Wallende Tücher, Laub am Boden, Lichtblitze durch die Nacht. Schwingende Glühbirnen, überblendet in »schwingende« Pflastersteine. Leere Sessel, die sich rhythmisch bewegen. Die Dingwelt lebt, läßt einen staunen und ins Sinnieren geraten. Endlich die ersten Menschen: drei Gesellen in Overalls. Sie strecken gern und oft ihre rotleuchtenden Zungen heraus. Drei andere mit Lampions: Sie bekämpfen sich mit ihren leuchtenden Utensilien. Blut fließt, Schleim trieft. Es nähert sich eine Frau, mit einem Reinigungswagen, der eine bescheidene Leuchtspur hinter sich herzieht. Irgendwann beleben Kinder die Szenerie. In einem Raum befindet sich ein Ungetier mit roten Augen, auf einen Fernseher tropft Wasser: Jeder Tropfen löst eine Bildstörung aus. Wilde Tiere werden mit Leuchtkugeln gefüttert. Jemand stirbt, ein Pfarrer pinkelt ins Grab, ein Fallschirmspringer steht dabei. Das Wasser im Grab verwandelt sich in einen bewölkten Himmel. Eine Spielzeugeisenbahn fährt leuchtend durch amorphe Räume. Geräte führen einen Tanz auf, an dem Tingueley seine Freude gehabt hätte. Ein Mann versucht mit einer Mausefalle, Glühbirnen zu fangen; ein anderer verspeist sie genüßlich.
Das Treiben auf der Leinwand ist mit dieser »Inhaltsangabe« nur unvollständig wiedergegeben. Fred van der Kooij hat im Studio eine vollkommen künstliche, surreale und hermetische Welt aufgebaut. In immer neuen Konstellationen bannt er das Licht von Glühbirnen, Leuchtstäben und Feuer. Die Tonspur ist so artifiziell wie komplex. Der Unterschied zwischen Geräusch und Musik ist aufgehoben: Geräusche werden Teil der Musik, die Musik löst sich in Geräusche auf. Ton und Bild sind in ein ungewohntes Format gebannt. Van der Kooij will das alte 1 : 1,17-Stummfilm-Format neu beleben, der »Vertikalen filmisch wieder zu ihrem Recht verhelfen«.
Der Regisseur hat sich für seine Autobiographie des Flüchtigen viel Freiheiten herausgenommen. Er hält Lux frei von einer linearen Handlung, einer räumlichen Orientierungsmöglichkeit, frei von Sprache und paradoxerweise auch frei von natürlichem Licht. Fragmentierte Geschichten, vielfältigste optische und akustische Angebote von potentiell sinnstiftenden Zeichen, lassen den Film erst im Kopf der Zuschauenden entstehen – wenn überhaupt.
»Un film en train de se faire« würde Godard es vielleicht nennen. Der rote Faden, den van der Kooij mit virtuosen Umwegen, Knoten und Ausfransungen durch seine Filme Casa Scelsi oder Ardüser moler gesponnen hat, entschwindet in Lux in die Dunkelheit. Der Zuschauende bewegt sich frei von Orientierung in den Assoziationen des Experimentators und gibt es irgendwann auf, verstehen zu wollen. Die Kamera von Adrian Zschokke kadriert wunderbar absurde und witzige Szenerien und Situationen. Jede einzelne birgt genug Ideen und szenisches Material für autonome Performances und Installationen in sich. Zwischen diesen Glanzpunkten bricht die Spannungallerdings ein. Das Staunen läßt nach.
Der raffinierte, mit allen filmischen Emulsionen in Theorie und Praxis gewaschene van der Kooij hat nach eigenen Angaben etwa zwanzig Geschichten so verzerrt, daß sie nicht mehr auseinanderzudividieren sind – ein zeitgemäßes Verfahren zwischen Sampling und nichtlinearem Erzählen. Leider will dabei die Lust, die der audiovisuelle Seiltänzer zweifellos beim Arrangieren hatte, nicht so recht von der Leinwand in den Saal überspringen. Man ahnt, daß der Film vielleicht bei mehrmaligem Sehen zu erschließen wäre. Könnte es sein, daß das gebotene Schauspiel auf der Bühne packender gewesen wäre? Hat man nicht gut genug aufgepaßt? Oder das naive Schauen verlernt? Oder bräuchte es ganz einfach: mehr Licht?