Wir wollen nicht noch einmal die „Heimat“ heraufbeschwören, nicht jene unverrückbaren und ewigen Werte jedenfalls, die einen Lebensraum und den „Menschenschlag“, der ihn bewohnt, so unverwechselbar (und obendrein womöglich noch „besser“) machen soll. Wir sprechen von Territorien, und „Territorium“ ist ein dynamischer Begriff. Ein Territorium hat eine Geschichte, es wandelt, verändert sich, und es ist keineswegs undurchlässig für die Einflüsse der „Welt ausserhalb“. Bruno Fischli schreibt in seinem Beitrag über Heimat von Edgar Reitz: „Der Manichäismus von Heimat und Fremde, von Land und Stadt, von (angeblich) Eigenem und Fremdem ist überhaupt das auffälligste Kennzeichen der regressiven Heimatideologie; er fand im Blut-und-Boden-Kult der Nazis, wo die widersprüchliche Realität nicht nur in zwei antagonistische und unversöhnliche Welten aufgespalten, sondern der als böse gebranntmarkte Teil der physischen Vernichtung überantwortet wurde, den perversesten Ausdruck.“ Es gibt keinen Plural des Wortes Heimat: „Heimaten“ ist zumindest ungebräuchlich. „Territorien” hingegen ist eine geläufige Wendung. Neben dem einen bestimmten Territorium liegt ein anderes. Die Welt ist ein System von (sich überlappenden, überlagernden) Territorien, Sprachen, Kulturen, Geschichten. Betrachtet man heute die Produkte der Kulturindustrie, würde man’s manchmal kaum glauben. Die Verwischung der Konturen ist vielleicht in der Unterhaltungsmusik am weitesten fortgeschritten. Die sogenannten Musiksender dokumentieren einen geradezu unheimlichen Geschichts- und Identitätsverlust. Und der industrielle Film, der die Kinos dominiert, aber noch deutlicher die Fernsehprogramme stehen diesem „Internationalismus“ — der selbstverständlich keiner ist, sondern viel eher der Ausdruck einer beispiellosen Kolonisation — kaum nach. „Macht doch einmal so gute Musik wie die US-Amerikaner“, haben Radioleute aufbegehrenden brasilianischen Musikern gesagt, „dann senden wir sie auch.“ Im Kino und beim Fernsehen gilt immer noch ähnliches; machen wir uns nichts vor. Diese Ausgabe von CINEMA beschäftigt sich mit Filmen und Filmautoren, die auf je persönliche Weise mit ihrer eigenen Territorialität umgehen. Und wir fassen den Begriff nicht zu eng. Claude Lanzmanns Versuch, das Territorium der Todeslager einzukreisen, ohne auch nur eine einzige Archivaufnahme heranzuziehen, gehört ebenso ins Konzept wie die bodenlosen Spekulationen von Raul Ruiz und die politische Filmarbeit des Deutschen Peter Nestler, dessen Arbeit im eigenen Land nicht mehr gefragt war. Die Herausgeber

CINEMA #32
TERRITORIEN