SASCHA LARA BLEULER

BOYS ARE US (PETER LUISI)

SELECTION CINEMA

Teenager sind eine faszinierende Spezies, und es wurde in den letzten Jahren viel diskutiert, geschrieben und geforscht, inwiefern sich diese Wesen durch das Internet in ihrem sozialen Verhalten verändert haben. Man spricht von Übersexualisierung, Vereinsamung – das reale Leben wird durch ein virtuelles ersetzt, das sich in Chat-Foren, Webcams und Datingsites abspielt. Doch vieles ist auch gleich geblieben. Die Teenagerjahre sind auch heute geprägt von hormonellen Berg- und Talfahrten, Zahnspangen und der Überzeugung, dass Erwachsene doof sind.

Peter Luisi misst in seinem vierten Spielfilm Boys Are Us dieser geplagten «Generation Facebook» den Puls. Der 16-jährigen Hauptfigur Mia wird schmerzlich bewusst, dass ihr Traumprinz sie nicht liebt, sondern nur mit ihr gespielt hat, und bittere Tränen fliessen in Strömen. Mias um zwei Jahre ältere Schwester Laura kennt diese Leiden zur Genüge und zusammen beschliessen die Mädchen deshalb, den Spiess umzudrehen: Mia wird das Herz eines Jungen erobern und es gnadenlos brechen! Über eine Datingwebsite suchen sie nach jungen Männern, die sich für ihren Racheplan eignen, und sie finden Timo, der – dies Luisis dramaturgischer Kniff – von drei verschiedenen Schauspielern verkörpert wird. Die Geschichte wird philosophisch eingebettet in die Frage, ob verschiedene Menschen, denen exakt das Gleiche widerfährt, zu einem bestimmten Zeitpunkt dieselbe Entscheidung treffen werden – oder ob es in ihrer Macht steht, sich anders zu entscheiden. Der teuflische Plan der Schwestern ist für einige Zeit recht vergnüglich anzusehen, doch dann treten die sich wiederholenden Erlebnissen und Dialoge auf der Stelle und das dramatische Potenzial der Schwesternbeziehung bleibt unausgeschöpft.

Es wäre vermessen, der verschachtelten Geschichte fehlende Glaubwürdigkeit vorzuwerfen, da der Film eine solche gar nicht erst anstrebt, doch es fehlt die poetisch absurde Ko­mik eines Sandmann oder die stachlige Guerilla-Energie von Luisis kultigem Erstling Verflixt verliebt. Die formalen und redundanten Spielereien verhindern eine tiefere emotionale Identifikation mit den Figuren, die – einsamen Comic-Heldinnen gleich – losgelöst im weltweiten Netz herumschweben. Melancholisch rührend sind aber die musikalischen Balladen des Darstellers Rafael Mörgeli, dessen Gitarrenakkorde noch lange nachklingen. Letztendlich besingt auch Mörgelis behutsame Stimme zeitlose Teenager-Sehnsüchte, wie schon in prädigitalen Epochen geliebt oder eben «ge-liked» zu werden.

Sascha Lara Bleuler
*1977, Schauspielausbildung am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York. Studium Anglistik, Filmwissenschaft und Fran­zösi­sche Literatur an der Universität Zü­rich. Lehrtätigkeit in Englisch, Filmtheorie und Schauspiel. Freie Journalistin für Filmzeitschriften. Kuratorin von Filmreihen. Programmation der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und des Dokumentarfilmfestivals Visions du Réel. Schauspielerin in Film- und Theaterproduktionen. Lebt in Zürich und Tel Aviv.
(Stand: 2017)
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