es war die Realität. Auch die internen Intrigen, das eitle Rumgockeln von Goebbels, diese ganze Propagandamaschinerie, die sich teils selber sabotierte – das ist alles voller Widersprüche, muss es auch sein; und trotzdem hat es angerichtet, was es angerichtet hat! Daran wollte ich mich einfach auch abarbeiten.

Hat der Film auch etwas Therapeutisches, sowohl für die Welt als auch für dich?

Jeder meiner Filme hat unmittelbar mit mir und meinem Leben zu tun. Es sind auf eigenen Lebenserfahrungen basierende Fiktionen. Ich habe mich immer mit einer Frage oder einer Geschichte beschäftigt, ohne dass ich mich – und das ist vielleicht leider so – wirklich gefragt habe, warum. Ich bin da eher intuitiv und auch unberechenbar.

Ich habe immer mehrere Projekte parallel in Entwicklung und meistens drückt sich dann eines als das wichtigste durch. Das kann ein Projekt sein, das plötzlich alle anderen rechts überholt und sich in die erste Reihe vordrängt, wie Mein Führer. Ich habe nebenbei noch an ganz anderen Sachen gearbeitet.

Welches sind deine nächsten Projekte?

Das weiss ich, ehrlich gesagt, noch nicht. Ich stecke immer noch mitten im Tunnel mit Mein Führer. Der Film ist für mich überhaupt noch nicht abgeschlossen. Eigentlich steht mir die schwerste Phase noch bevor – ich versuche, mich warm anzuziehen für den Winter.

Allerdings gibt es da ein Projekt mit dem Arbeitstitel «Totglücklich», das immer wieder in mir lacht und sagt: «Hallo, komm wieder zu mir!» Eine sehr tragische und schwarze Komödie, die im obersten Jetset spielt. Die Hauptfigur ist ein Tennis-Star. Ein bisschen abgehalftert und nicht mehr ganz so erfolgreich, aber unglaublich reich und berühmt. Das Ganze spielt in Dubai, an einem gigantischen Tennis-Turnier mit fünf Millionen Dollar Preisgeld. Es geht um Medien, um die Yellow Press und um diesen Mann, der ein arroganter Sack ist und sterben muss, es aber nicht kann.

Gibt es keine Liebe in dieser Geschichte? Nur Tennis, Erfolg und Geld?

Doch, doch, auch Liebe ist drin. Es ist eine klassische Remarriage Comedy: Nicht eine neue Beziehung, sondern die alte Ehe wird gerettet. Ich finde es immer so langweilig, dass in vielen Filmen nur dieses Kribbeln, das erste Verliebtsein gefeiert wird, immer bloss diese Boy-Meets-Girl-Struktur. Mich interessiert – wie bei Väter und Alles auf Zucker! – das Thema der alternden Liebe viel mehr.

Wie man sich wieder ineinander verlieben oder seine Liebe neu erfinden kann, das ist etwas, was ich mir für mein Leben sowieso wünsche, und deswegen muss ich mich daran auch immer wieder filmisch versuchen.

Mitarbeit: Laura Daniel

Sascha Lara Bleuler
*1977, Schauspielausbildung am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York. Studium Anglistik, Filmwissenschaft und Fran­zösi­sche Literatur an der Universität Zü­rich. Lehrtätigkeit in Englisch, Filmtheorie und Schauspiel. Freie Journalistin für Filmzeitschriften. Kuratorin von Filmreihen. Programmation der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und des Dokumentarfilmfestivals Visions du Réel. Schauspielerin in Film- und Theaterproduktionen. Lebt in Zürich und Tel Aviv.
(Stand: 2017)
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