JULIA MARX

BUILDING THE GHERKIN (MIRJAM VON ARX)

SELECTION CINEMA

Zigarre, Rakete, Fabergé-Ei, Tannenzapfen, Essiggurke, Patrone: Wenige Gebäude haben die Fantasie der Betrachtenden so angeregt wie das konisch geformte Swiss-Re-Hochhaus in London. Durchgesetzt hat sich schliesslich die Bezeichnung «Gherkin», also Gurke. Building the Gherkin heisst denn auch der Dokumentarfilm, in dem die Regisseurin Mirjam von Arx die Entstehung dieses Wolkenkratzers begleitet.

Wir sehen, wie das Beton-Fundament gegossen, wie der erste Stahlträger aufgerichtet und in Schwindel erregender Höhe die Glaslinse in die Spitze des Gebäudes eingesetzt wird. Am Ende schiesst der ganze Turm noch einmal im Zeitraffer in die Höhe. Für etwas Spannung sorgt der regelmässig eingeblendete Countdown: Wird man rechtzeitig fertig werden? Mehr dramatisches Potenzial findet von Arx in Interviews mit den Menschen, die massgeblich an dem Turmbau von London beteiligt sind: der Stadtplaner, der dem Standort London mit einem modernen Wahrzeichen ein zukunftsträchtiges Image verpassen will; Stararchitekt Sir Norman Foster, dem viel daran liegt, endlich wieder ein Grossprojekt zu realisieren; der Bauherr, der Schweizer Rückversicherer Swiss Re, der mit herausragender Architektur das Plazet der Stadt ergattern und einen repräsentativen Firmensitz schaffen möchte. Alle drei brauchen einen Prestigebau, doch das schliesst Konflikte zwischen Kundenbedürfnissen und dem künstlerischen Konzept der Architekten nicht aus. So muss ein deutlich ungehaltener Foster in die saure Gurke beissen und hinnehmen, dass eine andere Firma mit dem Innenausbau beauftragt wird.

Bauen ist Business, zeigt uns der Film, und Prestige ist eine harte Währung. Ein Umstand, dem auch Building the Gherkin seine Existenz verdankt, denn er wurde komplett von der Swiss Re finanziert und von ihr auch zur Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt. Allerdings sicherte man der Regisseurin Meinungsfreiheit zu.

Hauptfigur ist nicht, wie man hätte meinen können, Sir Norman Foster, sondern die Bauleiterin Sara Fox, die resolut die Interessen des Bauherrn vertritt. Die eiserne Lady führt uns mit Humor und sogar einem Quäntchen Emotion durch die «ups and downs» des Bauprozesses. Zu Letzteren gehört die anfängliche Ablehnung des Bauwerks, die sich in hämischen Übernamen wie «Erotic Gherkin» niederschlug, und der 11. September, der in eine frühe Bauphase fiel. Doch die Entstehung von derart Monumentalem verströmt leicht einmal einen feierlichen Optimismus, der schwerer wiegt. Auch, weil von Arx das ästhetische Schauspiel voll ausschöpft: Eine raffinierte Zeitrafferfahrt umkreist das Gebäude; Luftaufnahmen lassen dessen Spitze für Momente wie ein Mandala erscheinen. Wenn der schlanke Glasriese im Sonnenlicht glänzt oder nachts leuchtet wie ein glitzernder Weihnachtsbaum, ist das ein wundervolles Spektakel. Missglückt ist den Machern eigentlich nur die Namensgebung: Zwar schert sich keiner drum, aber die Gurke heisst offiziell 30 St Mary Axe.

Julia Marx
geb. 1974 in München, studierte Filmwissenschaft, Publizistikwissenschaft und Germanistik in Zürich. Doktorandin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und seit 1998 Filmkritikerin für den «Tages-Anzeiger».
(Stand: 2007)
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