Selbstverständlich habe er gewildert, gesteht der anonyme Wilderer. Schliesslich habe er «an einem solchen Ort» gewohnt. Gemeint ist Wolfenschiessen in Nidwalden, wo die illegale Jagd auf Gämsen, Steinböcke und Rehe einigen Männern angeboren zu sein scheint. So schildert es Thaïs Odermatt im einfühlsamen Dokumentarfilm Nid hei cho, in dem ein tragisches Schicksal im Mittelpunkt steht.
Nur mit der Luftseilbahn ist die Alp im Innerschweizer Kanton erreichbar, auf der Anna Arnold mit ihrem Mann Jost glückliche Winter erlebte. Doch im Sommer musste sich die Bäuerin von der Unteralp oft um ihren Gatten Sorgen machen; wenn er sich wieder das Gewehr schnappte und ans Wildern machte. Fast eifersüchtig sei sie auf das «Gwild» gewesen, das ihrem Mann anscheinend mehr bedeutet habe als sie.
Auch Toni Arnold von der Oberalp, ein Cou-Cousin von Jost, berichtet über das unheilvolle Gen in der Familie, das die Männer im Sommer in Gefahr bringt. Fünf oder sechs junge Männer aus der Familie seien im Alter zwischen 25 und 50 bei der Jagd verunglückt. Seine Frau Therese fügt hinzu, dass sie den Respekt vor der Natur verloren und die Risiken nicht mehr wahrgenommen hätten. Das Hirn der Männer sei auf der Jagd ausgeschaltet. Der Wahnsinn der Männer wird zur Last der Frauen.
Die Stimmen von Anna Arnold, Toni Arnold und dem anonymen Wilderer vereinen sich in Nid hei cho zu einem Gespräch über die unselige Leidenschaft und Sucht der Bergmänner. An den Anfang stellt Regisseurin Thaïs Odermatt allgemeine Feststellungen über die Schicksale der Männer und die Auswirkungen auf die Frauen. Allmählich leitet sie dann zum konkreten Fall über, vertieft die emotionale Spannung: Anna Arnold zeigt Bilder von ihrem Mann. Die Stimme wird zittrig, als sie vom tragischen letzten Abschied zu erzählen beginnt. Toni Arnold führt derweil zu der Stelle, an der sein Vater starb, und in die Berghütte, in der er den verunglückten Jost gefunden hat.
Die stillen Bilder von der verschneiten Landschaft und die Eindrücke von den Höfen vermitteln die Abgeschiedenheit und die Isolation von der Aussenwelt. Dazwischen sind Aufnahmen von der Hegejagd (Abschüsse von kranken Tieren) montiert, die Odermatt von einem Wildhüter erhalten hat. Packend gestaltet sie diese Chronik des Unglücks und führt sie zum ebenso traurigen wie versöhnlichen Ende. Die Nachricht vom Tod ihres Mannes war nicht nur ein Schock für Anna Arnold, sondern auch eine Erleichterung. Sie muss nicht mehr warten und Angst haben. Man weiss jetzt, wo er ist.
Für ihren kurzen Dokumentarfilm wurde Thaïs Odermatt 2009 mit dem Förderpreis für den besten Absolventenfilm der Babelsberger Medienpreise ausgezeichnet, und sie erhielt eine Nomination für den Schweizer Filmpreis 2010.