Jugendliche haben’s schwer; die Hormone tropfen ihnen aus beiden Ohren, die Eltern und Lehrer nerven mit ihren ewig gestrigen Erziehungsmassnahmen. Zwischen ihren Körpern und Seelen herrscht Krieg, und sie suchen nach einem Ventil für die überschüssige Energie. Simon Jaquemet knöpft sich in seinem Spielfilmerstling die Lebensrealität von Teenagern vor und liefert eine beklemmende Sozialstudie von solch beeindruckender Intensität, dass einem die Luft wegbleibt.
Irgendwo in der gottverlassenen Agglo von Zürich wohnt der 15-jährige Matteo mit seinen Eltern. Er ist ein «schwieriger» Teenager, doch auch das Verhalten seiner Erzeuger vermittelt nicht gerade den Eindruck von psychischer Stabilität. Schweigende Essensszenen deuten auf familiäre Abgründe hin, die wenigen Worte des Vaters im Kommandoton wirken wie Schläge. Die Mutter, stark übergewichtig, kümmert sich seltsam entrückt um ihr Neugeborenes und streichelt übergriffig den pubertierenden Matteo, dem sie das Baby zum «säugen» an die Brust drückt. Unsicher und von Testosteronschüben geplagt, flüchtet Matteo in sein Zimmer und schaut sich Pornos an – um alsbald die gelernten Sexualtechniken auszuprobieren. Doch die Prostituierte, die er zu sich nach Hause bestellt und als seine Freundin deklariert, schmeisst der Vater in einem cholerischen Anfall raus. Matteo schweigt eisern, schluckt seine Wut herunter – ein brodelnder Schnellkochtopf kurz vor der Explosion.
Nach einem kleinen Unfall mit seinem Babybruder wird der Pubertierende kurzerhand in ein «Arbeitslager» hoch oben in den Schweizer Alpen gesteckt. Hier soll er während des Sommers hart arbeiten und gezähmt werden. Doch hier oben haben die strafversetzten Jugendlichen dem alkoholisierten Bauern längst die Kontrolle entrissen und beherrschen nach eigenen Regeln ihr Reich. Zur Läuterung und Abhärtung von Matteo kommt es aber trotzdem. Er wird in einen Hundezwinger gesteckt, muss sich in erniedrigenden und lebensgefährlichen Männlichkeitsritualen behaupten, bis er schliesslich den Respekt der eingeschweissten Gruppe gewinnt. Fern von jeglichen gesellschaftlichen Zwängen toben sich die vier Outcasts aus und formieren sich zu einer seltsamen Ersatzfamilie. Bei nächtlichen Abstechern ins Zürcher Rotlicht- und Drogenmilieu entlädt sich ihr Gewaltpotenzial. Und hier auf dem Strassenstrich, den Matteos Vater frequentiert, schliesst sich fast schockartig die dramaturgische Schlaufe des ödipalen Konflikts.
Mit seiner düsteren Bildsprache, rein diegetischer Musik und rauen, lebensnahen Dialogen erschafft Jaquemet eine eigene Welt und inszeniert, ohne zu moralisieren, das Spannungsfeld der Teenagerrealität. Seine Schauspielführung der Laiendarsteller ist schlicht meisterhaft und hebt so seinen Erstling mit emotionaler Wucht auf internationales Niveau.