DORIS SENN

HAPPY TOO (THOMAS IMBACH)

SELECTION CINEMA

In einem «Making of» werden in der Regel Hintergründe zu Dreharbeiten preisgegeben: Die Produktion auf dem Set wird dokumentiert, mit Anekdotischem angereichert und zu einem Appetizer für den Kinofilm aufbereitet. Etwas anders liegen die Dinge bei Happy Too, das eine Art «Making of» zu Thomas Imbachs letzt­jährigem Happiness Is a Warm Gun ist. Gleich­zeitig mit jener eigenwilligen Inszenierung der Beziehung Gert Bastians und Petra Kellys ent­stand das Material für den sechzigminütigen Happy Too: Während der zehnmonatigen Drehzeit fing die Kamera viel Handlung und Atmosphärisches vor, nach und zwischen den «eigentlichen» Szenen ein. Dies ergibt nun keine ausgewogene Dokumentation aus einer Drittperspektive, sondern eine Fokussierung «von innen» auf die Darsteller Linda Olsansky und Herbert Fritsch alias Petra und Gert.

Dabei trägt Happy Too alle Stilmerkmale von Imbachs vorangehenden Filmen: extreme Grossaufnahmen, eine kadenzierte Montage, ein Ausharren auf Momenten, die sich über­raschend auflösen, sowie ein assoziativer Er­zählfluss, der von einer «Kapitelgliederung» - via eingeblendete Zitate - in Schach gehalten wird. Happy Too beginnt mit dem Casting und führt uns durch die Höhen und Tiefen des Drehs, der Befindlichkeiten der Protagonisten, der Zusammenarbeit mit dem Regisseur. Er­forscht wird insbesondere das Oszillieren zwi­schen Schauspielerfigur und -person. Schon zu Beginn, meint der Filmemacher, hätte er die beiden mit dem Gert-Petra-Virus infiziert, um «die Figuren in ihnen ausbrechen zu lassen». Und eben diesen darstellerischen «Krankheits­verlauf» dokumentiert Happy Too.

Briefe, Fernschausschnitte, Tagebuchnoti­zen - während Darstellerin und Darsteller sich mit Informationen voll saugen, aus ihrem Wis­sen heraus agieren, wird es für uns Zuschauer­innen immer unmöglicher, eine Grenze zwi­schen Fiktion und Realität, zwischen Spiel und Authentizität festzulegen. Wenn Herbert väter­lich herablassend an Lindas schauspielerischer Leistung herumkrittelt, sie anfährt oder um­wirbt: Wo ist da Herbert, wo der Schauspieler, wo der Ex-General in seiner Beziehung zur Friedensaktivistin? Ebenso Linda: Was ist Ac­ting, was Reflexion, was echte Verzweiflung?

In Happy Too gibt es kein Maske-Ablegen nach dem Abdrehen oder wie Herbert das aus­drückt: «In so einem Zustand gibt es keine Pause!» Verläuft die Interaktion zwischen den Schauspielern - und dem Filmemacher - zu Be­ginn noch in einer Art reflektierter Kommu­nikation, mischen sich zunehmend fiktionale und reale Gefühlsebenen hinein, welche die Dynamik in fesselnde Szenen, mitunter in Ver­weigerung enden lassen. Aus dem Hin und Her kristallisiert sich aber auch - schillernd und verstrickend zugleich - eine mögliche Bezie­hungskonstellation für das Paar heraus, das der Inszenierung als Vorlage diente. So wurde aus dem «Nebenprodukt» nicht nur ein eigenstän­diger Film und ein aufschlussreiches Lehrstück bezüglich Schauspielarbeit, sondern auch ein spannungsreiches Prisma aus Figur, deren au­thentischem Bezugspunkt sowie Darsteller­persönlichkeit.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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