CYRIL THURSTON

DAS KALTE PARADIES (BERNARD SAFARIK)

SELECTION CINEMA

Bernard Safarik beschreibt in seinem Film den steinigen Weg, den die ausländischen Flüchtlinge beschreiten müssen, um in der Schweiz Asyl zu erlangen. Nach Hunderennen ist dies der zweite Film des Exiltschechen, der sich mit der Asylantenproblematik auseinandersetzt. Obwohl die Flüchtlingsproblematik in unserem Land zu reger Auseinandersetzung Anlass gibt und sich eine Zunahme rassistischer Tendenzen feststellen lässt, ist Safarik der einzige, der dieses brisante Thema im Film aufgreift und behandelt. Wie beim ersten Film geht Safarik sein Thema auf komödiantische Weise an. In erfrischenden Beispielen mokiert er sich über die kleinkarierte und engstirnige Art des Durchschnittsschweizers, der sich gegenüber fremden Menschen und Kulturen verschlossen und verständnislos zeigt. Besucher eines Flüchtlingsheims benutzen den „Tag der offenen Tür“ nicht dazu, einen tieferen Einblick in die Flüchtlingsproblematik zu gewinnen, sondern prüfen die Insassen vorurteilsbeladen nach Sauberkeit, indem sie mit den Fingern über Regale fahren. Im Zentrum der Geschichte steht das tragische Schicksal zweier Asylbewerber, das Safarik mit Galgenhumor schildert. Er beschreibt das Zusammentreffen des Osteuropäers Jan mit der Südamerikanerin Elba. Beide waren in ihren Heimatländern gewerkschaftlich aktiv und gezwungen, ihrer Sicherheit wegen zu fliehen. Elba und Jan verlieben sich und erwarten alsbald ein Kind. Mit Hilfe von Freunden gelingt es ihnen, eine Wohnung zu finden. Doch ihr kleines Glück lässt sich nicht so leicht realisieren, wie sie sich das vorgestellt haben. Solange der Asylentscheid nicht gefällt ist, wird ihnen die Trauung verwehrt. Jans Asylgesuch wird von der Fremdenpolizei in Bern abgelehnt. Nach einem erfolglosen Rekurs wird Jan gewaltsam in ein Flugzeug gesetzt und in sein Heimatland abgeschoben. Elba bleibt mit ihrem inzwischen geborenen Kind alleine in der Schweiz zurück. Wenige Zeit später wird auch Elbas Asylgesuch negativ beantwortet. Um demselben Schicksal zu entgehen, versucht Elba die Grenze nach Frankreich zu überschreiten. Doch der Versuch scheitert, sie wird von einem französischen Zöllner erwischt und wieder in die Schweiz abgeschoben. Mit Hilfe ihrer Nachbarin verstecken sich Elba und ihr Kind in einem abgelegenen Bergdorf und entziehen sich vorerst dem Zugriff der Fremdenpolizei.

Bernard Safarik schildert uns diese teilweise authentische Geschichte in einer einfachen, trockenen Bildsprache. Seine Bemühungen, die Asylproblematik süffig und unbeschwert darzustellen, gleiten zeitweise ins Triviale ab, ohne dabei allerdings an Ernsthaftigkeit zu verlieren. Der Filmrhythmus ist ruhig und langsam, die dramaturgischen Bögen verlaufen eher flach und substanzlos, geben dem Film Längen. Speziell nach der Ausschaffung Jans — welch zaghafte Umschreibung eines Akts, der für die Flüchtlinge allenfalls den Tod bedeutet — verliert sich der Film in Nebensächlichkeiten, schleppt sich seinem Ende entgegen. Safarik hat mit Laienschauspielerinnen gearbeitet. Sie geben dem Film eine gewisse Unmittelbarkeit, verleihen ihm stellenweise fast dokumentarischen Charakter. Andererseits leiden Spiel, Sprache und Gestik unter dieser Laienhaftigkeit. Abgesehen von einigen ausdruckstarken Momenten bleibt das Spiel zumeist kraftlos, zuwenig nuanciert. Dennoch ist Das kalte Paradies ein wichtiger und wertvoller Film. Inhalt und Darstellung der Geschichte helfen mit, in den Asylsuchenden endlich Menschen zu sehen und nicht nur fremde, unverstehbare und skurrile Wesen. In dem Sinne bleibt auch zu hoffen, dass der Packeismantel, der die restriktive schweizerische Asylpolitik umgibt, abschmilzt.

Cyril Thurston
geb. 1957, seit 1982 für die Programmierung des Kinos Xenix in Zürich mitverantwortlich, Mitarbeiter des Filmfestivals Locarno 1987/88, hat verschiedene Kurzfilme realisiert und ist seit 1991 mit einer Senegalesin verheiratet.
(Stand: 2019)
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