Eigentlich sind sie ein schönes Paar, die resolute Ärztin Katja und der vergeistigte Humanwissenschaftler Hendrik. Die beiden leben in einer gemütlichen Wohnung in Berlin und einer eingespielten Beziehung. Katja forscht gegen den Krebs, Hendrik versucht, an einem Buch zu schreiben, und es könnte noch lange so weitergehen. Doch dann beobachtet Katja im Krankenhaus einen Streit zwischen der jungen Algerierin Saïda und einem Mann. Durch ihr gut gemeintes Eingreifen liefert sie Saïda, die sich illegal in Berlin aufhält, kaum Deutsch spricht und als Putzfrau arbeitet, beinahe an die Polizei aus. Saïda verliert ihre Papiere, kann aber flüchten. Voller Schuldgefühle nimmt Katja die junge Frau mit zu sich nach Hause. Hendriks zurückhaltende, beinahe zynische Reaktion darauf kann sie nicht verstehen. Saïda helfen zu wollen, ist für Katja selbstverständlich. Doch Hendriks Worte, dass es sich dabei um «eine Gleichung mit vielen Unbekannten» handle, wird sich bald als geradezu prophetisch herausstellen. Katja versucht, für Saïda einen Pass aufzutreiben, hätschelt und kleidet sie ein und muss sich von Hendrik den Vorwurf anhören, sie tanze «um ihr Goldenes Kalb herum». Sie geht gar so weit, Hendrik und Saïda eine Scheinehe vorzuschlagen. Geflissentlich übersieht sie dabei, dass sich zwischen den beiden längst eine Beziehung anbahnt. Als Katja dies zufälligerweise herausfindet, sind die Heimlichkeiten vorbei. Saïda beginnt nun ganz offen um Hendrik zu kämpfen – und Katjas Verhalten wechselt von einem Extrem in das andere.
KussKuss ist Sören Senns Abschlussfilm an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf, mit dem er den Babelsberger Medienpreis 2005 gewonnen hat. Der Regisseur reduziert das überwältigende Thema Migration auf eine einzelne, greifbare Geschichte und entlarvt Schuldgefühle als eine der Antriebsfedern für so genannt edelmütiges Verhalten. Frei von sämtlichem dramaturgischem Ballast wird die Geschichte geradlinig erzählt, keiner der Charaktere wird geschont oder erhält einen besonderen Sympathiebonus. KussKuss ist ein kompromissloser Film, in dem nie- mand gewinnt oder verliert, Recht oder Un- recht hat; in dem alle an irgendeinem Punkt der Geschichte einmal Opfer und einmal Täter sind. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswe- gen, kann man sich gut mit den Figuren identifizieren. Das Bedürfnis, gegenüber den Schwächeren grossherzig zu sein, wird immer auch überschattet von den eigenen Existenz- und Verlustängsten. Diese Widersprüche werden von allen Darstellern und Darstellerinnen äusserst zurückhaltend, feinfühlig und emotional intensiv gespielt. Nicht zuletzt aus diesen hervorragenden Leistungen bezieht der Film denn auch seine Authentizität. Der Gegensatz von Schein und Sein wird durch musikalische und farbliche Stimmungsbilder spielerisch aufgegriffen. In der deutschen Fassung hat der Regisseur zudem bewusst auf eine Untertitelung von Saïdas Worten verzichtet, wodurch sich das Erleben des Nichtverstehens noch verstärkt.