Joseph Alexis Joye, genannt Abbé Joye, war eine der wichtigsten Figuren in der Frühgeschichte des Films in der Schweiz. Der Jesuitenpater dieses Namens drehte zwar selber nichts, aber er sammelte zwischen 1902 und 1919 in Basel, wo er im Borromäum in der katholischen Jugenderziehung wirkte, mit Ausdauer, Leidenschaft und Sachkunde rund 2500 Filme. Sie werden heute vom British Film Institute archiviert und restauriert und stellen einen filmhistorischen Schatz von unbezahlbarem Wert dar, über den bis zum heutigen Tag Schweizer Jesuiten verfügen. Die Kollektion umfaßt Beispiele von praktisch jeder Art von Filmen, die es in jenen Tagen gab: kurz, lang, fiktional, animiert, dokumentarisch, ernst, komisch, eindrücklich.
Isolde Marxer, bei ihrem Konzept begreiflicherweise auf das Wohlwollen der Rechtsinhaber angewiesen, hat Teile aus neunzig Filmen des einmaligen Fundus verwendet, um ein halbfiktives Essay über Film und Religion zu illustrieren. Eher fragwürdig bleibt der Versuch, mit Briefzitaten und Spielszenen die - ziemlich ereignislose - Vita des Paters zu rekonstruieren; theologische Fragen im engeren Sinn des Wortes nicht zu vergessen, die anhand von Interviews mit allerhand Gelehrten erörtert werden. Es ist also etwas anderes entstanden als das, was man naheliegenderweise hätte erwarten können: etwas anderes als das Porträt einer Epoche anhand wiederaufgefundener wesentlicher Teile ihrer Kinematographie. Vielmehr schiebt sich die Tatsache, daß die Dokumente von einem Pater zusammengetragen und zu pädagogischen Zwecken verwendet wurden, vor den evidenten Nutz- und Eigenwert der Sache selbst. Diese Präferenz ist keineswegs etwa illegitim, im Gegenteil: Wer immer Zugang zu den Londoner Schätzen bekommt, soll damit tun und lassen, was ihm bzw. den Zutritt Gewährenden beliebt. Die Frage indessen bleibt, ob die getroffene Wahl sinnvoll und ergiebig ist.
Wäre die Sammlung Joye in sich selbst von geistlicher Natur, dann hätte sich der Autorin wohl kaum ein anderer Weg eröffnet als der, den sie eingeschlagen hat, doch ist die Kollektion in ihrer Substanz eben von überwiegend diesseitig-weltlicher Art. Nur Vereinzeltes wurde in der Absicht realisiert, eine bestimmte Religion zu propagieren. Das meiste beschreibt einfach seine Zeit und Welt und basta. Zu sehen ist, aus einer großen Zahl von Blickwinkeln, eine Gegenwart, die es sich lohnte, aus der Vergangenheit zurückzuholen. A propos de Joye unternimmt in diesem Sinne kaum einen ernsthaften einzelnen, geschweige denn umfassenden Versuch. Jemand wird nachholen wollen - und hoffentlich auch nachholen dürfen -, was da einstweilen unterbleibt.