MICHAEL LANG

ZEIT DES ABSCHIEDS (MEHDI SAHEBI)

SELECTION CINEMA

Der dokumentarische Porträtfilm Zeit des Abschieds schildert dramaturgisch sensibel, formal unauffällig und Anteil nehmend die letzte Lebensphase des 2003 im Zürcher Lighthouse-Hospiz verstorbenen, damals vierundvierzigjährigen, HIV-infizierten Krebskranken Giuseppe Tommasi. In einem vom Autor feinfühlig angeregten Gespräch findet der Todkranke zu einer erstaunlich differenzierten Selbstreflexion. Der Protagonist lässt seine von schweren Schicksalsschlägen geprägte Lebensgeschichte Revue passieren, berichtet von seinen Krankheitsleiden und nimmt Stellung zu seiner emotionalen, seelischen und körperlichen Befindlichkeit. Er tippt auch lebensphilosophische Fragen an und zeigt sich in anrührender Weise mit Personen aus seinem Umfeld.

Zeit des Abschieds beginnt mit dem Tod Tommasis, seiner Kremation und schlägt dann den Bogen zurück ins Leben: Auf eindringliche und ruhige Weise gelingt es Regisseur Mehdi Sahebi, ohne aufgesetzte Kommentare den dramatischen gesundheitlichen Verfall des Patienten sichtbar zu machen und gleichsam dessen enorme psychische Kraft aufzuzeigen, die dem Selbstmitleid keinen Raum lässt. Bemerkenswert ist der Umstand, dass dabei stets eine respektvolle Nähe des Autors zu Giuseppe Tommasi erkennbar bleibt. Zur Vorgeschichte: Sahebi lernte Tommasi in den Achtzigerjahren kennen, verlor ihn dann aus den Augen und erfuhr im Dezember 2002 von dessen Erkrankung. Ab Januar 2003 begleitete Sahebi seinen Bekannten in einem Zeitraum von neun Monaten bis hin zu dessen Tod.

Sahebi verzichtete bei den Dreharbeiten auf eine Equipe, er führte die Kamera und die Gespräche selber. So zeugt Zeit des Abschieds von Respekt und Würde, verzichtet stilistisch auf jegliche Effekthascherei und illustriert in klaren, prägnanten Bildern und Einstellungen die intimen, von einer selbstkritischen Distanziertheit zum eigenen Schicksal beseelten Statements der Hauptperson Giuseppe Tommasi.

Mehdi Sahebi wurde 1963 im Iran geboren und lebt seit 1983 in der Schweiz. Er studierte in Zürich Ethnologie, Geschichte und Völkerrecht und realisiert seit den Neunzigerjahren Filme, etwa Ecce homo (1993), Das Geschenk (1993), Über Grenzen (1994), Un étranger me regarde (2002) und Ali Kahn (2003). Zeit des Abschieds wurde am Filmfestival Locarno 2006 mit dem Preis SSR SRG der Kritikerwoche ausgezeichnet. (ml)

Michael Lang
geb. 1949, studierte Geschichte an der Universität Zürich und ist Filmemacher, Journalist und Buchautor.
(Stand: 2007)
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