ANDRES JANSER

DER KONGRESS DER PINGUINE (HANS-ULRICH SCHLUMPF)

SELECTION CINEMA

Auf einer Reise durch die Antarktis begegnet ein imaginärer Träumer seltsamen Gestalten. Von nahe betrachtet, entpuppen sie sich als Pinguine, die sich in schier endlosen Scharen versammeln. Für einen Kongreß? Vielleicht. Trotz genauem Hinsehen und Hinhören versteht der Träumer ihre Sprache nicht auf Anhieb.

In dieser Exposition vermittelt Der Kongreß der Pinguine unwiderstehlich sein Anliegen: Auch eine „fremde“ Weltgegend ist uns nahe, medial über ihre Bilder und Töne, aber auch weil wir alle an ihrem Zustand - und das heißt hier: ihrer Bedrohung - irgendwie initwirkcn. Geschickt wählt Hans-Ulrich Schlumpf die Pinguine, die sympathischsten aller Federviecher und unter den Exoten höchstens von den Affen oder den Elefanten an Mensch-Appeal übertroffen, als Identifikationsfiguren. Kleid, Körpersprache und soziales Verhalten der Königs-Pinguine, Kaiser-Pinguine und wie sie alle heißen, werden als Projektionsfläche eingesetzt, ohne je in Disneysche Plattheit zu verfallen.

Das Verfahren ist ebenso einfach wie effizient: Durch geduldiges Beobachten erhaschte Bilder werden mit einem fiktionalen Off-Text zu einer semidokumentarischen Traum-Realität verbunden. Sie wird durch Dokumentarmaterial aus der Stummfilmzeit von der Arbeit im Walfangort Grytviken ergänzt. Seit langem verlassen, sind von ihm nur Ruinen geblieben. Sie künden stellvertretend von einer ehemals blühenden Ökonomie, die aber den Raubbau an der Natur auch schon kannte.

Dem Verschwinden von Menschen, Orten oder Zuständen und dem damit verbundenen melancholischen Zurückschauen, seit langem Grundthemen bei Hans-Ulrich Schlumpf, setzt er hier, wenn auch gedämpft, Optimismus entgegen. Der Optimismus appelliert an den Respekt vor der Natur: ihre Zeichen müssen wir (wieder) verstehen lernen, um die drohende Zerstörung der Antarktis abzuwenden. Und zerstört werden könnte sie gerade auch durch jene Wissenschaft, die sie erforschen will, um sie zu retten. Das wird durch Aufnahmen von heutigen Forschungsstationen (etwas unzureichend) zu belegen versucht.

Wenn auch der sorgfältig gesprochene Kommentar stellenweise etwas belehrend daherkommt, so überwiegt doch meist die Poesie in Wort und Bild: bei den Versuchen, die Sprache der Tiere zu entschlüsseln, oder wenn Pinguine aus dem Wasser auf das Eis fliegen (ja, das geht!) und enorme Walrösser aus dem ehemaligen Kino von Grytviken robben. In solchen Momenten voller Überraschung und Humor vermögen die auf mehreren Fahrten von Pio Corradi, Patrick Lindenmaier und Luc Jacquet zusammengetragenen Aufnahmen etwas von der Einzigartigkeit der Antarktis sinnlich zu vermitteln. Und es zeigt sich das publikumswirksame Potential des Kulturfilms, der die darlegende Einfühlung über die Analyse stellt.

Andres Janser
geb. 1961, Filmwissenschafter, Kunsthistoriker, Ausstellungsgestalter in Zürich, schreibt über Film und Architektur.
(Stand: 2019)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]