Wie stark unsere Wahrnehmung von Landschaft seit dem 19. Jahrhundert durch Dynamisierung und Geschwindigkeit bestimmt wird, macht bred Tru- niger am Beispiel von Volko Kamenskys Divina Obsesión deutlich. Eine Reihe aneinander montierter Autofahrten durch französische Verkehrskreisel illustriert, wie sieh die Landschaftswahrnehmung durch die Geschwindigkeitserfahrung definiert. Tourismus als ein Agens, Landschaften zu zivilisieren und dem ungefährlichen Blick der Reisenden zu öffnen, war bereits in der frühesten Geschichte des Schweizer Films zentral, wie Roland Cosandey zeigt. Schliesslich hat neben Mobilität und Tourismus auch die Erfahrung des Kinos selbst Spuren in der Wahrnehmung von Landschaft hinterlassen: Filme wie Dawn of the Dead, der in einer Mall spielt, bringen amerikanische Filmbuffs dazu, den Schauplatz fotografisch zu rekonstruieren und ihre Fundstücke auf Webseiten der Fangemeinde zugänglich zu machen. Rembert Hüscr demonstriert, wie der Film durch den Besuch des realen Orts in der Fantasie zu neuem Leben erweckt wird. Das kulturelle Wissen indigener Völker, das sich in der Landschaft verbirgt, versucht der ethnologische Film sichtbar zu machen. Henning Engelke zeigt, dass auch dieses filmische Konzept auf Konventionen der Landschaftswahrnehmung und -darstellung zurückgreift, um unser Verständnis der darin lebenden Menschen zu fördern. Im Abenteuerfilm schiebt sich der Blick auf die Landschaft in die lange Tradition des Ausstcllens des Exotischen, wie Hans J. Wulff erläutert: Wildnis ist das ausgestellte Andere, die theatrale Enklave im zivilisierten Leben. Der exotisierende Blick auf die Alpen, Herzstück des Schweizertums, wurde im Zeichen der geistigen Landesverteidigung seit den späten Dreissigerjahren national aufgeladen. Seit den Sechzigern wich diese Repräsentation einem direkteren Blick. So interpretiert Maria Tortajada den Abhang als konstituierendes Element des Berges, der neu kadriert wird und als narratives Element und Hauptdarsteller ideologiefreie Bedeutung gewinnt. In der Nocturne zeigt Vinzenz. Hediger am Beispiel von Barbra Streisand und Jennifer Lopez die Mechanismen der Starwerdung. Weder Lopez noch Streisand sind bloss Fanobjekte, sondern unterscheiden sich durch ihre Durchsetzung in mehreren Sparten und ihre ethnischen Hintergründe vom typischen Hollywood-Produkt. Für das CH-Fenster streicht Glaudia Reiche in ihrem Artikel zu Gabriel Baurs Essayfilm über Drag Kings, Venus Boyz, die fliessenden Übergänge zwischen den Geschlechtern und die Faszination der Unbestimmtheit heraus. Catherine Silberschmidt widmet sich im diesjährigen Filmbrief der von schwierigsten ökonomischen Rahmenbedingungen geprägten Kinogeschichte der Kapverdischen Inseln. Wie immer bietet der Index eine sorgfältig kommentierte Auswahl der jüngsten Schweizer Filmproduktion. Für die Redaktion Meret Ernst, Flavia Giorgetta, Jan Sahli
CINEMA #47
LANDSCHAFTEN
EDITORIAL
ESSAY
CH-FENSTER
FILMBRIEF
SELECTION CINEMA
UNE SUISSE REBELLE - ANNEMARIE SCHWARZENBACH 1908-1942 (CAROLE BONSTEIN)
THOMAS PYNCHON - A JOURNEY INTO THE MIND OF P. (FOSCO UND DONATELLO DUBINI)
TAMARO. PIETRE E ANGELI. MARIO BOTTA E ENZO CUCCHI (VILLI HERMANN)
WHY SHOULD I BUY A BED WHEN ALL THAT I WANT IS SLEEP (NICOLAS HUMBERT, WERNER PENZEL)