BETTINA SPOERRI

LAS PELOTAS (CHRIS NIEMEYER)

SELECTION CINEMA

Wie unbedingte Fussballbegeisterung in eine ziemlich gewagte genetische Versuchsanordnung münden kann, erzählt der 1973 in Zürich geborene Filmemacher Chris Niemeyer in seinem wunderbar frechen und eigenwilligen viertelstündigen Kurzfilm Las pelotas (spanisch «Die Bälle»). Der Titel darf in diesem Fall ruhig zweideutig aufgefasst werden, und mit der Gelassenheit der Grossmutter in dem Film – aufgrund ihrer Erfahrung mit der Zucht von Tieren die Verkuppelungsexpertin – kann es wohl kaum jemand aufnehmen.

Alles beginnt auf einem Fussballfeld in der argentinischen Provinz, wo Väter auf den Zuschauerrängen von der grossen Zukunft ihres kickenden Nachwuchses träumen, denn heute sind die Scouts der bedeutenden Fussballclubs anwesend. Doch die Enttäuschung von Chato und Lopez ist gross, denn für ihre Jungs interessiert sich keiner. Auf ihre Nachfrage, warum ihre Sprösslinge nicht gut genug seien, heisst es, der eine habe eine schöne Linke, der andere sei ein guter Kopfballspieler. «Die Kombination von beiden, das ergäbe einen Superspieler», sagt der Mann im Anzug freundlich und rauscht in seinem teuren Wagen davon. Doch für Chato und Lopez ist dieser Bescheid kein Grund zur Resignation; vielmehr führen sie den Gedankengang konsequent zu Ende und ruhen nicht, bis sie eine solche Kreuzung – mit einiger Bauernschläue – in die Wege geleitet haben. Dafür müssen aber auch die Frauen mitmachen. In diesem wunderbar humorvollen, ja spitzbübischen Film haben sie volles Verständnis für den fussballerischen Zeugungsehrgeiz ihrer Männer und sind nur ein klein wenig nervös – nicht minder Chato und Lopez –, als tatsächlich der Partnertausch und der Akt stattfinden, natürlich unter den strengen Schiedsrichteraugen der Anstandsdame Grossmutter, die sich wie gesagt durch nichts erschüttern lässt. Wenn es dann «9 Monate später» in der Geburtsabteilung heisst: «Es ist ein Junge», wissen die beiden Männer nicht zu nennen, wer der Vater des Neugeborenen sei. Und als Zuschauer fragt man sich auch zumindest kurz, was denn nun aus dem zweiten Beischlaf geworden ist – doch gerade das augenzwinkernde Ignorieren solcher «Probleme» macht diesen Kurzfilm, der mit dem Schweizer Filmpreis für den Besten Kurzfilm und unter anderem auch mit dem Pardino d’oro für den Besten Schweizer Kurzfilm am Filmfestival Locarno ausgezeichnet worden ist, so unwiderstehlich witzig.

Genaues Timing von den Dialogen bis hin zum Schnitt, ein präziser Sinn für ironisierende Perspektiven und Bildkompositionen, zwei überzeugende Schauspieler-Paare und bei all dem ein Humor, der meisterhaft die Balance hält und nie ins Grobe kippt oder die Figuren ins Lächerliche abdriften lässt, machen den Zauber dieses kleinen Meisterwerks aus.

Bettina Spoerri
*1968, Dr. phil., studierte in Zürich, Berlin und Paris Germanistik, Philosophie, Theater- und Filmwissenschaften, danach Dozentin an Universitäten, der ETH, an der F&F. Begann 1998, als freie Filmkritikerin zu arbeiten und war Redaktorin (Film/Theater/Literatur) bei der NZZ. Mitglied Auswahlkommission FIFF 2010–12, Internat. Jury Fantoche 2013, mehrere Jahre VS-Mitglied der Filmjournalisten, Mitglied bei der Schweizer Filmakademie. Freie Schriftstellerin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses. CINEMA-Redaktorin 2010–2017, heute Mitglied des CINEMA-Vorstands. www.seismograf.ch.
(Stand: 2021)
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