MARKUS SIEBER

FILM ALS PROZESS — KOLLEGEN VON EINER GRUPPE DES FILMKOLLEKTIVS ZÜRICH

CH-FENSTER

Urs Graf und seine Gruppe sind Mitglieder des Filmkollektivs, von dem man trotz der erstaunlichen Vielfalt seiner Produktionen doch eine ganz bestimmte Art von Film erwartet - heute, nach der Spaltung der Gruppe, mehr denn je. Was für eine Art von Film? Ist das Zufall? Wenn nein, wo bestehen Bedingtheiten, Zusammenhänge? Keine Kritik also, sondern im konkreten Fall Einkreisung von Filmarbeit und Film von aussen her. Zur Diskussion steht nicht die Sache, sondern die Methode. (Im Hinterkopf die Frage: Was ist linker Film, linkes Filmen?)

Filmcooperative und Filmkollektiv

1972 entstand die «Filmcooperative Zürich» (Copi), ein Verleih für politisch engagierte Schweizer und ausländische Filme. 1975 bildete sich im gleichen Haus - Josefstrasse 106 -die «Filmkollektiv Zürich AG» (FKZ): Filmtechniker und Autoren schlössen sich zusammen, um mit Kollektivarbeit und gemeinsamer Infrastruktur (Material und Administration) eine kontinuierliche Filmarbeit zu sichern. Daneben standen gemeinsame politische Ziele im Vordergrund, die in den (mit-) produzierten Filmen ihren Ausdruck fanden. Die Filme des FKZ verlieh und verleiht die Copi, deren Mitglieder immer schon und heute verstärkt auch Mitglieder des FKZ sind.

Das Programm der Copi ist auf Zielgruppen ausgerichtet: Nur solche Filme werden vertrieben, für die ein konkretes Bedürfnis im Rahmen einer politischen Bewegung besteht (AKW, Frauen, BuSiPo). Dies und die enge Verbindung Produktion/Verleih überhaupt garantiert den Leuten des FKZ den so wichtigen Kontakt mit dem Publikum, den Feed-back, den Einfluss auf weitere Produktionen. So - und immer auch aus eigener Betroffenheit heraus - entstanden eine Reihe von sogenannten Interventionsfilmen: Ein Streik ist keine Sonntagsschule (1974/75), Kaiseraugst (1975), Aufpassen macht Schule (1977/78), Lieber Herr Doktor (1978), Gösgen (1978) und jetzt Kollegen. Die Finanzierung dieser Filme geschah oft mit Spenden von an der jeweiligen Sache interessierten Institutionen und Einzelpersonen, daneben nicht zuletzt dank dem persönlichen Einsatz der Mitarbeiter: Darlehen und Gratisarbeit. (Urs Graf machte im Gespräch1 auf die Widersprüchlichkeit dieses Spendensystems aufmerksam: Einerseits ist es in Ordnung, und es kann sogar politische Vorteile bringen, wenn Bevölkerungsgruppen für einen Film aufkommen, an dem sie interessiert sind. Andererseits bedeutet dies Resignation dem Staat gegenüber, von dem man via Steuern die Finanzierung solcher Projekte eigentlich erwarten dürfte.) Kollegen ist kein Spendenfilm, auf ihm konnten prinzipiell Löhne ausbezahlt werden.

Weil heute viele Mitglieder des FKZ ein Leben führen, das Mittel unter dem Existenzminimum erfordert, können diese dann auf bestimmten Filmproduktionen, deren Realisierung ihnen wichtig ist, aber deren Finanzierung nicht gedeckt ist, unentgeltlich Arbeit leisten. Langfristig kann das aber natürlich keine Perspektive sein. Ohne diesen Verzicht hätten aber Filme wie Kaiseraugst, Aufpassen macht Schule, Lieber Herr Doktor, Gösgen nicht realisiert werden können.2

Nach negativen Erfahrungen mit einer gleichberechtigten Autorengruppe - langwierige Entscheidungsprozesse selbst bei kleinsten Problemen - schälte sich in diesen Filmen auch eine funktionierende Arbeitsorganisation heraus. Jedes Mal trägt einer die Verantwortung für ein Projekt und ist der letztlich Entscheidende. Die anderen helfen ihm dabei in technischen Funktionen, als Gesprächspartner und Kritiker, immer aber im Rahmen seines Konzeptes. So war Urs Graf verantwortlich für Cinéma mort ou vif? (1978), Matthias Knauer für Aufpassen... und Hans Stürm, zusammen mit einer Frauengruppe, für Lieber Herr Doktor. Für Kollegen formte sich eine Gruppe mit relativ unerfahrenen Mitgliedern des FK. Zwar bedeutete das für Urs Graf kurzfristig «ein Rückschritt zum Autorenfilm», da niemand aus derselben Erfahrungsgrundlage heraus mitreden konnte, auf längere Sicht würde diese Massnahme aber den Graben zwischen Autoren und anderen innerhalb des Kollektivs einebnen: «keine Autoren mehr, oder nur noch Autoren».3

Gerade in die eigentliche Produktionszeit von Kollegen fiel die Krise des FKZ, die nebst diversen Austritten die Gründung einer neuen Produktions- und Verleihfirma zur Folge hatte. Die Entwicklung des Filmes wurde dadurch nicht direkt beeinflusst, wohl aber führten die ständigen Querelen zu einer zeitweise kaum aushaltbaren zusätzlichen Belastung.

Produktionsgeschichte

Zwischen FKZ und dem Sekretariat der Gewerkschaft Textil-Chemie-Papier (GTCP) bestanden schon längere Zeit persönliche Kontakte: Die beiden Häuser liegen ziemlich nahe beieinander, und die GTCP bezog die Filme für ihre internen Schulungskurse jeweils bei der Copi - v. a. den «Streik»-Film. Als im Frühling 1977 bei Firestone die Schliessung drohte, gelangte Peter Vonlanthen, Zentralsekretär der GTCP, ans FKZ mit dem Vorschlag, darüber einen Film zu machen. (In den Gewerkschaften ist man seit einiger Zeit mit Hinblick auf Schulung und Öffentlichkeit bemüht, den Anschluss an die Bildmedien nicht zu verpassen: Beteiligung an Filmproduktionen, SABZ-Verleih, Anschaffung von Projektoren, Erstellung einer Infrastruktur für Video usw.) So bildete sich im FKZ eine Gruppe unter Urs Graf, die sich ins Thema einarbeitete, Konzept und Budget entwarf mit der Absicht, einerseits die Entwicklung hin zur betrieblichen Selbstverwaltung festzuhalten, andererseits im Sinne des Interventionsfilmes die Öffentlichkeitsarbeit um Firestone zu unterstützen. Zur gleichen Zeit nahm der Filmladen Wien, eine ähnlich wie die Copi funktionierende Gruppe, Kontakt auf mit dem FKZ. Der Filmladen plante eine Produktion über den damals bei Semperit laufenden Streik und gedachte damit auch internationale Zusammenhänge aufzuzeigen, etwa Firestone - Michelin -Semperit. Aus diesem Grund machte das FKZ weiterhin Videoaufnahmen von Verhandlungen und Sitzungen, schickte auch Kopien nach Wien, obschon sich sein Konzept bald als undurchführbar erwies: Die Entwicklung bei Firestone - Auflösung der Gewerkschaftsgruppe und Entlassungen - ging so rasch, dass für einen Film die Zeit zu kurz war. Dann merkte auch der Filmladen Wien, dass er der komplexen Thematik nicht gewachsen war und begnügte sich mit einem kürzeren, auf den Ausstand bei Semperit beschränkten Film: Uf amol a Straik.

Da sich die Firestone-Gruppe des FKZ inzwischen ziemlich in die Thematik eingearbeitet hatte, bestand das Bedürfnis, darüber trotzdem etwas zu machen. Man setzte sich wieder mit der GTCP in Verbindung; diesmal kam die Initiative vom FKZ aus. Das Konzept war allgemeiner als vorher: Von einem einzelnen Mitglied ausgehend, sollte die Problematik der Gewerkschaften quer durch ihre Strukturen beleuchtet werden, ihr Anspruch daran gemessen werden, wieviel sie dem einzelnen effektiv bringt. Der Zufall wollte es, dass die GTCP 1978 anlässlich ihres 75-Jahr-Jubiläums ein Sonderbudget bereitstellte, das u. a. zur Produktion einer Ausstellung eines Buches und einer Platte verwendet wurde. Dem Projekt des FKZ wurde daraus ein Beitrag von 40 000.- bewilligt, was bereits einen beträchtlichen Teil des Aufwandes sicherte.

Während des Schreibens eines Exposés begann auch die Suche nach einem geeigneten «Hauptdarsteller». Dieser musste relativ neu sein in der Gewerkschaft, bereits aber aktiv tätig in ihren Gremien. Nicht einen altgedienten Gewerkschafter mit «vorbildlichem Bewusstsein» wollte man, sondern jemand, der aufgrund seiner Jugend noch Erfahrungen zu machen hat - bei denen man ihn dann begleiten würde -, der dank seiner Aktivitäten dazu aber auch in der Lage war. Vonlanthen, der bei der GTCP für Public Relations und die interne Schulung verantwortlich ist und die Filmgruppe während der ganzen Länge ihres Projektes unterstützte, schlug ihnen den 28-jährigen Peter Hodel aus der Sektion Zofingen vor. Er hatte ihn an einem Schulungskurs kennengelernt. Auch die Sektion Zofingen stellte sich aus verschiedenen Gründen als geeignet dar:

Wir haben bei unseren Recherchen die Situation der Sektion Zofingen als mittelmässig empfunden. Eines der Hauptprobleme ist die Überalterung, vor allem in den leitenden Funktionen. Die Wahl der GTCP-Sektion Zofingen ist vor allem der Entschluss (...), ruhigen, unscheinbaren Alltag -Alltägliches zur Diskussion zu stellen. (...) Zu diesen Gründen kommt noch ein persönliches Motiv von Urs Graf. Die Wahl von Zofingen bedeutet für ihn eine Möglichkeit, sich mit seiner eigenen Vergangenheit zu befassen - in Zofingen machte er seine Lehre.4

Die ersten Aufnahmen - Video und Film - wurden am 11.3.78 an der jährlichen Generalversammlung der Sektion Zofingen gemacht. Peter Hodel kannte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht, erst nach der GV traf Urs Graf ihn einige Male im persönlichen Rahmen. Aber auch über die Finanzierung des Films war man sich zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen noch im unklaren, das Exposé (Arbeitstitel «Kollege Hodel») war noch nicht fertig, was im Hinblick auf einen Bundesbeitrag ein beträchtliches Risiko darstellte: auf Eingaben bereits begonnener Filme kann die Expertenkommission ja gar nicht eingehen (jüngstes Beispiel: Dindo und sein Journal I—III). Seite 8 des Exposés begründet den vorzeitigen Beginn der Dreharbeiten: a) die Aufnahmen der GV bildeten Teil der Recherchen und konnten nicht um ein Jahr verschoben werden; b) Video ist wieder überspielbar; c) das FKZ stellt Arbeitskraft und Material als Darlehen zur Verfügung, das nicht zurückbezahlt werden müsste, falls das Projekt nicht zustande käme. Von der GV fand im Film - neben einigen Fotos - das etwa dreiminütige Wahlgeschäft Aufnahme, die Bestätigung des bisherigen Sektionsvorstandes, ein skurril-bedenkliches Beispiel praktizierter Demokratie.

Das EDI gab die Einwilligung für einen Beitrag von 100000-- immerhin knapp die Hälfte der Kosten - lediglich provisorisch, es war die Zeit von Bundesrat Hürlimanns Unterschriftenstop (Erschöpfung des Filmkredits 1978, Diskussion um Übergabe der Entscheidungsgewalt an die Pro Helvetia). Das stellte Urs Graf vor ein Dilemma, denn andere Geldgeber (z. B. GTCP-Jubiläumsstiftung) wären nicht einverstanden gewesen, dass sich die Fertigstellung des Films verzögert, und so konnte die eventuelle definitive Zusage des EDI Anfang 1979 nicht abgewartet werden. Deshalb wurde die eigentliche Produktion begonnen, ohne dass die Finanzierung gesichert war. Glücklicherweise lief dann alles gut. Neben GTCP, EDI und TV unterstützten das Projekt mit kleineren Beiträgen der Gewerkschaftsbund, die Arbeiterbildungszentrale (SABZ), die Gewerkschaft Bau + Holz und der Verband des Personals öffentlicher Dienste. (Der Beitrag der SABZ, die ja selbst einen Filmverleih hat, löste via gegenseitige Bedingungen die Zusammenarbeit SABZ-Copi aus; bisher wichtigstes Resultat davon ist ein gemeinsamer Katalog. Für die Zielsetzungen der Copi war das ein äusserst wichtiger Schritt, die Erweiterung ihrer Abnehmerkreise von vornehmlich linken politischen Gruppen auf Arbeiterorganisationen, Betriebsgruppen usw.) Die Idee fürs weitere inhaltliche Vorgehen war, die verschiedenen Gewerkschaftsgremien bis ganz hinauf darzustellen, indem man einigen Vorstössen von Peter Hodel auf dem Instanzenweg folgte. Im Sinne des Konzeptes wurden Sitzungen verschiedener Gremien gefilmt. Dann aber erfuhr Urs Graf, dass in Peters Betrieb eine Diskussion im Gang war. Von gewerkschaftlicher Seite war eine zweistufige Arbeitszeitverkürzung vorgeschlagen worden: von 44 Stunden über 43 ab 1. Januar 1978 auf 42 ab 1. Januar 1979, auf die die Betriebsleitung in einer ersten Verhandlung aber nicht einging. Neue Gespräche wurden auf den Herbst 1978 festgesetzt. Als die Filmgruppe sicher war, dass sie innerhalb des Betriebs an allen Verhandlungen dabei sein durfte, entschied man, das Konzept zu modifizieren. Nicht, was in den grossen Strukturen sich abspielt, sollte beleuchtet werden, man würde näher bei den Leuten bleiben, wo das Interesse vitaler ist. Eine ganze Menge Material wurde dadurch überflüssig - es wird natürlich aufbewahrt, vielleicht in einem späteren Projekt, sicher zu Schulungszwecken verwendet werden - erst dieser Start und Background gibt dem Film aber seine Qualität, seine Präzision, lässt nie das Gefühl von Dünne aufkommen.

Die Betriebsleitung der Siegfried AG hat im allgemeinen sehr problemlose Beziehungen zur Arbeiterkommission (AK) und zur Gewerkschaft; darin sieht Urs Graf den Grund für ihr Einverständnis zu Dreharbeiten an den Verhandlungen. Zudem war sie mit der Arbeitszeitverkürzung an sich einverstanden, nur über das Wie gab es Differenzen, die die Betriebsleitung allerdings ganz klar für sich entschied: Verkürzung auf 43 Stunden ab 1. Januar 1979, auf 42 Stunden ab 1. Januar 1983; der Abbau geschieht nicht gesamthaft am Freitagnachmittag, wie Arbeiter und Angestellte es eindeutig wollten, sondern als kaum spürbare tägliche Reduktion von 12 Minuten.

Aussagen und Einsatz

Die Absicht des Films ist es nun aber nicht, in der Sache um die Arbeitszeit-Verkürzung Stellung zu beziehen; sie ist von Anfang an klar. Was aufgezeigt werden soll, sind Mechanismen, die hinter solchen Positionen funktionieren, in Entscheidungsprozessen untereinander, in Strategien gegenüber der Betriebsleitung. Zur Frage steht nicht Inhalt, sondern Form von Kommunikation, und da zeigt der Film Gültiges zum Thema Anpassung und Widerstand, Resignation und Hoffnung weit über den Gewerkschaftsrahmen hinaus.

Peter Hodel, mit Abstand der Jüngste im Sektionsvorstand, hat das Fragen und Fordern noch nicht verlernt, das Denken im Zusammenhang, die Selbstkritik. Mit vorfabrizierten Antworten gibt er sich nicht zufrieden, aber auch das eigene Verhalten möchte er noch ändern. Seine Initiative prallt ab an der behäbigen Resignation der «Realisten» um ihn herum, Kompromisslern aus Unsicherheit und Konservativität, die bei Auseinandersetzungen mit der Betriebsleitung die Angst vor dem eigenen Mut, das Schon-im-voraus-Zurückkrebsen kaschieren mit der Forderung nach «Fingerspitzengefühl», «doucement», «nicht so dreinschiessen», «ein wenig diplomatischer». Natürlich ist das alles gut gemeint, und diese Haltung kann auch erklärt werden - Angst vor Stellenverlust, Resultat von Arbeitsfrieden und Hochkonjunktur - aber man bekommt eben doch eine Stinkwut und fragt sich, wie lange das der Peter noch machen wird.

Auf der Ebene allgemeiner Beziehungs- und Kommunikationsfragen bleibt der Film für mich hoffnungslos, ich kann meine Wut nicht umsetzen. Kollegen zeigt da sehr subtil und verzweifelt richtig Mechanismen auf, für die ich nur eine Art der Veränderung sehe: radikale Umformung vieler unserer Verhaltensweisen, Abschaffung von Hierarchie und Macht als allbestimmende Kategorien und ähnliches. Damit aber weiss ich letztlich nichts anzufangen. Deshalb kann Kollegen kein Kinofilm sein: Sein Einsatz ist richtig geplant in jenem Kontext, aus dem heraus er entstanden ist: in Gewerkschaftsversammlungen, im Betrieb, bei Schulungskursen. So, glaube ich, werden Leute aus gemeinsamem Erfahrungszusammenhang und Interesse heraus sich fragen: was können wir nächste Woche anders machen. Dazu die Antworten zu geben, bin ich nicht kompetent, glaube aber mit Urs Graf, sie auf den gemeinsamen Nenner «Aktivierung der Basis» bringen zu können, und meine wie er, dass dies konsequenterweise zu einer Infragestellung der gewerkschaftlichen Strukturen überhaupt führt. Dass der Film trotzdem von Gewerkschaften mitfinanziert wurde, ist zwar in diesem Sinne ein Widersprach, zeugt aber andrerseits von Ehrlichkeit und lässt so auch wieder Hoffnung zu.

Prozesse und ihre Gestaltung

Der Ansprach, mit einem Film die Wirklichkeit zu verändern, beschränkt sich zumeist auf den Weg über die Rezeption. Urs Graf setzt schon früher an:

Ob gewollt oder nicht: Die Arbeit an einem Dokumentarfilm - die Auseinandersetzung mit einer Thematik - beeinflusst (fast immer) die Personen, die Situationen vor der Kamera, den Gegenstand der Auseinandersetzung. Das Ausserordentliche unseres Filmprojektes ist, dass wir durch unsere Arbeit auf die Wirklichkeit vor der Kamera Einfluss nehmen wollen.4

Diese Einflussnahme lief auf zwei Ebenen, auf jener der Gewerkschaft - dank der Präsenz des Filmteams wurden Sitzungen besser vorbereitet und geführt; an einer Vertrauensleute-Sitzung nahm auf Veranlassung von Urs Graf ein Gewerkschaftssekretär teil; Urs Graf war an vielen Sitzungen aktiv dabei, auch an solchen, die nicht gefilmt wurden - und, wichtiger, auf jener von Peter Hodel. Kollegen ist ja ein Film über und mit Peter Hodel, neben den Dreharbeiten fanden persönliche Begegnungen und Gespräche statt, und noch heute steht Urs Graf in Kontakt mit Peter. Die Bedeutung der Dreharbeiten für Peter lag Urs Graf zufolge gerade darin, dass er Gesprächspartner und Kritiker fand für Dinge, die er mit seinen Kollegen nicht diskutieren konnte. Auf der anderen Seite konnte Peter den Filmern Praxis, konkretes Erleben, Alltagserfahrungen vermitteln, die ihnen fremd waren. Peter Hodel wurde aber nicht einfach zur Identifikationsfigur; Filmer und Publikum begegnen ihm in einer Haltung von wohlwollendkritischem Interesse. Nur dank dieser Distanz konnten ihn die Dreharbeiten weiterbringen, ihm Erkenntnisse vermitteln, die Einfluss auf seine weitere Praxis haben werden. Also: Von allem Anfang an der Anspruch, mit Film Prozesse darzustellen, zu beeinflussen, ja auszulösen. Prozesse, die noch weiterlaufen: Der Film hat einiges in Bewegung gebracht für Peter Hodel und seine Umgebung, privat wie am Arbeitsplatz.

«Ich hoffe, man merkt das dem Film an: dass die Haltung, die man einer Sache gegenüber einnimmt, logisch zu einer bestimmten Form führt.»5 In Kollegen wurden Farbfilm, schwarz/weisser Videofilm (blau kopiert) und Farbfotos verwendet. Jedes der drei Gestaltungsmittel erfüllt ganz bestimmte Funktionen. Mit Farbfilm wird der Alltag beschrieben, Arbeitsweg, Arbeitssituationen. Mit Farbfilm gedreht sind zudem die sechs 270- und 360-Grad-Schwenks über Zofinger Lebensraum, die - zusammen mit einer sehnsüchtig-rhythmischen Musik (Flöten und Percussion) - nicht nur als Denkpause und zur Strukturierung des Films dienen, sondern nach Urs Graf vor allem emotional etwas von dem mitteilen sollen, was Peter Hodel und er in Worten nicht konnten. Mich - und andere - haben diese Schwenks eher irritiert, der Brach zwischen ihnen und dem Rest des Films ist zu gross. In Video und den Farbfotos kam die gewerkschaftliche Praxis und die Reflexion darüber zur Darstellung. Video und Foto ergänzen sich dabei: Video wurde der schlechteren Auflösung wegen für den Gross- und Nahbereich, die Reportage verwendet, die Fotos für Totalen, die den Ort der Handlung im Zusammenhang (manchmal samt Filmequipe) zeigen. Die Fotos dienen zudem als Grundlage der Reflexionsebene, indem Peter die auf Fotos festgehaltenen Situationen kommentiert/kritisiert -dies auch wieder mit Video oder Farbfotos aufgenommen, immer wieder als Metaebene die Chronik der Ereignisse durchbrechend.

Diese Vielfalt der Gestaltungsmittel, ihre wohldurchdachte Montage und die ab und zu sichtbare Equipe integrieren die Entstehung des Films im Film selbst, machen ihn transparent. Film als Prozess, Deckungsgleichheit zwischen Darstellung und Dargestellten.

Mit seiner «multimedialen» Form ist Kollegen fast ein Experimentalfilm, einer der noch seltenen Filme, die mit der alten Medienspezifik Film/Video brechen, bzw. sie auf einer neuen Ebene fruchtbar machen, mit Konsequenzen in allen Bereichen: Produktion, Distribution, Rezeption. Natürlich ist es kein Zufall, dass alle (mir bekannten) Schweizer Filme dieser neuen Art von oder mit FKZ/Copi gedreht worden sind. Das hat einen Zusammenhang mit ihren politischen Zielsetzungen und ihrer internen Produktionsstruktur - auch hier wieder: das eine ist vom andern nicht zu trennen.

Bei diesem Artikel stützte ich mich hauptsächlich auf ein rund dreistündiges Gespräch, das ich am 21.5.79 mit Urs Graf führte und auf Band aufzeichnete.

Briefliche Mitteilung von Urs Graf

Internes FKZ-Paper von Urs Graf (etwa Herbst 1977)

Exposé «Kollege Hodel» (Arbeitstitel)

konzept 1/79: «Es gibt keine grossen und keine kleinen Themen, es gibt nur eine Art, wie man Themen macht», Gespräch mit fünf Filmschaffenden des FKZ, darunter Urs Graf.

Kollegen. Produktion: Filmkollektiv Zürich; Produktionsleitung, Regie, Schnitt: Urs Graf; Kamera: Rob Gnant, Hans Stürm; Kamera-Assistenz: Felix Singer; Foto: Rob Gnant, Trudi Lutz; Video-Technik: Jean Richner; Ton: Felix Singer, Andre Pinkus, Marlies Graf; Beleuchtung, Maschinisten: Felix Singer, Andre Pinkus; Schnitt-Assistenz: Felix Singer; Musik: Roland Moser; Verleih: Filmcooperative Zürich und SABZ Bern. 16 mm, Farbe, 70 Minuten.

Markus Sieber
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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