Berlin, heute - d. h. noch kurz vor dem Fall der Mauer. Die Kamera fährt im Westteil der Stadt über die gesichtslose urbane Landschaft der Peripherie. An der Fassade eines mehrstöckigen Reihenwohnhauses macht sie halt: Hier ist es; hier sind wir, das Publikum, eingeladen, während der folgenden sieben Tage zu verweilen, hinter die Fassade, die verschlossenen Türen, in die Wohnungen zu blicken und bruchstückhaft Einblick zu nehmen in das Leben von 17 Menschen. Die Kamera hätte auch an einem anderen Ort verweilen können. Die Situation scheint zufällig, die Menschen sind unspektakulär, die Ereignisse alltäglich, das Leben verläuft „normal“.
Dieser Ausgangslage, der Zeichnung der Figuren und der Entwicklung der Geschichten eignet der Schein des Dokumentarischen, obwohl Anka Schmid das Ganze als Spielfilm mit Schauspielern und Schauspielerinnen inszeniert hat. Oder vielleicht müßte man besser sagen: Gerade weil dieser Film auf Inszenierung basiert, kommt er dem Authentischen näher. Oder noch einmal anders formuliert: In der Fiktion exponiert sich eindringlich das, was wir als Realität beobachten und wahrnehmen. Im Gestellten manifestiert sich Unverstelltes, in den simulativen Szenarien Tatsächliches und Mögliches, im Individuellen Gleich-Gültiges und im Zufälligen Exemplarisches. In diesem Kontext gelingt es Anka Schmid, mit einem sensiblen Gespür für die Zwischentöne und die kleinen Unterschiede, die das alltägliche Leben charakterisieren, eine vielschichtige Collage von Charakteren und Daseinsweisen, von Lebenserfahrungen und persönlichen Vorstellungen zu entwerfen.
Dramaturgisch wählt Anka Schmid (und mit ihr der Kameramann Ciro Cappellari) die nahe und gleichzeitig diskrete Beobachtung, den Standort der stummen und intimen Zeugenschaft. Und damit wird das Auge des Publikums mit dem Kameraauge identifiziert. Wir als Zuschauer und Zuschauerinnen gehen mit über die Treppen im Hausgang, treten ein durch die verschlossenen Türen in die Stuben. Wir beobachten und belauschen die junge Frau im Rollstuhl beim Kastagnettenspiel, den saufenden Arbeitslosen, die pubertierenden Mädchen, den achtzigjährigen Fotografen, der in seinen Erinnerungen ablebt, den geilen Hauswart. Die Einheit des Ortes und tendentiell auch der Zeit unterstützt diese Konzeption eines dichten Erlebnisraumes. Gleichzeitig bleiben die Einblicke fragmentarisch, die Wahrnehmung funktioniert kaleidoskopisch, die Annäherungen werden unterbrochen, Bedeutungen ergeben sich hinweisartig, die Außenwelt sowie Vergangenheit und vorgestellte Zukunft werden indirekt vergegenwärtigt. Durch die Schwarzweißbilder wird zudem eine weitere „Abstraktion“ erreicht.
Anka Schmids Film fasziniert einerseits also durch empfindsam entworfene Szenarien alltäglichen Lebens und Menschen „wie du und ich“. Andererseits auch und vor allem durch das Spiel mit Nähe und Distanz, mit Teilnahme und Ausgrenzung, mit vermittelten Geschichten und eigenständig produktiver Vorstellung. Auf dieser Ebene jedoch liegt auch ein Problem dieser Arbeit begründet. Mir scheint, daß trotz der formalen Collage-Konzeption der Grundton dieses Films bestimmt ist durch die Nähe zu den Figuren und die Einfühlung. Hinter verschlossenen Türen stellt letztlich ein naturalistisches Milieustück traditioneller Provenienz dar. Im Heutigen aber, und aufgrund des in der Kultur bis anhin Vorgearbeiteten, müßte die in diesem Film anvisierte Dialektik von Innen- und Außenwelten, von Geschichte und Geschichten, von persönlichen „Schicksalen“ und gesellschaftlichen Handlungsräumen, von individueller Behauptung und der Illusion wie auch immer gearteter kollektiver Versöhnung weitergetrieben werden. Dazu brauchte es eine klarere Distanz, auch und nicht zuletzt dem Sichtbaren und Offensichtlichen gegenüber. Hier wäre eine filmisch essayistischere Form angemessen, die die Aufmerksamkeit auf das Abwesende, das Nicht-Sichtbare fokussiert und sich diskursiver diesen kleinen Welten gegenüber verhält. Denn so, wie Anka Schmid die Sache angeht, verkommt die Sensibilität der Wahrnehmung zur reflexionsverhindernden Sentimentalität, und das effektiv Gleich-Gültige dieser vorgeführten Existenzen entlarvt sich als das Beliebige.