VALÉRIE PÉRILLARD

GRENZGÄNGE - EINE FILMISCHE RECHERCHE ZUM SONDERBUNDSKRIEG 1847 (EDWIN BEELER, LOUIS NAEF)

SELECTION CINEMA

Anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des schwei­zerischen Bundesstaates thematisiert Grenz­gänge die Endphase der Auseinandersetzungen zwischen liberaler Tagsatzung und konserva­tivem Sonderbund im Herbst 1847: Die Tag­satzung hatte im Hinblick auf die Schaffung der neuen Bundesverfassung die Auflösung der 1845 gegründeten katholisch-konservativen Schutzvereinigung «Sonderbund» gefordert. Ausserdem kämpften radikale Freischärlerzüge gegen die Zulassung der Jesuiten im Kanton Luzern. Die Situation war angespannt, es kam zum Krieg. Der Film legt das Hauptgewicht auf das konservative Luzerner Hinterland, das, angrenzend an die gegnerischen Kantone Bern und Aargau, ein wichtiger Schauplatz des Son­derbundskrieges war.

Diese «filmische Recherche» des Filme­machers Edwin Beeler (Rotbenthurm, 1984; Bruder Klaus, 1992) und des Theaterregisseurs Louis Naef - eine Mischung aus Dokumentar­ und Spielfilm - spielt auf mehreren Ebenen: Einerseits werden die Ereignisse der letztenzwei Monate des Sonderbundskrieges in Spielfilmszenen rekonstruiert, anderseits sprechen heutige Historiker und Politikerinnen über die damaligen Ereignisse. Als roter Faden dient dabei die leicht depressiv anmutende Figur des Grenzgängers, der sich nicht nur im geogra­fischen Grenzgebiet bewegt, sondern zeitlich von der Vergangenheit in die Gegenwart und zurückgeht. Der Film will die Aktualität der damaligen Ereignisse aufzeigen, will vor Augen führen, dass damals wie heute die Angst vor dem Fremden, vor Veränderung verbreitet war und ist. Doch was die Auseinandersetzung mit einer vergangenen Epoche, aus der immerhin der moderne Bundesstaat Schweiz hervor­gegangen ist, hätte sein können, bleibt in der Auflistung historischer Ereignisse stecken. Dies obwohl der Film formal die verschiede­nen Erzählstränge geschickt verwebt. So ist der Grenzgänger nicht die einzige Figur, die das Gestern mit dem Heute verbindet. Josefa Meyer von Schwanensee etwa, die frisch ver­mählte Gattin eines engagierten Liberalen, be­gibt sich auf einen heute stattfindenden Frauen­stadtrundgang - als einzige Teilnehmerin: Dort erfährt sie, dass es keine schriftlichen Zeugnisse von Frauen aus der damaligen Zeit gebe. Von ihr sieht man denn auch nichts anderes, als dass sie mutig ihrem Gatten ins Grenzgebiet folgt und sich nach dem Wiedertreffen mit ihm glücktrunken auf einer grünen Wiese tummelt.

Jedoch schneidet der Film zu viele Ge­schichten an und verliert sich dabei in Details. Wenn in inszenierten Episoden Luzerner Hauptakteure feurige Reden schwingen oder auf ellenlangen Kutschenfahrten nachdenken, wenn man die Sonderbundsarmee aufbrechen oder die Besiegten über den Gotthard fliehen sieht, berührt einen das kaum. Genauso wenig wird die Perspektive des «einfachen» Volks deutlich. Zwar scheint es die Absicht der Re­gisseure zu sein, nicht pure Ereignisgeschichte zu schreiben; ob es dazu aber genügt, eine Frau beim Waschen und Auf hängen der Wäsche oder einen Knecht beim Kehren eines Hofes zu zei­gen, ist allerdings fraglich.

Dafür lassen die immer wiederkehrenden Stimmungsbilder aus dem Luzerner Unter­land diese Gegend erfahrbar werden, so wie die Figur des Bernhard Meyer die Qual eines Anführers nachvollziehbar macht, wenn er sch weissgebadet eine Treppe emportaumelt, im Wissen darum, wie verhängnisvoll eine Ent­scheidung für den Krieg ist. Auch die Musik von Peter Schärli führt über das Geschilderte hinaus und gibt diesem spannungslosen Film eine unkonventionelle Note.

Valérie Périllard
ist Volkskundlerin und Regieassistentin in Zürich.
(Stand: 2019)
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