DORIS SENN

QUE SERA? (DIETER FAHRER)

SELECTION CINEMA

«Do het me es Läbe lang Sorg zum alt wärde – und wenn me alt isch, dänkt meh, me hätt lieber nid eso Sorg treit ...» So die resignierte Bilanz einer Bewohnerin des Alters- und Pflegeheims Schönegg in Bern. Die Schönegg ist für diejenigen, die dort einziehen, die letzte Station im Leben. Das Alter der Bewohner bewegt sich zwischen 75 und 100 Jahren – auf ein gutes Dutzend Frauen kommt gerade ein Mann. Die Zeit fliesst zäh dahin – die banalen Rituale des Heimalltags sind gleichzeitig auch die wenigen Ereignisse des Tages: Wecken, Morgentoilette, Mittagessen, Abendessen, Bettruhe. Den grössten Teil der Zeit verbringt man im ungeselligen Zusammensein auf dem Gang: Die einsilbigen Dialoge oder besser Monologe brechen meist nach ein, zwei Sätzen wieder ab. Für uns ZuschauerInnen entbehren sie nicht einer gewissen humorigen Skurrilität: Zum Beispiel wenn moniert wird, dass es just jetzt, wo man doch Zeit hätte, keine Orangen gebe. Oder wenn ausgerechnet die verbissene Claire von sich behauptet, «schon noch gerne zu lachen». Oder wenn ein aggressiver Wortwechsel zu einem Gerangel mit den Stützwägelchen führt, mit deren Hilfe sich die Alten durch die Gänge bewegen.

Sonst aber zeugen die dokumentierten Momente aus dem Heimalltag vor allem von der Einsamkeit dieser alten Menschen, ihrer Unfähigkeit oder ihrem Unwillen zu kommunizieren, von der Flüchtigkeit des Lebens, das nicht einmal mehr als Erinnerung präsent ist, von der Konfrontation mit dem unausweichlichen körperlichen Zerfall. Allerdings etwas Besonderes hat die Schönegg: nämlich eine Art institutionalisierte Generationenbegegnung. Als kleiner Lichtstrahl und Kontrast ist im ersten Stock ein Hort eingerichtet worden, dessen Kinder mit ihren Leiterinnen dem Altersheim immer mal wieder einen Besuch abstatten: Man backt gemeinsam oder malt – und wir sehen, wie die SeniorInnen mit verlorenem Blick in eine ferne Kindheit zurückschauen und die Kleinen mit grossen Augen die mitunter wunderlichen Alten bestaunen.

Dieter Fahrers Que sera? – der titelgebende Song von Doris Day wird an einer Nachmittagsunterhaltung gespielt – ist ein mutiger Film. Und dies ist alles andere als eine Floskel. Denn es braucht tatsächlich eine gehörige Portion Mut, einen Film diesem Thema zu widmen, seine Kamera mit Geduld darauf zu richten, wo man mit Vorliebe die Augen verschliesst und die Gedanken abwendet: Alter, körperlicher und geistiger Zerfall, Sterben. Doch nicht nur die Wahl des Sujets verdient Anerkennung – auch die Herangehensweise, die trotz der oft schonungslosen Nähe noch Anteilnahme zu vermitteln vermag. Fahrer schöpft dabei aus seinem Erfahrungsschatz: Er arbeitete als Hilfspfleger in der Schönegg und kann seine Sympathie für die Senioren auch für aussen Stehende vermitteln. Die Kamera, die er selbst bediente, fand dabei den richtigen Ausgleich zwischen registrierender Nähe und respektvoller Distanz, zwischen Empathie und einer philosophischen Leichtigkeit, die alles in einen Fluss von Werden und Vergehen setzt. So entlässt einen der Film nachdenklich, aber nicht hoffnungslos, auch wenn die Fragen nach dem Altwerden, nach Würde, Selbstbestimmung, dem Sinn und der Gestaltung des Lebens noch lange nachklingen.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]