BEAT FUNK

GOLFKRIEG — KURZER VERSUCH ÜBER DIE VERSCHIEBUNG VON WAHRNEHMUNG DURCH DIE VERSCHIEBUNG DES KRIEGES INS FERNSEHEN

ESSAY

Der Krieg hat stattgefunden, real. Wie in jedem Krieg gab es Zerstörung, Opfer. Die Fernsehbilder waren andere Bilder. Den hell erleuchteten Himmel über Bagdad (Leuchtraketen für die Abwehrraketen) sahen die Fernsehschauenden, „the sky over Bagdad has been illuminated“, hörten sie als Kommentar von Bernard Shaw (CNN) mitten aus dem Hotelzimmer. Feuerwerk und Hotelzimmeratmosphäre, angereichert mit akustischen Knalleffekten, präsentiert von CNN, zur rechten Zeit und live und direkt vor Ort, so fing er an, als er begann, dieser Krieg, nach all dem Vorspiel, Vorlauf, der die Spannung steigerte und steigerte. So lief das Drehbuch, das keiner und keine geschrieben hat. Ein Krieg hat faktisch stattgefunden. Eine mediale Inszenierung von Krieg ebenfalls. Sie war perfekt, wie niemals zuvor, weltweit umspannend, überallhin, wo es Fernsehen gibt. Und sie lief so reibungslos, die Informationen über das „Realgeschehen“ waren so nebulös, das Vorgaukeln von Faktizität so penetrant, daß man fast hätte meinen können, sie alle hätten Baudrillard gelesen: Turner als Boß von CNN, die Strategen vom Pentagon, der Beraterstab von Bush undsoweiterundsofort.

„Das ganze Szenario der öffentlichen Information und alle Medien haben keine andere Aufgabe, als die Illusion einer Ereignishaftigkeit bzw. die Illusion der Realität von Einsätzen und der Objektivität von Fakten aufrechtzuerhalten.“1 Krieg wird zum Simulakrum, wie Baudrillard es nennt, zum Trugbild, zur Erfindung einer massenmedialen Simulation, einer kriegsspielerischen Rhetorik, die alle Grenzen und faktischen Möglichkeiten der realen Welt überschreitet. Die Medien simulieren den Krieg, weil es ihn real nicht mehr geben kann. Nach 40 Jahren der atomaren Abschreckung, so die These weiter, ist er schlicht undenkbar geworden, außer als rhetorisches Phänomen, als Simulation. In diesen Jahren der Abschreckung ist ganz einfach aller Sinn für die Differenz verlorengegangen, für die Unterscheidung zwischen einem Krieg der Wörter, einer massenmedialen Simulation und dem Krieg an sich, der sich vornehmlich nur noch im Geist und in der Imagination eines gefangenen TV-Publikums ereignet.2 „La guerre du Golf n’a pas eu lieu“, bekräftigt er nach dem Krieg seine These in der Liberation3. Nicht daß der Krieg nicht stattgefunden hätte (wir haben kein praktisches Wissen über ihn, meint er). Aber er hat auf einer anderen Ebene verheerende Auswirkungen gehabt, durch das Fälschen, durch Täuschung, Simulakrum, durch die Strategie psychologischer Abschreckung, die mit Fakten und Bildern spielt, durch das Überschreiten des Virtuellen über das Reale und der unerbittlichen Vermischung der beiden. Jegliche Suche nach „Wahrheit“ erübrigt sich, erscheint stupid. Doch zumindest können wir, so Baudrillard, vermeiden, getäuscht zu werden, indem wir all die Informationen und den Krieg in diejenige Virtualität Wiedereintauchen lassen, aus der sie aufgetaucht sind, auf daß die Abschreckung sich gegen sich selber richtet.

Was nützt eine solche Haltung, ein solches Denken all den realen Opfern, der bombardierten Zivilbevölkerung, den getöteten irakischen Soldaten, den im amerikanischen Bombardement Verbrannten, den tagelang durch Scud- Raketen bedrohten Israelis, den unterdrückten Schiiten und den vertriebenen Kurden? Nichts. Vielmehr wirkt es wie blanker Hohn. Eine der dümmsten Ideen des postmodernen Denkens französischer Intellektueller nennt es Christopher Norris in seinem Buch Uncritical Theory - Postmodernism, Intellectuals and the Gulf War. Aufgabe der Suche nach Wahrheit ist gleichbedeutend mit der Aufgabe der Möglichkeit, eine kritische Position einnehmen zu können. Baudrillard übergibt, so Norris, gerade in seinen Artikeln zum Golfkrieg das ganze Vermächtnis des kritisch-emanzipatorischen Denkens dem Mülleimer überholter Ideen der Aufklärung. Was damit verschwindet, ist nicht nur jede bedeutungsvolle Debatte über Wahrheit und Realität, sondern auch diejenige über ethische Werte, nach denen gehandelt werden könnte. Der Golfkrieg sei der erste durchgreifend postmoderne Krieg gewesen, eine Übung in medialer „Hyperrealität“ in Originalgröße („exercise in full-scale media ‚hyperreality’“). Da brauche es ein anderes Denken, andere Begriffe, als die des „postmodernen Denkens“, um sich über ihn Klarheit zu verschaffen.4

Sagen wir, es haben zwei Kriege stattgefunden, auch wenn sich ihre Kreise zuweilen überschnitten. Ein Krieg hat real stattgefunden. Doch was wissen wir über ihn? (Wir wissen nicht einmal die Zahl der Getöteten. Waren es nur 8000, waren es schätzungsweise 150000, oder waren es gar 300000?) Und eine mediale Inszenierung von Krieg hat stattgefunden, miterlebt von einem Millionenpublikum. In seiner Inszenierung zwar meist virtuell, hat dieser „Krieg“ im Erleben vor den Bildschirmen mitten in der westlichen Gesellschaft Platz genommen. Diesem sich zu verweigern, oder der massenmedialen Rhetorik (so könnte Baudrillards Unterfangen gedeutet werden) sozusagen eine eigene, radikale Rhetorik entgegenzusetzen, wäre eine widerständige Tat gewesen. Doch weder wurde er verweigert, noch wurde ihm eine eigene Rhetorik entgegengesetzt, eine, die gesellschaftswirksam geworden wäre. Aufgesogen wurden die vermittelten Bilder, sowohl von Amerikabewunderern wie auch von Amerikakritikern und -kritikerinnen, unabhängig davon, ob sie gegenüber Israel freundlich gestimmt waren oder nicht, unabhängig der Position, die sie gegenüber Saddam eingenommen haben. Viele wußten sehr wohl, daß sie getäuscht wurden. Doch annähernd ebenso viele wollten auch getäuscht werden, gaben sich gespannt und wiederholt den Bildern hin. Dieser „zweite Krieg“ hat nicht durch die massenmediale Simulation Platz genommen, sondern durch die Rezeption, ln der Aufnahme der Bilder und Worte, die immer den Anschein von Realem mit sich schleppten, fand er statt, wurde er zum Ereignis und wirkte er sich aus.

Zurück zu den Fernsehbildern: Bilder von Saddam, Bilder von Bush. „Das Prinzip des Guten“ gegen „das Prinzip des Bösen“, inszeniert wie in einem Science-fiction-Film, „cut“ by CNN & Co. Die Ereignisse schienen sich wie nach einem verborgenen Drehbuch zu ereignen, oder sie wurden so gesehen und verstanden. Saddam hatte viel Fernsehraum, von Anfang an. Und er setzte sich fernsehwirksam in Szene. Das „Böse“ wurde eingeführt, aufgebaut, stark gemacht und schließlich vom „Guten“ geschlagen und überwunden. Alle spielten mit. Saddam setzte sich in Pose, wurde hinterhältiger, arglistiger, böser. Er präsentierte der Weltöffentlichkeit „with an easy smile“ (CNN) ein Kind als Geisel und zeigte mißhandelte amerikanische Bomberpiloten. Er ließ ein Team von CNN mitten in Bagdad gewähren, funktionierte je länger, je mehr Peter Arnett zu seinem „Hausreporter“ um. Die Strategen des Pentagon verfeinerten ihre bei der Invasion auf Panama entwickelte Strategie der medialen Kriegsführung, überfütterten die mediale Maschinerie mit „Information“ in ihren inflationär angesetzten „briefings“, um anderes vorzuenthalten und noch anderes gänzlich zu zensurieren. Und der Fernsehzuschauer und die Fernsehzuschauerin gaben sich allmorgendlich und allabendlich diesem Prickeln von Ahnung des Schreckens hin, dieser „reality show“, die doch so aktuell, so direkt vor Ort und doch so „show“ war. Das Muster des Drehbuchs war und ist durch so viele Filme und Serien in so vielen Köpfen schon eingeschrieben, daß es nur noch darum ging, das Feld der Möglichkeiten entsprechend zu füllen. Diese „Fernsehserie“ machte keinen Tag Pause. Sie hatte ihre festen Sendezeiten. In diesen Zeiten wurden gezielt Aktionen gestartet. Und sie hatte ihre Überraschungsmomente, sozusagen Zusatzzeiten, auf die hin die Fernsehanstalten improvisieren, CNN ausnahmsweise seine Werbeblöcke ausfallen lassen mußte.

Fernsehbilder durchfluten Lebensräume. Auf Fernsehbilder wird geschaut, Fernsehbilder schauen uns an, auch wenn wir wegschauen. Sie sind fester Bestandteil des Alltags und somit der Erfahrung von Welt geworden. Sie haben sich eingebaut in den Wahrnehmungsapparat, sind Teil seiner Struktur geworden. Mit dieser Struktur, mit Elementen von Drehbüchern und TV- Logik, wird Welt wahrgenommen, wird die Grenze zwischen Realität und Nichtrealität schon im Kopf durchbrochen. „Reality shows“ sind auch erfolgreich, weil sie sich auf dem Felde dieser Grenzüberschreitung tummeln, weil sie eigene Realerfahrung mit durch das Medium transferierter Fremderfahrung versprechen und vor allem, weil an dieses Versprechen geglaubt wird. In den Köpfen der Fernsehschauenden hat ein „Krieg“ stattgefunden, und es hat real Opfer und Zerstörung gegeben. Der inszenierte Krieg barg in sich den Kitzel der Grauenhaftigkeit des Krieges, obwohl es genau diese Grauenhaftigkeit war, die ausgeklammert wurde/Krieg ist ein Symptom, so Virilio, „das Delirium einer Gemeinsamkeit im Zwielicht der Trauer, der Droge, des Blutrausches. In der körperlichen Vereinigung setzt sie Freund und Feind, Opfer und Henker gleich, im Mann gegen Mann nicht homosexueller Lust, sondern einer antagonistischen Einheit des Todeswunsches, der Perversion des Rechts auf Leben zum Recht auf den Tod.“5 All dies ist Krieg auch, all dies war der inszenierte „Krieg“ nicht. Und doch spricht jede Kriegsberichterstattung Allmachtsgefühle und Todessehnsüchte an, ist sie noch so verklärend und „clean“.

The war in the Gulf, orangerote Schrift auf schwarzem Grund, so führte CNN seine Bilder ein, dazu bedeutungsvolle Trommeltöne gleich einer Wagner-Oper. Da waren Bilder von Soldaten, posierend in der Wüste, Sonnenaufgänge und startende Flugzeuge, die lockeren Auftritte des Generals Norman Schwarzkopf, medienpräsent, wie kein General vor ihm. Bilder, in denen er zu seinen Soldaten sprach („this man loves his soldiers“, CNN), das Bild, wo er auf eine Bombe schrieb: „SADDAM - THIS IS FÜR YOU - WITH MY BEST WISHES“ und unzählige „briefings“, in denen er Strategien erläuterte. General Norman Schwarzkopf, als genialer Stratege bezeichnet, trat in der Funktion eines „Geschichtenerzählers“ auf, als derjenige, der die Ereignisse kommentierte und in seinem Gestus versprach, Überblick zu verschaffen. Startende Flugzeuge sind startende Flugzeuge, und sonst nichts. Lächelnde Soldaten in der Wüste sind lächelnde Soldaten in der Wüste. Einzuordnen waren diese Bilder kaum, weder zeitlich noch örtlich. Ihr Informationsgehalt war nahezu gleich Null. Nur der Kommentar machte sie für die Zuschauenden zum einordbaren Ereignis, besonders, wenn dieser nicht von irgendeiner Nachrichtensprecherin oder einem -Sprecher, sondern vom „genialen Strategen“ selbst, einem Akteur des Geschehens, dem General Norman Schwarzkopf, gesprochen wurde.

Da waren auch diese Computer- und Videobilder. Sie stammten aus direkt in den Waffen integrierten Kameras und erinnerten fatal an Bilder von Videospielen. War dies nun Kriegsberichterstattung, oder war es Videounterhaltung, Realität oder Virtualität? Die Grenzen erodierten. Diese Videobilder von direkt auf der Bombe montierten Kameras führten den Blick auf den vordersten Finger des Kriegswerkzeugs. Das war kein Blick mehr aus einem Außen. Der Fernsehschauende war mit seinem Auge direkt auf der Bombe. Die Differenz war aufgehoben. Näher kann man nicht dabeisein (visuell mitten im zerstörerischen Geschehen). Und zugleich war man weit weg, fernab jeglicher realer Erfahrung der Zerstörung.

Gegen Schluß von Stanley Kubricks Dr. Strangelove löst ein Soldat die letzte blockierte Bombe von Hand und saust auf ihr sitzend mit Hurrageschrei in die Tiefe. Vereint mit ihr, verschmolzen mit der Potenz der Bombe, zischt er ihrem Vernichtungsziel zu. Im Blutrausch der Vernichtungspotenz vereinigt er sich mit ihr auf ewig in seiner eigenen Vernichtung.

An diesen Ort des Blicks wird der Zuschauer gesetzt. An die gleich machtvolle Potenz, aber ohne das Risiko des eigenen Todes, ohne Blutrausch und ohne endgültige Verschmelzung mit der Potenz der Vernichtung. Und im Moment der Explosion folgte meist der Schnitt: Es folgte der Blick von oben, aus dem Flugzeug, die Szene überwachend. Es war ein sauberer Machtblick ohne Kriegsrausch und ohne entschlüsselbare Bilder der angerichteten Vernichtung. Bilder wurden eingesetzt als mediale Kriegswaffe. Dies war nicht mehr die gleiche kriegerische Logistik der Wahrnehmung, wie sie Virilio in seiner Analyse in Krieg und Kino beschreibt: „Die Obszönität des militärischen Blicks, der sich zunächst auf die nähere Umgebung, dann auf die ganze Welt richtete, diese Kunst, sich dem Blick des anderen zu entziehen, um selbst sehen zu können, war nicht nur ein Voyeurismus mit schlimmen Folgen; sie brachte in das grundsätzliche Chaos des Sehens eine dauerhafte Ordnung, die die synoptischen Operationen der Architektur und später der Filmleinwand vorwegnahm.“6 In diesen Videobildern hingegen wurde die Obszönität des militärischen Blicks direkt in die Fernsehstube gebracht. Es waren Überblicksbilder, Bilder aus dem Flugzeug, die das Bombenziel anvisieren, ohne daß es gesehen wird. Immer wieder wurden sie gezeigt, wurde visualisierte Machtüberlegenheit wiederholt, unter Ausschluß jeglicher Bilder, die die Auswirkungen der Bomben zeigen würden. (Außer am Schluß, nach der hundertstündigen Schlacht. Tausende von ausgebrannten Fahrzeugen befanden sich auf der Straße nach Basra. Man sah verkohlte Leichen oder Leichenteile - alles Bilder von Irakis auf dem Rückzug aus Kuwait.) Beides wurde vermittelt: Überblick und gleichzeitig Ablenkung, Täuschung. Oder genauer: Verhinderung des Überblicks durch Überblicksbilder.

Eine Verwischung sondergleichen hat stattgefunden. Nicht nur zwischen „realem“ und „inszeniertem Krieg“, zwischen nah und fern, Distanzlosigkeit und Distanziertheit, Virtualität und Realität, sondern sie hat zugleich in der Wahrnehmung die Tendenz zur Auflösung der beiden Pole in einer Radikalität vorwärtsgetrieben, die nicht ohne Folgen geblieben ist.

Zwar vermitteln die Bilder vom Krieg in Bosnien wieder alltäglich die Grauenhaftigkeit des Krieges. Doch sie laufen nicht mehr nach dem Drehbuch einer Alltagsserie ab. Und die Zuschauenden sind geschockt oder wenden sich ab. Da ist kein Prickeln und kein latenter Kriegsrausch. Übrig bleibt eine Fernseherfahrung, die, eingebunden in die Nachrichtensendungen, in ihrer indifferenten Wirkung erschreckt und keinen politischen Handlungsbedarf erzwingt. „Geht endlich heim, und laßt uns in Frieden sterben“7, rief Ende Juli in Sarajevo ein bitter enttäuschter Muslim den Reportern zu, verzweifelt darüber, daß kein Livebericht von verblutenden Zivilisten, keine Reportage über sterbende Kinder die internationale Gemeinschaft dazu bewegen konnte, militärisch einzugreifen. Und gleichzeitig scheint sich das mediale Ereignis „totgelaufen“ zu haben, scheint das Interesse des TV-Publikums auf den Nullpunkt gesunken zu sein.

Diese Bilder wirken nicht gleich wie jene aus dem Golfkrieg. Sie werden nicht gleich wahrgenommen und in der Erfahrung der Zuschauenden zum Ereignis gemacht. Es findet in den Köpfen kein „zweiter Krieg“ statt. Ihr Informationsgehalt über das „Realgeschehen“ ist ungleich höher. Ungleich tiefer aber ist die emotionale Beteiligung der Zuschauenden. Diese Bilder fallen durch. Sie fallen durch die bekannten Wahrnehmungsmuster. Weder gibt es ein klar herausgearbeitetes „Gutes“ noch ein ebensolches „Schlechtes“; und gänzlich fehlt jemand in der Funktion des „Geschichtenerzählers“, der Licht ins Dunkel der Unklarheiten, der Überblick über all die Komplexitäten verschaffen würde. Der Bosnienkonflikt ist höchst vielschichtig, sowohl in seinen ethnischen, sozialen und vor allem historischen Dimensionen. Eine Komplexität, die sich nicht in einem Abfilmen von „Realität“ erfassen läßt, die noch viel weniger über das Wahrnehmen dieser Bilder erfahrbar wird. Die Konflikte in der Golfregion sind auch komplex, sowohl in ihren ethnischen, kulturellen als auch in ihren historischen Dimensionen. Und gleichwohl war die „Kriegserfahrung“ der Fernsehzuschauenden im Golfkrieg eine ganz andere. Sind es hier Bilder von realen Opfern, Gewehren, Artilleriegeschossen, waren es dort Hi-Tech-Waffen und Scud-Geschosse, die den Bildschirm füllten. Waffen der Distanz. Bilder der Distanz, die gerade durch ihre Distanz Räume öffneten für Phantasien über das, was real sich hätte ereignen können. Es waren bewegte Bilder als Dokumente zwar, aber gleichwohl verschoben sie die Wahrnehmung in Richtung „Fiktion“, hin zu „fiktionaler“ Tätigkeit der Wahrnehmenden, die das aktuell Vermittelte (Partikel von „Realgeschehen“) mit Erfahrungsmustern von „Fiktionalem“ mischten und es zu einem erfahrbaren Ereignis verdichteten. Die Erfahrung dieser Verschiebung verstärkte nicht nur den Rückzug vom Glauben an so etwas wie die „Wahrhaftigkeit“ des bewegten Bildes als Dokument oder gar als Mittel einer kritischen Arbeit, die etwas bewirkt.

Der Krieg war beendet, das „Schauspiel“ aus, das Interesse der Medien verschwunden. Weder war der Konflikt gelöst, noch waren vorerst die Ölquellen gelöscht. Werner Herzog machte sich mit einem Team auf nach Kuwait. In langen, epischen Einstellungen filmt er in Les feux de Satan die zerstörte Landschaft, fährt kilometerweit an verbrannten Lastwagen vorbei, fliegt minutenlang mit der Kamera über öl- und rußbedeckte Wüstenlandschaften. Schwarzer Boden, schwarzgrauer Himmel, dazu eine brennende Ölquelle nach der anderen, in ihrem Gelborangerot auf irre Art schön kontrastierend. Ruhige Bilder, gegenpolig zur Hektik von CNN, suchende Bilder, Spurensuche. Suche nach dem stattgefundenen Schrecken. Und sie finden eine kuwaitische Frau, die eines Morgens zusammen mit ihren zwei ältesten Söhnen abgeführt wurde und zuschauen mußte, wie ihre zwei Söhne zu Tode gefoltert wurden. Sie hat darob die Sprache verloren, versucht dennoch, ihr Erlebnis mitzuteilen. Sie ringt um Sprache, vor der Kamera, und dieses Ringen wirkt ungleich stärker, vermittelt eindringlicher das Stattgefundene, als noch so starke Worte oder Bilder. Gerade über dieses individuelle Schicksal, gerade über diese Ästhetik des Irrsinns wird in diesem subjektiv komponierten dokumentarischen Essay etwas von dem wiedergewonnen, was der Golfkriegsberichterstattung verlustig ging: Vermittlung, zwar nur in der Ahnung, der tatsächlich stattgefundenen Zerstörung und des durchlebten Schreckens. (Wenn die Feuerlandschaft allein schon so schrecklich ist, wie schrecklich muß dann erst der Krieg gewesen sein?)

In (It was just) a job montiert Samir in das Bild, das ein fernsehschauendes irakisches Ehepaar zeigt, Bilder des Anvisierens von Zielen im Irak, den Blick der Bomberpiloten. Dazu montiert er selbst aufgenommene Erinnerungsbilder aus Bagdad. Die bekannten CNN-Bilder werden in einen ganz anderen visuellen Kontext gesetzt, dem Bild des „sauberen Machtblicks“ werden gleichsam reale Menschen unterlegt bzw. hinzumontiert, Menschen, zu denen Samir einen subjektiven, persönlichen Bezug hat. Es sind seine Verwandten in Bagdad. Nur schon über die visuelle Komposition, über diese Bild-ins- Bild-Setzung, wird etwas hergestellt, was der Golfkriegsberichterstattung abging, ein Bezug zu realen Menschen, die durch die Bomberpiloten real bedroht wurden.

Paolo Poloni nimmt in seinem kurzen Versuch Political Science die CNN- Bilder, verfremdet und verlängert sie, bricht den Rhythmus des Schnitts, setzt andere Bilder hinzu und unterlegt das Ganze mit einem bitterbösen Lied des Rockpoeten Randy Newman. Der Text des Liedes wird in die Bilder eingeblendet. Das Lied bestimmt Bildfolge und Rhythmus. Wir gaben ihnen Geld, singt Randy Newman. Doch sind sie dankbar? Nein. Auf das Bild von Bush folgt dasjenige einer abgefeuerten Scud-Rakete: „They don’t respect us. So let’s suprise them. We’ll drop the big one and pulverize them.“ Der bekannte Bildinhalt - die irakische Bedrohung - wird umgedreht in die amerikanische Bedrohung, eine ihrer Atombomben zu zünden. Bilder aus einer Kriegsberichterstattung ohne kritische Position werden durch kleine Eingriffe einer filmischen Arbeit zu Trägern einer kritischen Position.

Jean Baudrillard, Agonie des Realen: Die Präzision der Simulakra, Berlin 1978, S. 62.

Vgl. Jean Baudrillard, „The Reality Gulf“, in: The Guardian (11. Januar 1991). Siehe auch Christopher Norris, Uncritical Theory, Postmodernism, Intellectuals and the Gulf War, London 1992, S. 11-15.

Jean Baudrillard, „La guerre du Golfe n’a pas eu lieu“, in: Libération (29. März 1991). Siehe auch Norris (wie Anm. 2), S. 192-196.

Vgl. Norris (wie Anm. 2), S. 12-15, S. 190/ 191, S. 195/196.

Paul Virilio, Krieg und Kino: Logistik der Wahrnehmung (Paris 1984), München 1986, S. 9.

Virilio (wie Anm. 5), S. 89.

Tages-Anzeiger (26. Juli 1993), S. 3.

Filmographie

Desert Storm I: The War Begins, CNN Special Reports, USA 1991.

Desert Storm II: The Victory, CNN Special Reports, USA 1991.

Les feux de Satan, Werner Herzog, Deutschland, Reports, USA 1991.

Dr. Strangelove: or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb, Stanley Kubrick, USA 1963.

Les feux de Satan, Werner Herzog, Deutschland, Frankreich und Spanien 1992.

(It was just) a job, Samir, Schweiz 1992.

Political Science, Paolo Poloni, Schweiz 1991.

Beat Funk
geb. 1957, studiert Geschichte, Philosophie und Filmwissenschaft, Assistent am Seminar für Filmwissenschaft, Universität Zürich.
(Stand: 2019)
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