KATHRIN HALTER

SON JOUR À ELLE (FRÉDÉRIC MERMOUD)

SELECTION CINEMA

Zu den so genannt unvergesslichen Tagen im katholischen Familienleben zählt die Firmung, und dazu gehört - ob es der Tochter nun passt oder nicht - ein Erinnerungsbild. Reicht das Geld nicht für den Fotografen, tut es zur Not auch ein Fotoautomat am Bahnhof. Filmischer Ort des festtäglichen Familienzanks in Frédéric Mermouds vierminütigem Kurzfilm ist der In­nenraum eines solchen Automaten. Erst begut­achten der (italienische) Vater und sein kleiner Sohn die Ausstattung der engen Kabine, dann wird die weiss gewandete zwölfjährige Tochter von der Mutter hineinbugsiert und vor dem Spiegel zurechtgemacht, obwohl es dem Mäd­chen nicht gut geht und es an einem Bild keiner­lei Interesse zeigt. Endlich mit sich alleine ge­lassen, reisst sich Chiara den Kranz vom Kopf und lässt sich mit gequälter Miene ablichten.

Der erzählerische Witz und die inszcnatorischcn Feinheiten in Frédéric Mermouds vier­tem Kurzfilm hängen vornehmlich mit dem Standpunkt der Kamera zusammen, die etwa auf der Höhe der Blitzlichtkamera im Automa­ten positioniert ist. Somit wird die Linse zum Spiegel, in dem sich die Familienmitglieder be­trachten (wobei die Kadrierung etwas grösser ist als der Bildausschnitt der Fotoporträts). Die Einengung des Blickfelds erlaubt Mermoud überdies ein reizvolles Spiel mit dem visuellen und akustischen Off. So hört man die Mutter erst bei einem Disput mit Vater und Tochter, bevor sie selber ins Bild tritt; Bahnhofsgeräu­sche stellen die familiären, nachgerade intimen Vorgänge im Kabinenraum in ein öffentliches Umfeld.

Und eben: Man sicht nicht alles. Nach­dem sich Chiara, der offensichtlich übel ist, per Knopfdruck ablichten liess, erhebt sie sich zögernd und blickt bestürzt zu Boden. Mamas Empörung über die Bescherung («Tu fais ça à moi, aujourd’hui?!»), Papas verständnisvollere Reaktion helfen da nur beschränkt. Erst der kleine Bruder bringt uns beim Rätselraten weiter. Er bückt sich neugierig, schnuppert an seinem rotbraunen Finger und streicht an die gegenüberliegende Wand einen Fingerbreit des­sen, was sich unseren Blicken entzieht.

Kathrin Halter
geb. 1965, Studium der Germanistik, Filmwissenschaft und Europäischen Volksliteratur in Zürich, u.a. freie Mitarbeit als Filmkritikerin beim züritipp, lebt in Zürich.
(Stand: 2018)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]