WOLFRAM SCHÜTTE

MÄANDER DURCH EINEN DSCHUNGEL — DER «AMPHIBISCHE FILM»: MIT WELCHEN WASSERN ER GEWASCHEN IST UND WO ER ÜBERALL AN LAND STEIGT

ESSAY

Das mittlerweile geflügelte Wort vom «amphibischen Film» stammt von Günter Rohrbach; er hat es 1976 in die Welt gesetzt. Rohrbach war damals noch «Leiter des Programmbereichs Spiel und Unterhaltung» des WDR, des grössten Senders innerhalb des ARD. Dort waren die meisten Film-Fernseh-Koproduktionen entstanden. Heute ist Rohrbach (ebenso wie sein massgebender Dramaturg Peter Märtesheimer) bei der «Bavaria-Atelier-Betriebsgemeinschaft». Es ist eine Tochtergesellschaft der ARD; Rohrbach ihr Chef. Dort werden «amphibische Filme» im grösseren Massstabe hergestellt als zuvor beim WDR.

Der Terminus ist ein Vermittlungsangebot. Er meint Filme, die sowohl im Kino als auch am Fernsehen laufen sollen; die sowohl vom Fernsehen als von privaten Produzenten hergestellt werden. Rohrbach reagierte mit dem Begriff auf eine doppelte Kritik an den bundesdeutschen Fernsehanstalten: einerseits machten die «Altproduzenten» das Fernsehen und seine im Laufe der Jahre gewachsene Zahl von Filmaus-strahlungen dafür verantwortlich, dass der Kinobesuch generell und der Besuch deutscher Filme besonders dramatisch zurückgegangen war, woran auch die mit dem Fernsehen aufgrund der deutschen Filmgesetzgebung produzierten Filme nichts zu ändern vermocht hätten; andererseits mutmasste die ernstzunehmende Kritik, dass die mehr als bloss ökonomische (nämlich dramaturgische) Beteiligung des Fernsehens in diese Filme eine «Fernsehästhetik» eingeschmuggelt habe, die endgültig zum Tod des Kinos führen werde.

Eine trübe Melange, mit Wahrheiten, die falsch, und Verfälschungen, die richtig waren. Rohrbachs Begriff vom «amphibischen Film», der vom sinkenden Wasserspiegel des Kinos ans rettende Land des anwachsenden Fernsehens gestiegen war, enthielt ausser solchen platten Signalworten wie «Fernsehen wird durch Kino erst schön» nichts Präzises.

Der «amphibische Film» war eine geschickte Beruhigungsfloskel, unter welcher die Expansion der Fernsehanstalten als Produzenten von Spielfilmen voranschritt. In die Lücke, die der ökonomische Niedergang der Filmproduktion immer weiter aufriss, stiessen Tochtergesellschaften der ARD vor (wie die «Bavaria» und das «Studio Hamburg»), wo nicht audiovisuelle Medienkonzerne wie die «Beta» oder die «Ullstein-TV» sich ihr Terrain eroberten. Die Wirtschaftsgesetzeslücke, welche Abschreibungsfilme begünstigt, und gerade auch die Berliner Filmförderungsmassnahmen (rein wirtschaftlich orientiert), haben Scheinfirmen aus dem Boden schiessen lassen, deren Gelder teils ausländische Produktionen in die Bundesrepublik ziehen, teils deutsches Abschreibungsgeld ins Ausland transferieren. So soll, hörte ich einmal aus vertrauenerweckender Quelle in Cannes 1979, z. B. Milos Formans Hair zu fast 100 Prozent aus deutschen Abschreibungsgeldern produziert worden sein; auch Bergmans Schlangenei und Fassbinders Despair, von den etwas reputierlicheren Projekten, gehören zu dieser Kategorie. Ist überhaupt ein grösseres Objekt deutscher- oder scheinbar/haft deutscher Provenienz ohne solche Finanzierungen möglich?

Dass der Praktiker und Propagandist des «amphibischen Films» zur «Bavaria» gegangen ist, entspricht also einer inhärenten Logik der Produktion. Auch die zunehmende direkte Produktion von Serienfilmen für das Fernsehen (Geissendörfers Theodor Chindler, Fassbinders Berlin Alexanderplatz, Edgar Reitz’ Hunsrücker Geschichten) dürfte auf Marktüberlegungen zurückzuführen sein, die darauf abzielen, möglichst viele Zuschauer möglichst kontinuierlich an eines der beiden Systeme - ARD oder ZDF - zu binden. Da zeichnet sich eine Programmkonzeption ab (die eben nicht nur eine Programmkonzeption ist), deren mannigfaltigste Folgeerscheinungen noch gar nicht so recht reflektiert worden sind. Und dass der Konkurrenzkampf der öffentlich-rechtlichen Systeme nicht ad usum delphini geführt wird, dürfte jedem bekannt sein, der die bundesdeutsche Medienpolitik verfolgt. Nicht nur als Produzent von Spielfilmen, auch als deren Distribuent, wofür die Filmankaufsorganisationen zuständig sind, stellen sich die Systeme unter das Diktat der Einschaltquoten. Es versteht sich von selbst, dass solche erwähnten Episierungen von Stoffen - gleich welchen kulturellen Statuswerts (Literaturverfilmung) oder gleich welcher Qualität (Kammerspielfilm) - nicht nur immense ökonomische Summen auf ein Objekt konzentrieren und folglich für eine Vielzahl anderer und für möglicherweise kurzfristig denkbare Vorhaben, bei festen Etats, kein Geld (und keine Risikobereitschaft) mehr vorhanden ist; sondern es versteht sich auch, dass solche Kapitalinvestitionen andere Produktionsformen bedingen.

Mit der Spontaneität, Intimität und Punktualität des «Autorenfilms», der seine Vorzüge wie seine Mängel auch ökonomischen Zwängen schuldet - wenn Vorzüge wie Mängel gegenüber steriler Perfektion und Routine nicht in einem «Augenblick der Wahrheit» unlöslich identisch werden -, sind solche Grossproduktionen nicht mehr zu verwirklichen. Der «Apparate (Dramaturgie, Produktionsort und -mittel) schiebt sich in den Vordergrund - also eben jener sekundäre Bereich, der von der Filmkritik als geheimer Verführer zu einer sich einschleichenden «Fernseh-Ästhetik» bereits früher ausgemacht worden war. Das Netz von Filmförderungsmass-nahmen, das den freien Fall der Artisten in der Zirkuskuppel abfedert, vermindert Risiken; aber geknüpft wird es durch eine Vielzahl von Gutachtergremien und Kommissionen, die eine immer intensivere wechselseitige Abhängigkeit von «freien» Produzenten, Autorenfilmem und Fernsehanstalten herbeigeführt haben.

Nun könnte man in diesem System von Interdependenzen durchaus so etwas wie eine Reorganisation der (freilich durch eigene Unfähigkeit selbstzerstörten) bundesdeutschen Filmindustrie sehen. Rückkehr also zu arbeitsteiligen industriellen Fertigungsmethoden, professioneller Produktion, extensive Nutzung von bislang brachliegenden Studioanlagen, Grossmanagement, das weit über den Sektor «Herstellung von Spielfilmen für eine Fernsehausstrahlurig» hinausgreift.

New Hollywood in Germany?

Selbst der blauäugigste Verfechter einer solchen Reindustrialisierung vermöchte nicht abzuleugnen, dass sie den ästhetischen Charakter deutscher Filme künftig verändern wird. Nicht nur sie. Auch das in den letzten Jahren gewachsene Renommé hat zu einem Selbstbewusstsein zumindest bei einer bestimmten Regisseure-Generation geführt, das sich -nach den ausserordenthchen Geschäftserfolgen von Die Ehe der Maria Braun, Die Blechtrommel und Nosferatu -anschickt, die Position des deutschen Autorenfilms zu räumen. Sie ist kein Dogma, sicher. Gleichwohl muss festgehalten werden, dass der Eindruck von Originalität, Vitalität und künstlerischer Vielfalt, welcher den deutschen Film zu einem international bestaunten Objekt der Begierde gemacht hat, sich dem Konzept des Autorenfilms und dem Mangel einer filmindustriellen Basis verdankt. (Nicht zu vergessen: auch der «mäzenatischen» Entwicklungspolitik der Fernsehanstalten, durch die allein z. B. Schroeter und Rosa von Praunheim, Syberberg und Bockmeyer, Achternbusch und Kluge kontinuierlich arbeiten konnten.)

Die Geschäftserfolge der drei Filme von Schlöndorff, Fassbinder und Herzog sind von amerikanischen Verleihen erzielt worden. Auf unterschiedliche Weise trafen alle drei Filme auf einen breiten Resonanzboden beim Publikum: sei es durch die Partizipation an einem bekannten kulturellen, sinnlichen Stoff (Die Blechtrommel), durch eine Verschränkung aktueller Thematik (Frauenemanzipation) mit einem historisch-nostalgischen Interesse (Nachkriegszeit) bei Der Ehe der Maria Braun, oder sei es als Remake eines ohnehin aktuellen Genreklassikers durch einen «Spezialisten» für befremdlichen Schrecken (Nosferatu). Es wäre jedoch naiv, anzunehmen, die Geschäftserfolge dieser Filme seien den amerikanischen Verleihen in den Schoss gefallen und sie rührten allein von den Attraktivitäten der Filme her. Die amerikanischen Verleihe sind marktbeherrschend, besitzen grosses ökonomisches Durchsetzungsvermögen und Promotion-Erfahrung. Die sind hier voll eingesetzt worden.

Nebenbei sollte nicht vergessen werden, dass alle drei Filme vom Fernsehen mitproduziert worden sind - also der «amphibische Film» sich längst auch in multimedialem und multinationalem Wasser tummelt. Als Produkt ist Die Blechtrommel wie auch Nosferatu eine internationale Koproduktion, wobei Herzogs Film den Eindruck hinterliess, der Regisseur habe sein eigenes bisheriges Werk und dessen spezifische Originalitäten (samt Murnaus ästhetischer Formulierung des Stoffes) selbstexploitiert. Nosferatu ist der Verfall einer künstlerischen Potenz zur Selbstreproduktion als Marken-und Massenartikel. Zu welchen immanenten kulturpolitischen Widersprüchen Herzogs Aufstieg ins grosse Geschäft führt, zeigen die schwer durchschaubaren Vorgänge um die Produktion seines Fitzcarraldo in Peru. Der «sensibelste deutsche Filmmacher» (Schlöndorff über Herzog) ist nicht das Opfer einer publizistischen Rufmordkampagne geworden, sondern dabei, seine Sensibilität aufs Spiel zu setzen. Und wenn man in diesen Tagen liest, Fassbinder sei dafür «verpflichtet» worden, einen «Lili-Marleen-Film» mit der Maria-Braun-Darstellerin Hanna Schygulla zu drehen, dann ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass damit, im Stil des internationalen Zutaten-Films, eine Wiederholung und Übertrumpfung des Maria-Braun-Erfolges anvisiert wird, nun allerdings mit dem Blick auf den internationalen Markt.

Die wachsende Fremdbestimmung in der bundesdeutschen Filmproduktion ist unverkennbar. Sie ist eine Folge der Revitalisierung filmindustrieller Produktion. Auf diesem Gelände, das offen ist sowohl für ausländische Produzenten (z. B. US-Verleihe über Tochtergesellschaften) wie für nationale und multinationale Medienkonzerne (die «Ullstein-TV» hat z. B. Eberhard Fechner «eingekauft»), nimmt das Fernsehen, direkt (als Ankäufer von Stoffen, fertigen Filmen und als Produzent) oder indirekt über Tochtergesellschaften eine Stellung ein, die ihm es ermöglicht, fast überall, wo in der Bundesrepublik produziert wird, seine Finger im Spiel zu haben - sei es als Auftraggeber, Coproduzent oder als Dienstleistungsbetrieb (Ateliergelände, technischer Stab). Ein Dschungel ist diese Medien-Produktionslandschaft, durch die sich das Fernsehen mäandert.

Fremdbestimmung (und das wird hier vorerst nicht pejorativ gemeint) bedeutet mehreres:

1. den Staffetten- und Spiessrutenlauf eines Stoffes oder eines Autors durch Gremien, Kommissionen und Bürokratien.

2. den gleichen Weg quer durch die Dramaturgien des Fernsehens, die bei Koproduktionen und allen anderen Formen, die der TV eine Mehrheitsbeteiligung sichern, eingreifen können, sei es, um dem Stoff ein gewisses «professionelles» Styling zu geben, sei es nur, damit die Dramaturgie einen Existenznachweis erbringt, oder sei es - was besonders angesichts des zunehmenden politischen Drucks auf die Anstalten naheliegt -, um relativ früh und unspektakulär gewisse zensorale Vorbehalte einfliessen zu lassen.

3. Durch die ökonomischen Erfolge kapitalintensiver Produktionen und durch die reintensivierte Atelierfilmproduktion bedingt, entsteht eine Konkurrenz unter den Mehreren-Millionen-Mark-Projekten und deren Suprematie über eine gestreute Low-Budget-Produktion. Hatte die Kritik früher dem «amphibischen Film» vorgeworfen, er folge stofflich und ästhetisch oft einer flachen, unattraktiven Fernsehästhetik, so orientiert sich heute der «amphibische Film» eher an «Kinoqualitäten» - nicht um deren selbst willen, sondern aus Profit- und Konkurrenzgründen. Denn diese Produkte sollen zuletzt im Fernsehen verwertet, primär aber auf dem Kinomarkt ausgewertet werden. (Vorwiegend übrigens durch amerikanische Verleiher, welche den Vertriebsmarkt kontrollieren.)

4. Durch Ämterhäufung in Gremien, Kommissionen und Ausschüssen sind Mitarbeiter des Fernsehens früh über Projekte informiert; sie können, so sie Interesse an dem Vorhaben besitzen, dessen Förderung lenken, Förderungsmittel akkumulieren und das Projekt auf eine bestimmte Produktionsschiene schieben. Es gibt ja schliesslich auch «freie Produzenten», die bei einzelnen Sendesystemen oder Sendern jährlich einen festen Produktionsetat haben, der ausgelastet werden muss.

5. Durch Festlegung der Mittel auf Serien-Drehbücher, die weniger Risiken enthalten.

So vielfältig und verzwickt das Produktions- und Förderungssystem in der Bundesrepublik sein mag: mit dem Entstehen einer filmindustriellen Landschaft, in der höhere Kapitalien in einzelne Projekte investiert und in welcher der expansive Wunsch zur Konkurrenzfähigkeit mit anderen Produkten auf dem heimischen und Weltmarkt sich durchgesetzt hat, ist die Kontrolle immer grösser geworden.

So ist z. B. bei den Verhandlungen um ein «Rahmenabkommen» der Fernsehanstalten, welche das Filmförderungsgesetz ergänzt, die Rolle des Vorabkaufs von Filmvorhaben seitens der Fernsehanstalten umstritten. Es sind nämlich solche Projekte, für die das Fernsehen vor Drehbeginn eine bestimmte Summe zahlt, mit der eine spätere Ausstrahlung abgegolten ist - ohne die Möglichkeit zu haben, auf den Stoff und die Gestaltung während der Produktion Einfluss nehmen zu können (- falls man nicht die Einwilligung zum Vorabkauf von bestimmten Wünschen doch schon vorweg abhängig gemacht hatte). Und das in diesem Jahr eingeführte Bayrische Filmförderungsgesetz ist so strukturiert, dass eine Sperrminorität von Staatsbeamten jedes missliebige Filmvorhaben abweisen kann.

Forderung nach Selbstbestimmung

Aus derartigen Erfahrungen und solchen nun eingetretenen Erwartungen hatte die «Hamburger Erklärung» im vergangenen September die filmpolitische Forderung nach «Selbstverwaltung» und «Selbstbestimmung» in der Filmförderung erhoben. Die «Hamburger Erklärung», seit dem «Oberhausener Manifest» die zweite entschiedene programmatische Erklärung bundesdeutscher Filmmacher, besass den Nachdruck einer Demonstration. Denn das «Hamburger Filmfest» war selbst Beweis der Fähigkeit, die eigene Sache in die eigenen Hände nehmen zu können. In Hamburg versammelte sich der deutsche Film zum ersten Mal seit Jahren wieder in seiner ganzen Vielfalt und Breite - von den «Etablierten» bis zum unbekannten Nachwuchs, die Spielfilmregisseure so gut wie die Experimentalfilmer und die Dokumentaristen. Ihr gemeinsames kulturpolitisches Konzept zielt darauf, durch Selbstverwaltung öffentlicher Mittel, in regionalen Filmwerk- und Produktionsstätten und durch einen bestimmten Prozentsatz der Bundes- und Länder-Förderungsmittel, die dem Nachwuchs, den Dokumentaristen und den Experimentalfilmern zur Verfügung stehen, jener Verengung zum kapitalintensiven Spielfilmprodukt etablierter Regisseure entgegenzuwirken. Also wider die allseitige Konzentration und Fremd(kapital)bestimmung ein Prinzip eigenverantwortlicher, unabhängiger und regional vielfältiger Filmproduktion und Filmarbeit wie Arbeit mit Film aufzubauen. Ein ebenso tollkühnes, bescheidenes wie notwendiges Vorhaben, das jedoch umso schwieriger zu verwirklichen sein dürfte, als es kulturpolitisch dem Trend zur bürokratischen, politischen, staatlichen Kontrolle und Reglementierung sowie zur Kapitalkonzentration total zuwiderläuft. So geringfügig die finanziellen Mittel sind, die zu seiner ansatzweisen Verwirklichung nötig sind: es ist vorauszusehen, dass das Vorhaben in einigen CDU/CSU-regierten Bundesländern gar nicht, in anderen nur nach erheblichen Widerständen und mit Einschränkungen von den Politikern akzeptiert wird. Umso notwendiger ist eine Solidarität unter den Filmmachern, die sich jedoch selbst in extremen Konkurrenzsituationen befinden. Der augenblickliche Filmproduktionsboom in der Bundesrepublik und die zumindest im ZDF immer noch offen gehaltene Nische für im weitesten Sinne «experimentelle», «abweichende» und Erstlings-Filme («Das kleine Fernsehspiel», Kamerafilme» usw.) - wenngleich auch derartige Billigproduktionen zunehmend und langwierig im Förderungsdschungel herumwaten müssen und sich in dessen Lianen gelegentlich verheddern - lassen zwar bei manchen namhaften Filmmachern den Eindruck einer gesicherten Vielfalt von unterschiedlichen Produktions- und Arbeitsformen entstehen. Der Eindruck ist auch nicht falsch, und es wäre absurd, den ästhetischen Reichtum des gegenwärtigen deutschen Spielfimschaffens zu leugnen. Aber seine Produktionsformen befinden sich in einer Übergangslage, der augenblickliche Zustand ist nicht stabil, seine Tendenz geht auf Konzentration und nicht auf Diversifikation; der Nachwuchs, die Dokumentaristen und die Experimental-filmer haben keine gesicherten, vor allem keine ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten, und ob der nationale Charakter, die Intensität, mit welcher der bundesdeutsche Film vielzüngig und farbig von und zu seinem Entstehungsland und seiner Kultur, Geschichte, Politik und zum Alltag gesprochen hat, nicht doch langsam in ein bloss noch phantomhaftes Sprechen verfällt, ist angesichts der derzeitigen Bewegungen auf dem Medien- und Produktionsmarkt der Bundesrepublik höchst ungewiss.

Der Gedanke, Organisationsformen zu finden, welche die einzelnen europäischen Kinematographien unterhalb und gegen die multinationalen Strategien zu einem losen, sich gegenseitig stützenden Verband zusammenschlösse, dessen kulturpolitisches Ziel ein «Europa der Film-Vaterländer» wäre statt ein Markt des Euro-Films, ist unter europäischen Filmemachern noch nicht sehr verbreitet. Doch einige gibt es schon, die sich von ihren Filmindustrien nicht fremdbestimmen lassen wollen, sondern die Produktion und die Garantie der Produktion von Filmen unterschiedlichen Genres, die jeweils ihre nationale, kulturelle, soziale Identität formulieren, im Auge haben. Noch zu wenige sind in dieser kulturpolitischen Arbeit aktiv. Aber keine nationale Kinematographie kann heute ausserhalb eines Verbundsystems mit anderen nationalen Kinematographien die Chance ergreifen, sich selbst zu behaupten. Der «amphibische Film» ist epidemisch.

Wolfram Schütte
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(Stand: 2020)
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