Gross und klein - Zeigen und Schauen Die Zeit der «kleinen Filme mit den erstaunlichen Erfolgen» ist noch nicht zu Ende. Es gibt die kleinen Würfe noch immer; kleine Filme, die «richtig fallen». Das «Richtig Fallen» lässt sich nicht planen. Eine ganze Filmindustrie jedenfalls lässt sich auf solche Planung oder auf das Vertrauen auf das «Richtig Fallen» nicht gründen. Was soll sie also tun? Nach einer gewissen Periode der Ratlosigkeit und Verunsicherung scheinen einige, vor allem Amerikaner, wieder Rat gefunden zu haben. Es wird wieder investiert, und zwar auf allen Ebenen. «Hollywood» investiert in Autoren; heute arbeiten Filmemacher im System, die noch vor zehn Jahren ihren kleinen Spielraum abseits einrichten mussten. Sie bezahlen ihren Preis, selbstverständlich, aber sie scheinen ihn gar nicht so ungern zu zahlen, denn im System kommen sie an die zweite Errungenschaft des neuen besseren Investitionsklimas heran, an die in den letzten Jahren endlich weiterentwickelten technischen Hilfsmittel des Filmemachens. Die Amerikaner haben in kürzester Zeit das Dampfkino elektrifiziert und so wieder einen sieht- und hörbaren Abstand zwischen ihre Prestigeproduktionen und das handwerkliche Kino der übrigen Welt und die eigenen TV-Produktionen gelegt. Die grossen amerikanischen Produktionen sind totale audiovisuelle Environments, Opern. Jährlich entstehen rund ein Dutzend Superproduktionen, die mit quasi unbeschränkten Mitteln zu unausweichlichen Ereignissen gemacht werden. Gibt es überhaupt noch Raum zwischen diesen Flugzeugträgern made in USA? Kleinere Produzenten, v. a. Europäer, versuchen es mit kleineren, aber noch immer ansehnlichen Fregatten, die unter mehreren Flaggen - es sind internationale Koproduktionen - sich zwischen die Flugzeugträger schieben, ihnen manchmal den Weg abschneiden und manchmal im Kielwasser fahren. In diesem Heft ist von Volker Schlöndorffs Die Blechtrommel die Rede, vom Gelingen und vom Ungenügen der mittelgrossen Filme, die mal generös und stolz und mal ärmlich, mit Andeutungen operierend daherkommen. Schlöndorff inszeniert mit seinen paar Millionen D-Mark zwar einen statistenberstenden Nazi-Aufmarsch in Danzig, aber die Strassenszenen sind oft so mager besetzt, dass es jedem auffällt. Man denkt dann, das sei ein ganz armer Film. Für die Halbe-halbe-Filme, die kleineren und die grösseren «Studiofilme» kann man sich immer weniger erwärmen. Was bleibt denn noch? Genügend Raum für die Nuss-Schalen. Ich würde sie als «Kamerafilme» bezeichnen. Wenn für die Grossproduzenten alles Äusserliche erschwinglich ist, wenn sie Vietnam auf den Philippinen nachstellen können, gibt es für die Kleinen nur noch eine Möglichkeit: immer besser hinhören, immer besser hinschauen, um den Zuschauer die Welt, in der er lebt, neu sehen und fühlen zu lassen. Man hat zu lange - auch in der Schweiz - die Jungen «klein anfangen» und immer grösser, aber nie ganz gross werden lassen. Es schien ein Gesetz zu sein, dass jeder nächste Film eines Autors grösser und teurer sein musste als der vorangegangene. Dabei muss er nur besser sein, genauer, verbindlicher, gefühlter, intensiver geschaut. Das nächste Heft von CINEMA - es erscheint im September - wird einige Themen dieser Nummer wieder aufnehmen und fortfahren, wo diese ersten Überlegungen aufhören. Es befasst sich mit dem aktuellen amerikanischen Film. Martin Schaub

CINEMA #25/2
GROSS UND KLEIN