DANIEL DÄUBER

TANNÖD (BETTINA OBERLI)

SELECTION CINEMA

Dunkel und in fahlen Farben gehts vorerst zu und her in Bettina Oberlis Adaption von Andrea Maria Schenkels Krimibestseller Tannöd. Mit diesem Fast-Schwarz-Weiss korrespondiert die karge Landschaft, darüber ein milchiger Himmel, und die Mienen der ländlichen Bevölkerung sind ebenso starr wie der winterliche Acker. Der schreckliche Mehrfachmord auf einem Einödhof, der sich tatsächlich zugetragen hat, bleibt dann im Dunkel der Bilder nur angedeutet.

Als eine junge Frau aus der Stadt zwei Jahre später zur Beerdigung ihrer Mutter ins Heimatdorf zurückkehrt, wird die Szenerie son­niger, die Farben werden satter. Kathrin schreitet in einem Rotkäppchen-Mantel durch den Märchenwald, dazu erklingt eine Musik wie aus der Spieldose. Doch die Baumwipfel rauschen im Wind und scheinen auf jene unheilvollen Verstrickungen hinzuweisen, wel­che Kathrin aufdecken wird. Im Folgenden springt der Film hin und her zwischen der Zeit des Mordes und dem Besuch von Kathrin, beides verortet in den Fünfzigerjahren. Indem sie ihre eigene Familiengeschichte rekonstruiert, kommt die junge Frau nicht nur dem Mord an der Bauernfamilie Danner auf die Spur, sondern entdeckt auch die Verbindung ihrer Mutter zu den unheilvollen Geschehnissen.Die anonyme Erzählstimme der Buch­vorlage überträgt der Film der alten Traudl; sie ist die Einzige, die un­angenehme Fragen zu stellen wagt und die Scheinheiligkeit anprangert. Etwas ungelenk wird die Multiperspektive des Buches in den verschiedenen Ansichten der Dörfler aufgefächert, als diese beim Leichenmahl oder um ein Feuer sitzen. Überhaupt bleibt diese Landbevölkerung arg schablonenhaft; da hilft auch der ans Bayrische erinnernde Kunstdialekt we­nig.

Insgesamt liegt Oberli die Inszenierung at­mosphärischer Einzelmomente mehr als der grosse Handlungsbogen. Während das Buch die höchst unterschiedlichen Mosaiksteinchen nach und nach zu einem Ganzen zusammenfügt, zerfällt der Film in Bilder, Stimmungen, Episoden. Diese evoziert er allesamt gekonnt, doch pendelt er damit auch immer zwischen einem deftigen Landkrimi, einem kritischen Sittenbild der Nachkriegsjahre und einer dramatischen Familiengeschichte samt schicksal­hafter Liebe. Kann man mit einer Romanver­filmung überhaupt reüssieren? Darauf lastet nicht nur der Druck des Er­folgs der Buchvorlage; jede Leserin und jeder Leser hat sich ja sein eigenes Bild vom Gesche­hen gemacht. Weicht man zu sehr von diesem Kanon individueller Vorstellungen ab, besteht zwar die Chance auf etwas Neues. Gleichzeitig enttäuscht man aber das Lesepublikum, welches sich eine Bebilderung des Buchs wünscht.

Tannöd hat sich zwischen diesen verschiedenen Ansprüchen etwas aufgerieben. Herausgekommen ist von beidem etwas, aber nichts wirklich Eigenständiges.

Daniel Däuber
*1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, unter anderem für die Schweizer Filmzeitschreiften Zoom und Film geschrieben und arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2011)
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