DORIS SENN

BROKEN LAND (STÉPHANIE BARBEY, LUC PETER)

SELECTION CINEMA

Ein langer schwarzer Streifen zieht sich durch die Wüstenlandschaft, deren sanfte Dünen bis zum Horizont reichen. Dann in Nahaufnahme: ein Kinderstrumpf, eine rosa Tasche, ein Plastikkrieger mit abgebrochenem Bein – vom Sand halb verschluckt.

Das dunkle Band ist der Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA, und soll vor «illegalen» Immigranten «schützen». Von oben wirkt die Grenze wie ein scharfer Schnitt durch eine weite, friedliche Landschaft. Wir fahren mit einem Mann im Auto zur «Rou­tinekontrolle». Bizarr, was uns der sympathische Rentner – ein Bewohner der Gegend auf der US-Seite – als seinen Alltag schildert: das Über­prüfen der 16 Kameras, die seine abgelegene Farm überwachen, die beiden Waffen, die er und seine Frau neben dem Bett liegen haben, um sich gegen Eindringlinge zu wehren, die vielen Notfallnummern von Polizei, Grenzwacht, CIA, die er sicherheitshalber auf seinem Handy gespeichert hat …

Die beiden aus der Romandie stammenden Filmschaffenden Stéphanie Barbey und Luc Peter zeichnen mit Broken Land ihren zweiten Dokumentarfilm. Nach Magic Radio (2007), in dem eine nigerianische Radiostation im Zentrum stand, widmen sie sich hier einem Dauerthema der Welt-News: Der Migration von Süd- nach Nordamerika, dem Drogenhandel, den Konflikten rund um die Grenze. Dazu haben sie den Blickpunkt von US-Grenzanwohnern ausgewählt. Ein Spektrum, das zwar sehr wohl faschistoide Vietnamveteranen umfasst, die als selbst ernannte Bürgerwehr der Grenze entlang patrouillieren, aber auch so geerdete Viehzüchter wie jener, der den Zeiten nachtrauert, als das Vieh frei im Grenzgebiet weiden konnte und man in nachbarschaftlichem Kontakt mit den Ranchern auf der anderen Seite der Grenze stand, oder das Alt-Hippie-Ehepaar, das Essen und Trinkwasser an Orten versteckt, wo Flüchtende in der Regel haltmachen.

Denn, so wird klar, nicht nur veranlassen repressive Politik, Drogenkrieg und Not die Menschen aus dem Süden zur Flucht, was sie häufig auf ihrem Weg mit ihrem Leben bezahlen. Die ebenso verzweifelten wie wenig fruchtbaren Versuche des Nordens, sich gegen den Flüchtlingsstrom abzuschotten, machen die US-Bürger und -Bürgerinnen in unmittelbarer Nähe zum Grenzzaun selbst zu Gefangenen und Opfern der Staatspolitik.

Unter der künstlerischen Mitarbeit von Peter Mettler (The End of Time), der auch für Kamera und Schnitt mitzeichnet, schufen Barbey und Peter ein ebenso aufwühlendes wie subtiles Porträt eines Landstrichs, entlang dessen sich die Widersprüche von Nord und Süd, von Arm und Reich, von Unterdrückung und Profit herauskristallisieren. Dazu ebenso unprätentiös und brillant: Die Mischung aus feinen Klängen, in denen Bruitage und Musik unmerklich auftauchen, ineinander übergehen und wieder verklingen – gezeichnet von Franz Treichler, Mitglied der legendären Westschweizer Band Young Gods, die den Film zu einem kleinen, feinen Meisterwerk machen.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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