PATRICK STRAUMANN

ÉLOGE DE L'AMOUR (JEAN-LUC GODARD)

SELECTION CINEMA

Fünf Jahre nach For Ever Mozart legt Jean-Luc Godard mit Eloge de l’amour ein neues Werk vor. Die Erwartungen, die bereits die Ankündi­gung des Films weckte, resultieren nicht allein aus der Wartezeit: Godards Arbeit lässt sich in Perioden, oder besser in Zyklen, gliedern, und entsprechend ist Éloge de l’amour wie die Vi­deobänder der Siebzigerjahre und Sauve qui peut (la vie) (1980) auch als Neubeginn zu wer­ten, der - ohne sich von den Themen und for­malen Innovationen abzuwenden, welche die vorangehende Phase prägten - auch Einblick gewährt in die Richtung, die das zukünftige Werk einschlagen wird.

Eine zentrale Stellung im Eilm nimmt der von Bruno Putzulu gespielte Autor Edgar ein. Seine Verhaltenheit erinnert an eine Figur Bres­sons, seine Diktion an Jean-Luc Godard selbst. Der Charakter ist indes nur vage skizziert; er hat in erster Linie die Funktion eines Shifters, der die beiden Kapitel des Films, die ver­schiedenen Zeitebenen, den Gegensatz von Schwarzweiss- und Farbaufnahmen verbindet. Der Brennpunkt von Éloge de l’amour ist ent­sprechend im visuellen Abseits zu suchen, in den Rissen der filmischen Textur, die von der dual angelegten Struktur des Films mehr sug­geriert als konstruiert wird.

Der erste Teil, im harten Schwarzweiss der Nouvelle Vague gefilmt, artikuliert sich rund um den Autor, der mittels drei Paaren die vier Momente einer Liebesbeziehung darstellt: die Begegnung, die körperliche Leidenschaft, die Trennung und die Wiederbegegnung. Ed­gars Livre à venir - ein Buch, dessen Seiten unbedruckt sind und das er zweimal aufschlägt - legt jedoch nahe, dass der Film die Laufbahn dieses Drehbuchvorschlags bald verlassen wird. Die Kamera sucht denn auch vor allem die Pariser Orte auf, die für Godards Filme aus den Sechzigerjahren emblematisch waren. Eine Einstellung isoliert eine Gedenktafel, die an die Besetzung Frankreichs durch Deutschland erinnert, und ein längerer Dialog spielt vor den verlassenen Renault-Fabriken in Billancourt. Eine letzte signifikante Szene, in der «Maison des Dictionnaires» gedreht, ist englisch ge­sprochen.

Die zweite - farbige - Hälfte des Films führt in die Bretagne und situiert sich zwei Jahre vor der Pariser Episode. Edgar, der eine Kantate über Simone Weil komponieren möchte, fährt zu einem älteren Ehepaar, das sich während der Résistance verdient gemacht hat. Ein ebenfalls anwesender amerikanischer Produzent will deren Lebensgeschichte ver­filmen und versucht, die vertraglichen Bedin­gungen zu diskutieren; die alte Frau - atem- und sprachlos von Françoise Verny gespielt - bleibt jedoch ganz in ihrer hieratischen Pose versunken. Zum Schluss, als Edgar wieder nach Paris fährt, ist der programmatische Satz zu vernehmen: «Erst wenn die Dinge enden, er­halten sie ihren Sinn.»

Nachträglich erweist sich der Gestus die­ses lyrischen und unsentimentalen Films tat­sächlich als adäquate Form, in die diversen Schichten der kollektiven Geschichte, der zu­mindest eine Liebesbeziehung standgehalten hat, vorzudringen: in den Krieg und den fran­zösischen Widerstand, die Kultur und den ame­rikanischen Hegemonieanspruch, die ambi­valente Macht der Bilder und die Sinn stiftende Sprache, auf der sie gründen.

Patrick Straumann
geb. 1964, studierte Filmwissenschaft, arbeitet als freier Filmjournalist, lebt in Paris.
(Stand: 2018)
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