Robert Tanner ist Filialleiter eines Lebensmittelladens in einer gesichtslosen Ortschaft im Schweizer Mittelland. Keine Stadt und auch kein Dorf, sondern eine Ansammlung von Vorstadthäusern ohne Identität. Tanner kommt als erster, füllt die Gemüseauslagen, begrüßt die Kundinnen und geht als letzter, wenn die Buchhaltung gemacht ist. Einmal kontrolliert ein Inspektor der Mutterfirma die Auslagen, ob alles auch frisch ist. Der Mann hat einen ironischsüffisanten Blick, und noch während wir mit Tanner auf seiner Prüfungstour leiden, ahnen wir, daß etwas mit dem Film nicht stimmt. Der Kontrolleur ist nicht ein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern die Idee von einem Menschen, er ist eine Karikatur, die Karikatur nämlich der Überwachung, der Unselbständigkeit, der Willkür. Aber für den Auftritt dieses überrissen bürokratischen Feindbilds ist der Boden im Film überhaupt nicht vorbereitet.
Robert Tanner hat Schulden. Warum, erfährt man nicht. Ein nicht näher definierter Taxifahrer will Geld von ihm, und das genügt, um Tanner völlig aus der Bahn zu werfen. Er klaut aus der Ladenkasse, er ist nervös, verängstigt, unfähig, sein einigermaßen intaktes Familienleben im eigenen Häuschen zu genießen. Was ist mit Tanner los? Ist er latent homosexuell, wie die Anfangsszene anzudeuten scheint, in der Halbwüchsige lässig auf seinem Auto herumturnen? Kann er schlicht mit Geld nichtumgehen? Ist er ein Träumer, einer, der einmal höher hinaus wollte?
Bevor der Zuschauer Zeit hat zu antworten, legt Robert Tanner der schlafenden Frau und dem Kind ein Kissen übers Gesicht und drückt zu. Die Psychologie nennt das ausgedehnten Selbstmord; statt sich selbst umzubringen, bringt Tanner seine Liebsten um. Er fährt dann etwas benommen ins Tessin.
Jetzt ist Tanner frei. Ein Toter unter den Lebenden, dem niemand etwas anhaben kann. An sich wäre dieser Moment einer künstlichen Freiheit der spannendste im Film, aber der Zuschauer kann ihn nicht nachvollziehen. Denn der Zuschauer ist immer noch bei der Frage: Warum ist Tanner ausgerastet? Geld? Sex? Verpaßtes Leben? Ein tieferer Grund muß doch da sein. Wenn nämlich jeder kleine Filialleiter mit Geldproblemen seine Familie umbringen würde, gäbe es in der Schweiz bald keine Filialleiter mehr.
In der nächsten Szenenfolge kommt Tanner mit einer Reisenden ins Gespräch, einer Frau in seinem Alter. Da uns aber seine Tat nicht plausibel erscheint, können wir auch nicht als Mitwisser seiner Gefährlichkeit in Hitchcockscher Manier um die Frau zittern, die sich mit dem rätselhaften Filialleiter eingelassen hat. Nach dieser kurzen Episode stellt sich Tanner der Polizei! Der Schluß bleibt offen: Wird er von einem Auto überfahren, als er in letzter Panik doch noch davonzurennen versucht?
Das Drehbuch des Films geht auf eine Gerichtsreportage von Fritz H. Dinkelmann zurück. Doch was im Gerichtssaal funktioniert, nämlich die Analyse des speziellen Falls, ist im Kino viel schwieriger, weil der Fall ins Allgemeine gewendet werden muß. Schaub ist dieser Problematik ausgewichen, indem er den Fall im luftleeren Raum situierte. Eine dem Film gegenüber wohlgesinnte Kritik hat gerade diese Abwesenheit einer kriminalistischen Motivation, die Beschränkung auf die „innere Topographie“ der Protagonisten als Positivum hervorgehoben. Damit wird eine Cinematographie unterstützt, die sich in gefährliche Nähe einer ereignislosen Innerlichkeit begibt. Was allerdings den Film auszeichnet, ist eine hervorragende Kameraführung (Ciro Capellari), noch selten hat man die dräuende Ereignislosigkeit des Mittellands so eindrücklich abgebildet gesehen.