DORIS SENN

AUS HEITEREM HIMMEL (FELIX TISSI, DIETER FAHRER)

SELECTION CINEMA

Chäschpu, zerfahrener Fotolaborant, verpaßt als Bildreporter nicht nur das entscheidende Goal beim Cup-Final, er bringt auch die Hochzeits- und Ferienbilder im Foto-Schnellservice durcheinander; Tina, Schülerin und Ausreißerin, ist flügge geworden und wird von ihrem geduldigen Vater vergeblich immer wieder ins behütete Zuhause zurückgeholt; Grászena, die polnische Serviererin in einer flauen Quartierbeiz, schlägt sich mit Männerbeziehungen herum; Özgür, türkischer Fremdarbeiter, schwindelt seinen Eltern eine glückliche Integration in die Schweizer Gesellschaft vor, für die er nun als Beweis den - erfundenen - Freund Hansruedi auf Video festhalten soll, und schließlich Lucie, Schlafwandlerin und Krankenschwester, die ihre Patienten nächtelang mit angelesenen Erzählungen wach hält, sind die fünf Figuren, die Felix Tissi und Dieter Fahrer in einem Reigen des Zufalls durcheinanderwirbeln lassen.

Wie beim Staffellauf übergeben sich die Personen auf ein Stichwort, eine Geste, eine flüchtige, manchmal fatale Begegnung in schnell aufeinanderfolgenden Sequenzen den Schlüssel für die nächste Szene. Der Film beinhaltet keine in sich geschlossene Geschichte, sondern besteht aus mit vielen Details erzählten Handlungssträngen, die am Ende Ausgangspunkt für neue Geschichten und Verwicklungen sein könnten: Chäschpu findet sich, wie von unsichtbarer Hand geführt, auf der Leiter zu der Dachterrasse wieder, auf die sich auch Tina gefluchtet hat; Özgür fährt alleine in der Nacht seiner Heimat und einer ungewissen Zukunft entgegen; Grászena, auf dem Heimweg von einem Mann angegriffen, wird getröstet von Lucie, die bei einer ihrer somnambulen Anwandlungen aus dem ungesicherten Fenster stürzt; in Bern wird die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet, und die ersten Morgenbusse fahren aus.

Stimmungsvolle Streiflichter auf alltägliche Außerordentlichkeiten, ein Netz von kargen Dialogen, die, oft ironisch-amüsant, auch tragische Passagen vor dem Absturz sichern, weben ein - manchmal vielleicht allzu konstruiert anmutendes - Geflecht von miteinander verknüpften und sich wieder lösenden Schicksalen und Zufällen, die die Gesetze der Physik aufzuheben oder sie vielleicht gerade in ihrer zwingenden Folgerichtigkeit zu bestätigen scheinen, denn wie sagt der Fernsehsprecher im Film über die Chaostheorie: Schon der Flügelschlag eines Schmetterlings kann in einem weit entfernten Weltteil einen Orkan auslösen.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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