Politik und Geschichte liefern eigentlich ausreichend Stoff für zahlreiche kurze Animationsfilme. So schuf in den 1990er-Jahren Jonas Raeber kontroverse Werke wie Patt (1990), Hoffen auf bessere Zeiten (1993), Grüezi (1995) und Credo (2000), in denen er sich mit der Armee, der Rüstungsindustrie, Fremdenfeindlichkeit und der katholischen Kirche beschäftigte. Doch solch explizit gesellschaftspolitische Themen wurden in den Jahren danach im Schweizer Animationsfilm nur noch vereinzelt behandelt.
In den letzten Jahren präsentiert sich nun der Tessiner Marcel Barelli als legitimer Nachfolger von Raeber. 2011 verknüpfte Barelli in Gypaetus helveticus auf satirische Weise die Ausrottung des Bartgeiers mit der Angst vor und dem mit Vorurteilen belasteten Umgang mit Fremden. Von Umweltschutz und den tödlichen Auswirkungen von Pestiziden auf Bienenvölker erzählte er dann in Vigia (2013).
Genau so aktuell ist nun auch Lucens. Der Titel bezieht sich auf den Ort, wo 1961 mit dem Bau eines Versuchsatomkraftwerks begonnen wurde. Nach Verzögerungen mit Pannen und finanziellen Problemen erzeugte der Reaktor 1968 den ersten Nuklearstrom in der Schweiz. Doch nach einer zwischenzeitlichen Revision kam es bei der Wiederaufnahme des Betriebes am 21. Januar 1969 zu schweren Schäden im Reaktorkern, die einen Weiterbetrieb verunmöglichten.
Historisches Bildmaterial dient Barelli als Ausgangspunkt für eine spöttische Aufarbeitung der Vorfälle. Der Filmemacher setzt dabei wie in seinen beiden vorherigen Werken auf einen respektlosen und teilweise auch infantilen Humor. Er lässt Cartoon-Menschen in grotesken Schutzanzügen ein zum Scheitern verurteiltes Projekt betreiben. Auf der Tonspur schildert der Kommentar neutral die Geschichte des Reaktors. Ironisch gebrochen wird die Schilderung durch die Bilder und die Musik. Während im Bericht auf die grosse Sorgfalt beim Betrieb hingewiesen wird, steckt sich ein Arbeiter neben dem Reaktor eine Zigarette an und die Atomkraft wird mit einer Peitsche gezähmt. Ausserdem jagen die Experten mit einem Besen einen Bären aus dem neuen Gebäude, stecken sich gegenseitig Frauenfürze in die Hose oder benutzen die Bedienpulte als Steel-Drum-Instrumente, um ein wenig Calypso zu spielen.
Nach dem Unfall reisen die Experten ab und geben Auskunft über ihre zukünftigen Arbeitsorte. Sie geben Länder an, in denen es später ebenfalls zu Reaktorunfällen kommen wird: Frankreich (Saint-Laurent), Japan (Fukushima) und Ukraine (Tschernobyl). Barelli lässt keine Zweifel an seiner Botschaft aufkommen: Sicherheit im Zusammenspiel von Technik und Mensch sind für ihn eine Illusion.