MILOŠ LAZOVIĆ

L'ÎLOT (TIZIAN BÜCHI)

Zwischen den Wohnquartieren Faverge und Chandieu in Lausanne liegt eine zu Beginn von Tizian Büchis erstem Langfilm für gefährlich eingestufte Schlucht des kleinen Flusses Vuachère. Daniel, einem erfahrenen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, und Ammar, seinem jungen Kollegen, wurde die Aufgabe erteilt, dieses von Wohnhäusern umringte Stück ‹Grün› zu überwachen, und die Anwohner_innen daran zu hindern, in die Nähe des Flusses zu kommen. Die beiden machen ihre Runden deshalb Tag und Nacht. Sie grüssen immer wieder freundlich sowohl die älteren, seit Langem ansässigen Anwohner_innen, als auch die jungen Familien mit Migrationshintergrund, die in diesem Arbeiter_innenquartier leben. Sie nehmen sich Zeit für lange und nicht immer reibungslose Gespräche miteinander, lernen einander dabei immer besser kennen und nehmen ihre Arbeit der Überwachung stets sehr ernst.
 
Die Kamera in L’îlot folgt mit Ausnahme einiger Schwenks am Fluss, wo sie von den Bäumen sowie Steinen angezogen zu sein scheint und zur filmischen Konstruktion der Wildnis beiträgt, konsequent den beiden Männern in ruhigen Kamerabewegungen mal von vorne, mal von hinten auf ihrer Patrouille durchs Quartier. Im Beobachtungsmodus filmt sie die zahlreichen Gespräche, die sie führen, aber auch jene, die in der Nachbarschaft ohne die Hauptprotagonisten stattfinden. Der Film füllt dabei das Loch, diese geheimnisvolle Lücke in der Landschaft, die von Ammar und Daniel mit einem Absperrband abgeriegelt wird, mit Geschichten, die die Künstlichkeit der Trennung von Zonen der Gefahr und der Sicherheit, der Wildnis und der Unterkunft, der Geheimnisse und der Wahrheit vor Augen führen.
 
Gegen Ende des Films erfahren wir so von Spanisch sprechenden Migrant_innen auch über die Geschichte eines jungen Liebespaars, das sich vor vielen Jahrzehnten in der Schlucht des Nachts traf, um die kulturellen Trennlinien zwischen den zwei Quartieren, die der Fluss trennt, zu überwinden und ihre verbotene Liebe zu leben. Jene Geschichte, die wir zu Beginn des Filmes in Bildern gesehen zu haben glauben und die als eine Art Binnenerzählung fungiert, bis in einer regnerischen Nacht Ammar einer Jogger_in nachrennend zum Fluss gelangt und in das Loch zwischen zwei Felsen eintritt, wodurch diese Binnenerzählung und die Rahmenerzählung in Berührung kommen. Eine Berührung, die es auch Ammar erlaubt, sich der Gesellschaft der Überwachung zu entziehen.
 
L’îlot inszeniert, dokumentiert und dekonstruiert zugleich die Arbeit der Überwachung und zeigt dabei in der Manier des magischen Realismus durch die Schaffung einer geheimnisvollen Stimmung, wie die Geschichten uns helfen mögen, der neoliberal-kapitalistischen Entzauberung der Welt zu entkommen.
 
Miloš Lazović
*1995, Studium der Philologie in Belgrad, Zürich, Poznań und Brno. Derzeit im Masterstudium an der Universität Zürich in den Fächern Kulturanalyse und Filmwissenschaft und Redaktionsmitglied des CINEMA Jahrbuchs.
(Stand: 2021)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]