PATRICK STRAUMANN

FLEURS DE SANG (MYRIAM MÉZIÈRES, ALAIN TANNER)

SELECTION CINEMA

Angesichts des Werkkatalogs von Alain Tanner und Myriam Mézières von einer Straub-Huillet-Symbiose zu sprechen, wäre übertrieben, dennoch ist die Konstanz ihrer Zusammen­arbeit bemerkenswert: Während die Liste ihrer gemeinsam geschriebenen Filme auch Le jour­nal de Lady M. (1993) und Une flamme dans mon cœur (1987) beinhaltet, war Mézières als Schauspielerin in Tanners Filmografie bereits in Janas qui aura 25 ans en l’an 2000 (1976) prä­sent. Im jüngsten Film hat sich die Gewichtung verschoben: Erstmals wird Mézières in Fleurs de sang als Schauspielerin, Autorin und Regis­seurin aufgeführt, während Tanner allein als Co-Regisseur fungiert.

Als Grundlage dieser bald drei Jahrzehnte dauernden Zusammenarbeit dient eine von bei­den geteilte Auffassung des Autorenfilms, der einen persönlichen Blick auf die Gesellschaft bedingt, sowie die Überzeugung, dass die klas­sische Problematik des Konflikts zwischen Individuum und sozialem Kollektiv aus dem Blickwinkel der Frau erfasst werden muss, um heute Gültigkeit zu besitzen. Fleurs de sang gibt sich jedenfalls als konsequente Umsetzung dieser Prämissen: Lily ist Bauchtänzerin, dem Alkohol und Gelegenheitsflirts nicht abgeneigt und finanziell oft in einer derart prekären Situation, dass sie sich nach einer im Hotel verbrachten Nacht aus dem Staub zu machen pflegt, um die Unterkunftskosten zu umgehen. Ein skrupelloser Manager und berufliche Fehl­schläge bringen ihre fragile Existenz in Gefahr. Erst verliert sie das Fürsorgerecht für ihre Tochter, und schliesslich beendet sie ihre Kar­riere als Strassenmimin in Paris.

Dank der gefühlsintensiven Interpretation von Mézières erscheint Lilys existenzieller Fall über weite Strecken bewegend; die Logik, der die Geschichte der Frau unterworfen ist, er­weist sich hingegen als diskutabel. Ihr Leidens­weg, der von Enttäuschungen, Betrug und (maskuliner) Gleichgültigkeit gesäumt ist, kris­tallisiert sich zu einer konventionellen Medien­kritik, die als Korrelat zur Kritik an einer von Männern dominierten Gesellschaft verstanden werden will: Lilys Emanzipation - als Künstle­rin und Frau - ist zum Scheitern verurteilt, weil ihre weibliche Subjektivität stets mit ihrem Status als Objekt kollidiert, der ihr vom männ­lichen Blick zugeteilt wird. Explizit zum Ausdruck kommt diese Problematik während einer nächtlichen Diskussion mit einem Liebhaber, als sich Lily beklagt, die Männer würden sich stets in ihr «Bild» verlieben.

Interessanter ist der Film, wenn er in seiner medialen Kritik zwischen der (marginalen) Bühnenkunst und den (mehrheitsfähigen) Re­präsentationssystemen nuanciert. Lilys Werde­gang kontrastiert mit jenem ihrer Freundin Elsa, die dank einer Rolle in einer Fernsehserie zu Bekanntheit und Reichtum gelangt ist. Auch Lilys Tochter, die aus dem Internat flieht, um Fotomodell zu werden, scheint fürs Leben bes­ser gewappnet als ihre Mutter. Erst als sie den Fotografen, der ihre Karriere lancieren soll, aus Eifersucht niedersticht, spiegelt sich ihr seeli­sches Leiden in der körperlichen Versehrtheit ihrer mittlerweile verelendeten Mutter. Aller­dings beharrt die Regieführung so insistent auf dieser Parallele, dass einem das Schicksal der beiden eher gleichgültig bleibt.

Patrick Straumann
geb. 1964, studierte Filmwissenschaft, arbeitet als freier Filmjournalist, lebt in Paris.
(Stand: 2018)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]