YASMIN KISS

IRRLICHTER (CHRISTOPH KÜHN)

SELECTION CINEMA

Ralph Mettler (Tobias Langhoff), ein jüngerer, etwas verschlossener Mann, wurde für ein wissenschaftliches Experiment ausgewählt, in dessen Verlauf Erkenntnisse zur Verlangsa­mung des Alterungsprozesses gewonnen werden sollen. Ort des Experiments ist ein un­erkundetes Höhlensystem, die Dauer mit drei Wochen angesetzt. Die Starmoderatorin der Reality-TV-Sendung Meta's Day soll exklusiv für ihren Sender den Beginn des Unterfangens verfolgen.

Geplant ist, daß die Reporterin Meta Foerster (Barbara Auer) die Versuchsperson bis zum Basiszelt begleitet, sich erste Eindrücke schildern läßt und dann mit dem Kamerateam wieder abzieht. Mettler verweigert sich aller­dings, läßt sich keine fernsehgerechten Ant­worten entlocken, die Moderatorin entpuppt sich gleichzeitig als höchst unprofessionelle, ungeduldige Fragerin. Auch wenn sie nicht das Optimum herausgeholt hat, ist Meta erleich­tert, sich zurückziehen zu können. Schon auf dem Weg ins Freie, kehrt sie jedoch noch ein­mal um, da sie etwas vergessen hat, und wird prompt durch einen Bergsturz von der Außen­welt abgeschnitten. Mettler und Meta bleibt nichts anderes übrig, als zusammen einen Weg zu finden, um wieder ans Tageslicht zu kommen.

Komplexe Charakterzeichnungen erwar­tet man vergeblich. Die Moderatorin ist nur eine selbstbezogene, uneinfühlsame Vordräng­lerin (die kurz ihre Kehrseite zeigen darf: ein­sam und unsicher), Ralph Mettler ein überaus ernsthafter Grübler, der daran nagt, daß seine Frau einen anderen hat, und den es deshalb in die Isolation dieses Höhlenexperiments gezo­gen hat. Die Positionen sind bezogen, nun wird es darum gehen, die beiden holzschnittartig gezeichneten Protagonisten aufeinander zu­driften zu lassen.

Unter Tag stoßen die beiden nach Irr­wegen auf eine Höhle mit Lichtquellen und Mobiliar. Ihr Bewohner heißt Harald Höllerer, lebt schon Jahrzehnte in dieser Abgeschieden­heit und kritzelt Folianten mit der Höhlen­chronik voll; anzusiedeln ist er irgendwo zwi­schen Waldschrat und erleuchtetem Weisen. Er hat Meta und Mettler nicht nur erwartet, son­dern sie bereits zu seinen Nachfolgern be­stimmt. In dieser Bedrohungssituation ist jedes Mittel recht: Höllerer wird von Mettler nieder­geschlagen; so können sich die Festgehaltenen absetzen.

Anzunehmen ist, daß es Kühn vor­schwebte, das Technoide (TV, aber auch die Wissenschaft) gegen das Intuitive, »Gspürige« (die Natur) zu setzen. So ist der Bub Päuli, der maßgeblich zur Auffindung der Eingeschlosse­nen beiträgt, ein Epileptiker, der als Medium fungiert. Der Film hat aber nicht den langen Atem, den es bräuchte, um die tiefgründigenThemen (falsche Lebensentwürfe, Entfrem­dung) mehr als anzutippen, und laviert un­schlüssig zwischen Abenteuer, mystischer Selbstfindung und einer lustlosen Liebesge­schichte. Von einer veränderten Wahrnehmung in der Höhle wird nichts vermittelt. Genauso­wenig gewähren die Dialoge Einblicke in die Empfindungen und Transformationen aus der Zeit geworfener Menschen, es dominieren im Gegenteil die verbalen Unbeholfenheiten.

Irrlichter sind Phänomene, die vor allem in Sommernächten in sumpfigen Gebieten auf­tauchen. Sie entstehen durch Selbstentzündung von Methan oder Phosphorwasserstoff. Sic vergehen so rasch, wie sie entstehen, und hin­terlassen keine Spuren.

Yasmin Kiss
geb. 1964, Studium der Theater- und Filmwissenschaft, Gründungsmitglied von »projektor. diskussionsforum film & neue medien«, Mitarbeit bei Viennale und Diagonale, Re­cherche zu österreichischem Dokumentarfilm, Mitorganisatorin des Symposions »film/Sub­ject/theory – Zeitgenössische Filmtheorie und Film der 90er Jahre« (1996), lebt in Wien.
(Stand: 2018)
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