Kein Windstoss ging an diesem Mittag im Juli vor ein paar Jahren in Zagreb, Kroatien. Vor wenigen Tagen hatte ich mit meiner Crew (Lisa Blatter, Anne Weick und Ramon Giger) die Dreharbeiten zu meinem Dokumentarfilm Europe, She Loves begonnen. Das Ziel war ein intimer Film über fünf Paare am Rande Europas. Wir sassen an einem Plastiktisch und tranken Bier, als mich mein Team mit der Wahrheit konfrontierte: «Jan, du bist völlig verloren. So kommst du nicht an sie heran, das ist alles viel zu gewollt.» Im Scherz nannten wir diesen Moment später ‹die Meuterei›, aber zu diesem Zeitpunkt wurde ich todernst. Ich warf meinen Mitstreitern vor, sie seien nicht bereit, alles zu geben, sie seien zu schwach für diesen Dreh – ich war sauer, dass sie mir das Vertrauen entzogen hatten, aber natürlich ärgerte ich mich vor allem über mich, weil ich wusste, dass sie recht hatten.
Was war geschehen? Euphorisch hatten wir uns einen VW-Bus gekauft und waren mit minutiösen Plänen in Richtung Osten losgefahren. Auf der Fahrt filmten wir verlassene Grenzstationen, mafiöse Beerdigungen und Denkmäler aus Mussolinis und Titos Zeiten. Alles lief nach Plan, bis wir die Grenze zu Bosnien überquerten und unser Navigationsgerät nur noch einen roten Punkt in einer wüstenähnlichen Landschaft ohne Strassen anzeigte. Unser GPS war verloren und so waren wir es auch. Inzwischen war es weit nach Mitternacht und wir kurvten noch immer über verlassene Landstrassen auf der Suche nach Zivilisation. In der tiefschwarzen Nacht konnten wir jemanden überzeugen, in unseren Van zu steigen, aber der Ort, an dem uns der Mitfahrer wieder verliess, befand sich in dichtem Gehölz. Erst im Morgengrauen entdeckten wir wieder Lichter in der Ferne und fielen schliesslich übermüdet in ein Hotelbett. Es wäre vielleicht nicht nötig gewesen, nach wenigen Stunden Schlaf auf den höchsten Berg Kroatiens zu fahren, nur weil ich die Aussicht drehen wollte. Die Strasse war zu eng für unseren Wagen und irgendwann ging es weder vor noch zurück. Wir steckten fest. Als wir endlich zum Dreh in Zagreb ankamen, waren wir am Ende. Aber das war erst der Anfang, denn ich wollte die Bilder drehen, die ich mir ausgemalt hatte: Ich wollte bei diesem Dokumentarfilm für einmal alle Fäden in der Hand halten; es richtig ‹gut› machen.
Meine Protagonisten Garcia und Eva lebten unter einem Giebeldach. Ich hatte mir aber als Setting immer einen Betonblock aus den 70er-Jahren vorgestellt und die Dachschrägen ärgerten mich. Also liess ich mein Paar für Etablierungsbilder stundenlang in einer ihnen unbekannten, rechteckigen Gegend herumlaufen; sie wurden zu Touristen in ihrer eigenen Stadt. Als ich sie dann überredete, an die offizielle Zeremonie zum Beitritt Kroatiens zur EU zu gehen, und sie sich mit steigendem Unmut die Reden der Politiker anhörten und irgendwann aus Protest die Veranstaltung verliessen, war klar, dass etwas schiefläuft. Und dann hetzte ich sie noch von diesem illegalen Klub zu einem Flohmarkt, weiter zu einem Feuerwerk und in das Hundeheim – und vergass dabei vollkommen, dass die beiden eigentlich am liebsten zu Hause sitzen, Whisky trinken und schlafen würden.
Und so kam es zu diesen Nachmittag. Drei Augenpaare starrten mich an, drei Freunde, denen ich vertraue und die ich in diesem Moment auf den Mond wünschte. «Jan, du willst zu viel …» Das war der Tiefpunkt. An diesem Nachmittag wurde mir bewusst, dass ich meinen Wunsch nach Qualität mit Kontrolle verwechselt hatte. Trotzig beschloss ich, nun das Gegenteil zu tun, und von da an drehten wir stundenlang beobachtend, ohne einzugreifen – und zu meiner Überraschung wurde plötzlich vor der Kamera gelebt – wahrscheinlich weil sich die Protagonisten endlich wohlfühlten.
Die Kroatien-Episode schaffte es trotz allem nicht in den fertigen Film. Aber beim Dreh der anderen vier Paare dachte ich immer wieder an diesen Moment in der Hitze Zagrebs zurück und mir wurde bewusst, was für ein Privileg es ist, mit seinen Freunden zu drehen. Auch wenn es manchmal verdammt wehtut, vor ihnen zu scheitern.