KATHLEEN BÜHLER

SCHWARZE TAGE (BENNO MAGGI)

SELECTION CINEMA

1975 geht im als lawinensicher geltenden Ada (Schweiz) eine Lawine nieder, welche das ganze Dorf unter sich begräbt und drei Tote fordert. kippt die Fähre »Herald of Free Enterprise« im Hafen von Zeebrugge (Belgien) und bringt 188 Menschen den Tod durch Ertrinken. 1988 explodiert ein Jumbo-Jet der Pan Am über dem schottischen Dorf Lockerbie und reißt 259 Passagiere sowie elf Einwohner in den Tod. Wochenlang bestimmten die Bilder dieser Katastrophen den Medienalltag. Um wenig später ebenso plötzlich wieder dem Vergessen anheimzufallen.

Der gesellschaftliche und der individuelle Umgang mit Katastrophen steht im Mittelpunkt von Benno Maggis Schwarze Tage. Der Filmemacher besorgt die Nachlese zu drei Unglücken, die in letzter Zeit die Öffentlichkeit bewegt haben. In loser Reihenfolge rekonstruiert er die Ereignisse, läßt Katastrophenexperten zu Wort kommen und verfolgt den Weg der Betroffenen zurück in den Alltag. So kommen nicht nur persönliche Erinnerungen zur Sprache, sondern auch technische Aspekte wie Versicherungsklagen oder die Beseitigung menschlicher Überreste, Aspekte, die normalerweise unter Ausschluß der Öffentlichkeit abgehandelt werden. Dem sachlichen Bereich stellt der Filmemacher den »Mythos der Orte« gegenüber und beschwört in fast schon beklemmend ruhigen Kameraeinstellungen und eindringlicher musikalischer Untermalung die bedrohliche Atmosphäre jener Unglücksorte.

Obwohl die verschiedenen Standpunkte der Erzählenden den Anschein erwecken, das Thema umfassend zu behandeln, bleiben aber gemischte Gefühle zurück. Zu unverträglich scheint etwa die Haltung des Anwalts der Hinterbliebenen von Lockerbie, welcher die Tragödie und die Suche nach den Verantwortlichen als eine Art Wettkampf betrachtet, im Gegensatz zu den quälenden Selbstvorwürfen der Eltern eines der Opfer, welche sich gewünscht hätten, den zerfetzten Körper ihres Sohnes zum Abschied berührt zu haben. Die Fragen zur Medienethik sowie nach dem psychologischen Hintergrund der Faszination von Katastrophen werden in zwei, drei kurzen Sätzen abgehandelt. Das morbide Interesse an den Äußerlichkeiten rund um die Unglücksfälle nimmt zuviel Raum ein.

Der Filmemacher arbeitet sehr zurückhaltend mit Farbe und Musik. Ein düsteres Blau bestimmt die Atmosphäre des Films. Die Interviews und die Spurensuche werden im Gegensatz zu den Fernsehausschnitten mit fast unbewegter Kamera aufgenommen. Statt dessen kompensieren Schnittwechsel die fehlende Bewegung in den Bildern. Fahles Kunstlicht in den Innenräumen und Nachtaufnahmen evozieren einerseits das drohende Unheil und andererseits den Schatten der Tragödie, der sich nachher über das Leben der Betroffenen legt. Verzerrte Alltagsgeräusche weisen voraus auf die lärmende Hektik während des Katastropheneinsatzes. Benno Maggi sucht immer wieder nach Anzeichen der Feindseligkeit an den Orten selbst. Wenn er den Berg bei Ada, den Hafen Zeebrugge und die Weiden um Lockerbie gegen Schluß des Films unerwartet im friedlichen Sonnenlicht zeigt, suggeriert das die Rückkehr zur Normalität und läßt das Grauen, das hier stattgefunden hat, um so deutlicher nachklingen.

Kathleen Bühler
*1968, Dr. phil., studierte Kunstgeschichte, Filmwissenschaft sowie Philosophie und promovierte an der Universität Zürich über das Experimentalfilmschaffen von Carolee Schneemann (Marburg 2009). Seit 2008 Kuratorin und Leiterin der Abteilung für Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern.
(Stand: 2019)
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