CINEMA erscheint hiermit im 50. Jahrgang. Das Jubiläumsbuch zu diesem stattlichen runden Geburtstag präsentiert sich mit dem Titel «Essay» und will damit der Feier ein Motto geben. Ein Motto, das nicht ganz uneigennützig die Arbeit an CINEMA selbst widerspiegeln und inspirieren soll. Denn mit Essay ist hier sowohl die Filmform als auch die Textgattung gemeint, die beide immer wieder durch ihre offene und selbstreflexive Art des Nachdenkens neue Erkenntnisräume wie auch sinnliche Erlebnisse erschlossen haben. Sei es in Bild und Ton oder mit dem Wort, filmische wie literarische Essays gehen ihre Themen gerne aus verschiedenen Perspektiven an. Sie haben den Mut, blinde Flecken zwischen den Blickachsen wie auch unvermeidliche Paradoxien bei deren Überschneidungen auszuhalten und diese dem Publikum zur Interpretation darzubieten. Essays verwirren, verunsichern mitunter, lassen aber nicht locker, bis sich zwischen den Assoziationen und Fragmenten tiefere Bedeutungsschichten erkennen lassen. Bedeutungsschichten, zu denen man allein mit stringenter Argumentation – mit den Konventionen der geschlossenen filmischen Form – oft nicht hätte vordringen können. Gerade darin besteht im Grunde der Versuch (essay): Zwischenräume, die zwischen scharfem linearen Denken und scheinbar willkürlicher künstlerischer Intuition liegen, auszunützen und gewissermassen den Intellekt mit Poesie zu überlisten oder umgekehrt. Es ist der grösste und nicht unbescheidenste Geburtstagswunsch von CINEMA, sich auch in Zukunft einige dieser Ingredienzien des Essayistischen zu bewahren: Betrachtungen aus verschiedenen Perspektiven Raum zu geben, scharfe Argumente zu fördern, aber auch einmal die denkerische Leerstelle zuzulassen. Vor allem aber wollen wir von der Beweglichkeit und Entdeckungslust unserer Leserinnen und Leser ausgehen und ihnen das Vergnügen und die Herausforderung ermöglichen, über die Aufsätze hinauszudenken oder sie zuweilen fertig zu denken. Um selbst agil und neugierig zu bleiben, hat CINEMA im letzten halben Jahrhundert immer wieder versucht, verschiedene Denkund Darstellungsformen zusammenzubringen, und sich als Forum für den Dialog zwischen Filmschaffenden, Künstlern, Kritikern und Wissenschaftern begriffen. Hier wird nach neuen Formen von Schreiben über Film gesucht, und bisweilen dürfen auch Bilder über Bilder sprechen. Deshalb gilt wohl schon für etliche Generationen von CINEMA-Redaktionen, dass sie ihre Publikation – vom Heft über die Vierteljahresschrift bis zur heutigen Form als Jahrbuch – immer eher als Versuch oder als Projekt denn als abgeschlossenes, singuläres Erzeugnis verstanden haben. Autoren und Autorinnen, die dem Buch schon lange verbunden sind, ergriffen für die vorliegende Jubiläumsausgabe die Carte blanche, die das Thema «Essay» ihnen offerierte. Während sich einige Texte – mit teils ungewohnten Fragestellungen – dem essayistischen Aspekt in Filmen von Jean Renoir, Marguerite Duras und Atom Egoyan widmen, haben andere Beiträge die Form des Essays gewählt und umkreisen Sujets wie die paradoxale filmische Erzählzeit, den Bilderkampf im Golfkrieg, das Leben der Multimedia-Künstlerin Isa Hesse-Rabinowitch und – in assoziativer Verdichtung – die Autobiografie einer Kinogängerin. Die experimentelle Form des Essays inspirierte mehrere Autoren dazu, Bilder und Texte gemeinsam sprechen zu lassen. Zwischen Filmsequenz und Fotografie ist Mirjam Staubs Bildessay mit dem wandelnden «Himmel unter Berlin» anzusiedeln. Nicht zuletzt melden sich mit Peter Liechti und Thomas Imbach auch zwei Schweizer Vertreter des Essayfilms zu Wort. CINEMA will seinen runden Geburtstag nicht alleine feiern. In der Jubiläums-Rubrik gratuliert das Filmjahrbuch auch den Solothurner Filmtagen zum vierzigsten und dem Programmkino Xenix zum fünfundzwanzigsten Geburtstag. Der Filmbrief wurde diesmal gleich doppelt in der Schweiz abgeschickt. Und wie immer bietet abschliessend der kritische Index einen Überblick über das Schweizer Filmschaffen des vergangenen Jahres. Was CINEMA heute ist, und dass es überhaupt noch ist, verdanken wir in erster Linie unseren Vorgängerinnen und Vorgängern in der Redaktion, den Mitarbeitenden bei der Gestaltung sowie den Verlagen, die das Publizieren ermöglicht haben. Wir freuen uns im Übrigen mit dem Schüren Verlag einen neuen Partner gefunden zu haben, der dem CINEMA wieder neuen professionellen Aufschwung verleiht. Schliesslich stellen die Beiträge des Bundesamts für Kultur sicher, dass der innerhalb der Schweizer Filmpublizistik in dieser Langlebigkeit einzigartige «Versuch» weitergeführt werden kann. Vor allem geht unser herzlicher Dank an alle Autorinnen und Autoren, die CINEMA geprägt haben und weiter prägen werden, sowie an unsere Leserinnen und Leser, für die wir diese Bücher herausgeben. Für die Redaktion Veronika Grob und Jan Sahli
CINEMA #50
ESSAY
EDITORIAL
ESSAY
FILMBRIEF
SELECTION CINEMA
GELD ODER BLUT – WELCHE MEDIZIN FÜR DIE ARMEN DIESER WELT? (GEORGES GACHOT)