NATHALIE JANCSO

NACHTFLATTERN (CARMEN STADLER)

SELECTION CINEMA

Ein sanftes Stöhnen, ein leicht unfokussierter Blick zur Decke, dann Schnitt auf eine abwesend dreinblickende Frau. Sie versucht offensichtlich sich zu konzentrieren, doch eine widerspenstige Locke stört sie dabei. Mit dem unbefriedigenden Versuch einer Befriedigung beginnt Carmen Stadlers Nachtflattern, eine kurze Geschichte über eine Nacht im Leben eines durchschnittlichen Paares.

Patricia und Michi haben eine schöne Wohnung, sie haben einander, sie haben Sicherheit und Liebe. Doch der Sex bringt nicht mehr den gewünschten Höhepunkt, die Intimitäten scheinen abgenutzt und allzu bekannt. Entnervt steht Patricia schliesslich vom gemeinsamen Ehebett auf und verlässt den Raum. Und wieder einmal beginnen die beiden, sich verletzende Bemerkungen an den Kopf zu werfen: Sie nennt ihn einen unfähigen Liebhaber, er bemängelt ihre fehlende Entspanntheit.

Plötzlich liegt er in der Badewanne, ein Schwindelanfall, ganz ohne Grund scheinbar. Panisch greift sie zum Telefon, ruft den Notarzt an und lässt kaltes Wasser in die Wanne laufen. Tiefer Blutdruck oder doch mehr? Die kurze Schwäche von Michi lässt Patricia erkennen, was sie an ihm hat. Was, wenn er plötzlich nicht mehr wäre? Für kurze Zeit scheint der Alltagsfrust angesichts der aussergewöhnlichen Situation vergessen.

Carmen Stadler realisierte Nachtflattern als Abschlussfilm an der HGKZ. Sie inszeniert das Kammerspiel über die ganz alltägliche Beziehungskrise in elegantem Schwarzweiss und mit ungewöhnlichen Perspektiven auf die beiden Personen und ihre nächste Umgebung. Die vertraute Welt scheint aus den Fugen geraten, und die asiatischen Holzfiguren auf der Schlafzimmerkommode schauen dem allzu menschlichen Treiben stumm und starr zu. Die prägnanten Dialoge mit stellenweise leicht bitterem Unterton machen die Resignation bezüglich des alltäglichen Frusts deutlich. Die Protagonistin (und mit ihr die Regisseurin) scheint nicht mehr gewillt, die ewigen Missverständnisse zwischen den Geschlechtern einfach so hinzunehmen.

Nathalie Jancso
*1969, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Germanistik an der Universität Zürich. Arbeitet als Filmredaktorin beim Schweizer Fernsehen und war von 2007 bis 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion.
(Stand: 2013)
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