BETTINA SPOERRI

DER GOALIE BIN IG (SABINE BOSS)

SELECTION CINEMA

Die filmische Umsetzung des Mundart-Romans Der Goalie bin ig (2010) von Pedro Lenz bewahrt alle Ingredienzien, die dem Buch einen Bestseller-Erfolg bescherten: Die sympathische Verliererfigur mit ihrem weichen Dialekt, das nostalgisch angehauchte Flair der 1980er Jahre, die Melancholie einer halb erwiderten Liebe. Dass der Schriftsteller in die Übersetzung des Prosatextes in das Drehbuch mit einbezogen wurde, sorgt zudem für den richtigen Ton der Dialoge und der Erzählstimme des Goalies (Marcus Signer). Das Resultat ist ein stimmiger Film, der denn auch mit vier Schweizer Filmpreisen ausgezeichnet wurde (Regie; Hauptdarsteller; Drehbuch; Musik).

Der Goalie bin ig erzählt von einem einstmals Drogensüchtigen, der versucht, in einem normalen Leben Fuss zu fassen, sich angesichts der Realitäten seines Lebens aber auch gerne etwas vormacht. Er interessiert sich für Regula (Sonja Riesen), die Serviererin in seinem Stammlokal, beginnt von einem Neuanfang für sich und mit ihr zu träumen – doch in seiner vertrauensvollen Naivität rechnet er nicht mit der Hinterhältigkeit seiner Kollegen und Freunde. Sein bester Freund (Pascal Ulli) bittet ihn um einen Gefallen, er soll für ihn den Drogenkurier spielen, es winkt viel Geld. Was der Goalie nicht weiss: Das ist ein abgekartetes Spiel, um die Polizei auf ihn anzusetzen und vom grossen Geschäft abzulenken. Doch er tut, was seine Kollegen von ihm nicht anders erwartet haben: Er verrät niemanden, nimmt die Schuld auf sich, muss eine längere Strafe im Gefängnis absitzen. Als er wieder auf freiem Fuss ist, beginnt er um «d’Regi» zu werben, verbringt mit ihr – nachdem ihr Freund sie geschlagen hat – sogar eine kurze gemeinsame Zeit in Spanien, glaubt das Glück nun zum Greifen nah. Erst (zu) spät merkt er, wie sehr ihn die vermeintlichen Freunde betrogen haben.

Sabine Boss inszeniert diese Geschichte eines nicht sehr lebenstüchtigen Mannes mit dem Herz auf dem rechten Fleck auf unprätentiöse Weise und gutem Gespür für einen stimmigen Rhythmus, der den Schauspielern Raum gibt, die Gefühle der Figuren sicht- und spürbar zu machen. Signer ist die ideale Besetzung der Titelfigur; er gibt den Goalie als warmherzigen Mann mit leicht verschlafenem Blick, der zur Verharmlosung seiner Süchte neigt (den Alkohol kann er nur kurz lassen, und am Ende ist er zu den Drogen zurückgekehrt), aber immer wieder über sich hinauswächst. Dieser Goalie ist umgeben von einer starken Schauspieler-Gruppe (Pascal Ulli, Son­ja Riesen, Michael Neuenschwander u. a.), der Kamera (Michael Saxer) gelingen berührende Inszenierungen seiner Gefühlzustände, die von schwebender Glückseligkeit bis hin zum Erkennen schmerzhafter Wahrheiten reichen, und der Soundtrack u. a. von Züri West unterstreicht das Leiden empfindlicher Herzen in einer berechnenden Welt.

Bettina Spoerri
*1968, Dr. phil., studierte in Zürich, Berlin und Paris Germanistik, Philosophie, Theater- und Filmwissenschaften, danach Dozentin an Universitäten, der ETH, an der F&F. Begann 1998, als freie Filmkritikerin zu arbeiten und war Redaktorin (Film/Theater/Literatur) bei der NZZ. Mitglied Auswahlkommission FIFF 2010–12, Internat. Jury Fantoche 2013, mehrere Jahre VS-Mitglied der Filmjournalisten, Mitglied bei der Schweizer Filmakademie. Freie Schriftstellerin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses. CINEMA-Redaktorin 2010–2017, heute Mitglied des CINEMA-Vorstands. www.seismograf.ch.
(Stand: 2021)
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