MARTIN SCHAUB

HORS SAISON (DANIEL SCHMID)

SELECTION CINEMA

Das Hotel war dem kleinen Valentin die Welt gewesen, der Himmel sah in seinen Phantasien aus wie das Hotel. Er ist zurückgekommen an den Ort seiner Jugend, und er holt jene begnadeten Blicke auf die Welt herauf in seine Gegenwart. Wehmütig, aber auch ein bißchen ironisch. Die Magie des Ortes und seiner Bewohner stellt sich für den Heimkehrer wieder ein: Der Großvater, den Sarah Bernhardt geküßt hat und der, blind geworden, ohne daß es ein Gast merkt, das Regime der Großmutter überläßt, die Kioskfrau mit ihren Nachrichten aus Entenhausen, der Magier mit seinen Hotelauftritten, das Stimmungsduo, die Hotelcoiffeuse, die Gäste und ihre Wünsche und Tricks, der verrückte Onkel, dem das Irrenhaus zum Hotel wurde, die frevelhafte Begegnung mit der Weihrauchwelt der Katholischen.

Der fünfzigjährige Valentin (Sami Frey) wandert durch das Revier seiner Jugend, blickt auf sich zurück und versucht den unschuldigen Blick von damals wieder. Daniel Schmids Film funktioniert mit diesen intimen Differenzen. Er verzichtet auf hochdramatische Ereignisse, denn sie würden den Zuschauer in die Irre leiten. Es geht weder um Sittenbild noch um Geschichtsschreibung, sondern um die Beschreibung eines Weltinnenraums. In der beginnenden Nachsaison seines Lebens fragt sich einer, in dem der Autor unschwer zu erkennen ist, was das bis jetzt alles gewesen sei. Und wieviel von seiner kindlichen Unschuld er hat retten können, wieviel von seinem Gefühl für die Magie des Lebens. Der Mann, der an den Ort seines Glücks - ein Wort, das er damals noch nicht gebraucht hat - zurückkehrt, bleibt immer präsent, taucht auch dann auf, wenn sich der Zuschauer nur allzugerne auf den Zauber der Frühe einlassen möchte. Wie um immer wieder sicherzustellen, daß das System der Zeit- und Bewußtseinsebenen nicht zerbreche.

Das Erzählmuster ist inspiriert von Fellinis „Amarcord“ und Aliens „Radio Days“, doch der Stoff zieht kleinere Kreise, wird weniger zum Zeitbild als zum Bild einer Insel in der Zeit. Zu diesem Bild gehören auch die zentralen Metaphern: das Meer und die Muschel, Symbole des Fernwehs. Insofern reflektiert Schmid schweizerische Miniaturisierung. Nicht allerdings der Film selbst, der mit Abstand die professionellste schweizerische Produktion seit langem ist: ohne Schwächen im Casting, in Bild und Montage, in Dekor und Kostüm, von der Musik Peer Rabens gar nicht zu reden, die über die mit Wehmut gesehene Hotelwelt mit einem Hauch von Gold zieht.

Die Perfektion von Hors Saison kann irritieren; ein gewisses Mißverhältnis von Anlaß und Ausführung läßt sich nicht übersehen, auch weil Schmid die in dem Stoff angelegte Untergangsvision nicht durchgeführt hat.

Martin Schaub
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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