C’est ainsi que, pendant longtemps, quand, réveillé la nuit, je me ressouvenais de Combray, je n’en revis jamais que cette sorte de pan lumineux, découpé au milieu d’indistinctes ténèbres, pareil à ceux que l’embrasement d’un feu de Bengale ou quelque projection électrique éclairent et sectionnent dans un édifice dont les autres parties restent plongées dans la nuit [...].1
Dunkle Bilder und Bilder der Dunkelheit
Das Ende des Films Ali (2001) des US-amerikanischen Regisseurs Michael Mann ist ein geeignetes Beispiel, um die Dunkelheit in den kinematografischen Bildern in den Kontext des Themas «Ende» zu stellen. Die letzte Szene des Films zeigt den von seinen Freunden und Fans gefeierten Boxchampion Muhammad Ali (Abb. 1). Über einem mehrheitlich dunklen Hintergrund, der von strömendem Regen ungleichmässig durchbrochen wird, setzen sich fragmentarisch die Zuschauer und die Stadioarchitektur ab. Das Bild ist durch die Handkamera leicht verwackelt. Ali, rechts im Bild kadriert, wippt in Siegerpose auf den Banden des Boxrings. Es sind gegenständliche Bilder, die Teil der filmischen Diegese sind und illusionistisch wirken. Ich will sie als Bilder der Dunkelheit einer ersten Kategorie zuordnen. Nach etwa zehn Sekunden werden die Bewegungen von Kamera und Bildobjekten eingefroren. Dieses Freeze Frame, das den in Siegerpose erstarrten Boxchampion zeigt, wird kurz darauf in ein flächig wirkendes, einheitlich dunkles Bild ausgeblendet. Es gehört als Bild ohne Gegenstandsbezug in die zweite Kategorie: Dieses flächige und gleichmässig dunkle Bild markiert in vielen Filmen das Ende der Diegese und damit den Anfang des Abspanns. Es entspricht einer filmischen Konvention, dass vor, aber auch zwischen den einzelnen Bestandteilen des Abspanns, so zum Beispiel zwischen gegenständlichen Bildern und dem Anfang der Abspannschrift, solche dunklen Bilder dazwischengeschnitten werden.
Diese gleichmässig dunklen Bilder finden aber auch innerhalb des narrativen Teils des Films in Form von Schwarzblenden Verwendung. Ohne Gegenstandsbezug fungieren sie gemäss Christian Metz als Zeichen, die das Eintreffen einer kommenden oder das Ende einer vorangehenden Bildsequenz markieren.2 In den meisten Fällen wird damit ein Zeitsprung und/oder ein Ortswechsel markiert, oder allgemeiner: mit der Abblende wird das Ende einer Sequenz und mit der Aufblende der Beginn einer nächsten gekennzeichnet. Solche gleichmässig dunklen Bilder, wie die Schwarzblende, können aber auch gegenständlich sein und damit unmittelbar direkt Teil der Diegese. Erfasst die Kamera z. B. ein Objekt so nahe, dass es den Lichteinfall ins Objektiv verhindert, entsteht ein komplett dunkles Bild. Auch in Nachtszenen wird die Dunkelheit zum filmischen Motiv. In diesen Fällen bleibt das Bild jedoch meistens nicht ganz oder nur für sehr kurze Zeit gleichmässig und vollständig dunkel. Ein gleichmässig dunkles Bild muss darum nicht zwangsläufig ohne Gegenstandsbezug sein. Doch bleibt es uneindeutig, und das Entdecken eines ‹Sinns› oder einer ‹Bedeutung› fällt einem Betrachter schwer. Erst durch die Verbindung mit anderen Bildern lässt sich ein total dunkles Bild dechiffrieren. Der Sinn eines dunklen kinematografischen Bildes kann also erst durch die umgebenden Bilder ersichtlich werden.
Auf das dunkle Bild nach dem Freeze Frame folgt nach einigen Sekunden die Einblendung einer Schrift – es handelt sich dabei um biografische Daten des Protagonisten. Kurz darauf erscheint unter dem Text eine nächtliche Szene: die stark verlangsamte Szenerie einer urbanen Nacht, in der fragmentarisch jubelnde schwarzhäutige Menschen zu erkennen sind. Es folgen weitere Einstellungen von ähnlicher Motivik. Über diesen Einstellungen blendet die Schrift aus. Die nächtliche Szene bleibt noch kurz sichtbar, bis schliesslich auch sie ausblenden. Kurz darauf rollt der Abspann vom unteren Bildrand her ins Bildfeld (Abb. 2), und wenig später folgt die erneute Einblendung zweier weiterer, kurz aufeinanderfolgender Einstellungen von Nachtszenen (Abb. 3). Wieder wird die letzte dieser Einstellungen in Schwarz ausgeblendet. Der Abspann rollt nun während einiger Sekunden über dem neutralen, dunklen Hintergrund. Solche dunklen Bilder, die Teil der Abspannsequenzen sind und als neutrale Hintergrundflächen für Texteinblendungen dienen, zähle ich zur dritten Bildkategorie: Sie soll diejenigen Bilder umfassen, die zwischen den gegenständlichen Bildern und den Bildern ohne Gegenstandsbezug liegen. Die dritte Kategorie fasst also diejenigen dunklen Bilder zusammen, die auf den Produktionsprozess und damit auf die Gemachtheit des Films verweisen.
Auf diese nüchterne Hintergrundfläche folgt ein letztes Mal die Einblendung von weiteren Nachtszenen. Auch sie sind so dunkel, dass sich die Menschen und Objekte der abgebildeten urbanen Nacht nur knapp von der hier gegenständlichen Dunkelheit der Nacht abzeichnen. Gleichzeitig mit dem Ausblenden der Musik, die den gesamten Vorspann begleitete, rollen die letzten Texteinblendungen aus dem Bild. Gleich anschliessend und fast ohne Unterbruch, d. h. ohne dazwischenmontiertes Schwarzbild, erscheint das Logo der Produktionsfirma Peters Entertainment. Es wird kurz darauf wieder ausgeblendet, wobei das dunkle, gleichmässige Bild übrigbleibt. Im Falle einer Kinoprojektion endet dieses Bild mit dem Schliessen des Lichtkanals und dem damit gekoppelten Sich-Erhellen des Kinosaals. Dabei handelt sich also um das allerletzte Bild des Films, es markiert gleichsam das materielle Ende des analogen Films.3
Ambivalenz des dunklen Bildes
Michael Manns Ali beginnt so, wie er endet: mit einem gleichmässig dunklen und flach wirkenden Bild. Daraufhin folgt das Logo der Produktionsfirma Initial Entertainment Group. Wie bei vielen anderen Logos und Signeten der Filmindustrie inszeniert sich auch dieses als Lichterscheinung. Es versteht sich von selbst, dass dabei das Dunkel als zentrales dramaturgisches Element auftritt und als endloser Tiefenraum inszeniert wird, aus dem sich das Logo herausentwickelt. Im Laufe der Sequenz formt sich das Logo zum geschlossenen, aus einer gerahmten Schrift bestehenden Emblem, das sich vor einer leicht flackernden Lichtgloriole abhebt. Kurz darauf verdunkelt sich diese Gloriole, wobei sich Schriftzug und Rahmen noch für einen kurzen Moment von der das Bild langsam durchdringenden Finsternis abzuheben vermögen. Am Ende der Logosequenz ist alles in tiefer Finsternis verschwunden. Das letzte Bild dieser Logosequenz ist also wiederum ein gleichmässig dunkles Bild. An diesem Beispiel kann die variable Bedeutung dieses Bildtypus festgemacht werden: Obwohl die beiden Bilder einheitlich dunkel und somit rein visuell gesehen identisch sind, erscheinen die Dunkelheit vor der kurzen Logosequenz und die Dunkelheit an ihrem Ende unterschiedlich; allerdings wirkt das zweite Bild nicht flach, vielmehr birgt es den Eindruck einer unermesslichen Tiefe. Dass diese Dunkelheit quasi den Bildsinn der vorangegangenen Motivik ‹erben› konnte, hängt im Wesentlichen vom Übergang zwischen Logosequenz und dunklem Bild ab. Das kontinuierliche Abblenden der dargestellten Lichtquelle erzeugt eine homogene unversehrte Bildeinheit. Dieses daraus resultierende Dunkel ist als Teil der Kurznarration der Logosequenz, als eine direkte Reaktion auf das Auslöschen einer Lichtquelle nachzuvollziehen. Es ist deutlich: Die zweite Dunkelheit ist der gegenständlichen Bildsequenz zugehörig. Im Unterschied zum ersten dunklen Bild ist das zweite mit vorangehenden Bildern verbunden.
Nach der ausgeblendeten Logosequenz verändert sich das dunkle Bild für einige Sekunden nicht mehr, bis eine Texteinblendung den Beginn des Vorspanns markiert. Mit der Einblendung der Schrift und dem damit verbundenen ‹Formatwechsel› vom Filmproduzentenlogo zum Vorspann verändert sich die Eigenschaft der Dunkelheit erneut. Sie mutiert nun zur Fläche, zur idealen, diskreten Kontrastfläche für die Texteinblendung. Das vermeintlich gegenständliche Bild eines unendlichen Tiefenraums, hier am Beispiel der Logosequenz, kann sich durch Verschiebung des Bildkontextes unmittelbar in ein undurchsichtiges, flaches dunkles Bild verwandeln. Je nach Art der unmittelbar folgenden Szene kann also ein gegenständliches, dunkles Bild gleichzeitig auch als Abblende funktionieren. Ist die folgende Szene zum Beispiel einer anderen Ört- und/oder Zeitlichkeit zugehörig, markiert das dunkle gegenständliche Bild, wenn auch im Nachhinein, einen Szenenwechsel.
Mit Blick auf die Aufführungspraxis und das kinematografische Dispositiv lässt sich die Frage der dunklen Bilder weiterverfolgen. Filme werden üblicherweise in abgedunkelten Räumen – in Kinos – projiziert. Die Kinos weisen eine Vielzahl von baulichen und technischen Massnahmen auf, die darauf ausgerichtet sind, den illusionistischen Eindruck der filmischen Bilder nicht zu stören beziehungsweise ihn zu steigern. Dem Zuschauer soll der Blick auf eine äussere, filmisch virtuelle Welt ermöglicht werden. Alle Spuren, die die Künstlichkeit und Hergestelltheit dieser filmischen Illusion verraten könnten, sollen darum ausgeblendet werden. Auch das dunkle Bild im Kontext des illusionistischen Spielfilms unterliegt dieser Verschleierungstaktik. Die Schwarzbilder auf dem im Projektor eingespannten Filmstreifen verhindern, dass das helle Licht der Projektorenlampe ungehindert auf die Leinwand trifft und damit den dunklen Kinosaal erhellt und die Leinwand und Leinwandmaske sichtbar macht. Das dunkle Bild – auch dieses Bild wird zwar durch die stabile Lichtprojektion erhellt – ermöglicht gleichsam einen sanften Ausstieg aus der filmischen Illusion, zeitgleich oder kurz vor dem allmählichen Hellerwerden der Kinosaalbeleuchtung. Analog zu diesem letzten Bild ist auch am Anfang des Films das erste Bild vor der ersten Schrifteinblendung beziehungsweise vor der Einblendung der Logos von Verleiher und Produzenten ein solches dunkles Bild.
Nach dem Film wie auch vor Filmbeginn wird also versucht, das Medium respektive seine technisch-materielle Präsenz möglichst zu verbergen. Doch trotz maximierter Reduktion bleibt mit dem dunklen Bild eine letzte Spur sichtbar. Das Medium wird auf ein Minimum reduziert, es ist an einem Endpunkt angelangt, in dem im Bild weniger nicht mehr sein kann. Das dunkle Bild ist das Produkt einer asymptotischen Annäherung an die absolute Abwesenheit von Bildinformation.
Einerseits können also dunkle Bilder gegenständlich und damit als Teil der filmischen Diegese illusionistisch wirken. Der Betrachter dieser Bilder blickt durch die Dunkelheit hindurch in die jenseitige kinematografische Welt der filmischen Diegese. Andererseits sind dunkle Bilder aber auch opake Flächen, die quasi als vierte Wand den Blick in die filmische Diegese versperren. Der das Bild scannende Blick des Zuschauers, der nichts ausser der dunklen Lichtprojektion zu sehen vermag, gleitet widerstandslos, nach affizierenden Spuren suchend übers Bild. Der Betrachter wird gleichsam auf sich selbst und den realen Raum des Kinos zurückgeworfen. Das dunkle Bild mit seiner ambivalenten Bedeutung besitzt – so meine These – eine Scharnierfunktion. Es kann sowohl ein gegenständliches Bild sein und damit den Blick in die illusionistische Diegese des Films eröffnen beziehungsweise in einem illusionistischen Zusammenhang angesiedelt und zugleich, je nach Kontext, gleichzeitig leer sein, oder sich in ein solches verwandeln und damit den Betrachter aus der Diegese in den nüchternen, realen Raum des Kinos zurückversetzen.
Die Bedeutung der filmischen Dunkelheit ist ambivalent und ihre Wahrnehmung oszilliert zwischen reproduziertem Gegenstand und dunkler Fläche ohne Gegenstandsbezug. Eine Bedeutung, die auch dann variabel bleibt, wenn das Bild eindeutig innerhalb der filmischen Diegese angesiedelt werden kann. So sind die Nachtszenen oder die in Michael Manns Filmen wiederkehrenden Silhouettenbilder4 (Abb. 4) zugleich Teil der filmischen Diegese und mit ihren flach wirkenden dunklen Partien Annäherungen an den realen Raum des Kinos. Es sind Bilder, die in meinen Augen ein doppeltes Sehen voraussetzen: den Blick auf die Gemachtheit, die nüchternen technischen Apparate des Kinos, und gleichzeitig auf die illusionistische, magische Fiktion.
Stillstand und Lichtentzug
In den letzten Minuten von Ali lässt sich eine Bewegung aus der jenseitigen Welt der Diegese in den diesseitigen realen Raum des Kinosaals feststellen, ein Prozess, der als eine Art der Ernüchterung verstanden werden kann. Die Dunkelheit hat in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion, besonders durch die Verbindung zum Freeze Frame am Schluss der narrativen Bildsequenz und dessen Abblendung.
Das Freeze Frame, das den in Siegerpose erstarrten Ali zeigt (Abb. 1), verändert die Zeitlichkeit des Dargestellten und verleiht ihm damit eine ikonische Qualität. Der als Sieger erstarrte Ali wird quasi zum ‹ewigen Bild›, das pars pro toto die Essenz des Schicksals des Protagonisten und des Filmplots auf ein Bild zu reduzieren vermag. Mit dieser Geste bietet Mann den Zuschauern ein Bild, das den Film abschliessend in sich zusammenzufassen scheint. Zugleich markiert er damit den Beginn eines Prozesses der Entdiegetisierung und lässt den Zuschauer das nahende Ende des Films und den Beginn des Abspanns erahnen. Neben diesem sichtbaren Entzug der Bewegung bestätigen auch die Dramaturgie, der Stand der Narration sowie die bis zu dieser Szene vergangene Laufzeit diese Vermutung.
Der Entzug der Bewegung und damit der charakteristischen Eigenschaft des filmischen Bildes findet mit der nächsten Geste, der Reduktion des Lichts durch die Schwarzblende, eine Fortsetzung. In der Frühzeit des Kinos wurde das Bild häufig mit der sogenannten Irisblende, einer damals sehr beliebten Trickblende, verdunkelt. Dabei erfolgte die Verdunkelung des Bildes von den Bildrändern kreisförmig hin zur Bildmitte und wurde mittels des kontinuierlichen Schliessens der der Optik vorgelagerten Irisblende erreicht, zum Teil noch während der Dreharbeiten. Die ganz geschlossene Blende bewirkt, dass sich die lichtempfindlichen Silbersalze auf dem in der Kamera eingelegten Filmnegativ nicht verfärben beziehungsweise schwärzen können. In den Entwicklungsbädern der Filmlabors wird daraufhin die chemisch unveränderte Emulsion aus dem Filmnegativ ausgewaschen, und so bleibt ein transparenter Filmstreifen zurück. Im technischen Vorgang des Umkopierens – dabei wird das Filmnegativ in einen Positivfilm umgewandelt – trifft durch den nun komplett lichtdurchlässigen Film ein Maximum an Lichtstrahlen auf die wiederum lichtempfindliche Emulsion des Filmpositivs. Das Ergebnis ist ein dunkles, noch immer leicht lichtdurchlässiges Bild. Die Referenz der Dunkelheit im filmischen Bild ist also auch der unbelichtete, im Projektor eingelegte Positivfilm – la pellicule vierge, wie es Jacques Aumont formuliert.5 Der visuelle Eindruck der erwähnten Abblende aus Ali ist hingegen ein anderer. Bei dieser Abblende verdunkelt sich der gesamte Bildbereich, das Bild versinkt darum gleichmässig, wenn auch ungleichzeitig im Dunkel. Während sich die dunklen Bildpartien zuerst mit dem dunklen Grund verbinden, vermögen sich die hellen Partien noch etwas länger von der das Bild allmählich durchdringenden Dunkelheit abzuheben. Im Unterschied zu der sich quasi mechanisch über das Bild schiebenden Irisblende scheint in dieser Abblende der kontinuierliche Entzug des Lichtes gleichsam aus dem Bild selbst heraus zu geschehen. Diese Bilder werden nicht zugedeckt, vielmehr versinken sie, verschwinden, werden von Dunkelheit durchdrungen.
Am Ende des narrativen Teils von Ali werden den Bildern sowohl Bewegung als auch Licht entzogen. Dabei ist neben der Bewegung auch das Licht für die kinematografischen Bilder von existentieller Notwendigkeit. Es provoziert eine chemische Veränderung der Silbersalze in der Filmemulsion und bringt erst damit die sinnstiftenden und sinntragenden ‹Lichtspurbilder› aus der Dunkelheit hervor. Die Dunkelheit im filmischen Bild ist damit nichts anderes als eine Verbindung der chemisch unveränderten Silberbromide.
«plongées dans la nuit»6
Das vormals bewegte gegenständliche Bild gerinnt zunächst in der Zeit und gleitet durch die Abblende ins Dunkle. Diese Gleichmässigkeit der Abblendbewegung zeigt eine unversehrte Bildeinheit. Trotzdem wird damit ein Wechsel vom gegenständlichen Bild zur leeren, neutralen Fläche vollzogen. Die Spuren des Gegenständlichen verlieren sich, doch scheinen sie durch dieses kontinuierliche Versinken nicht komplett verschwunden zu sein, sondern vielmehr heimlich in diesem filmischen Endpunkt verborgen und damit latent präsent geblieben. Auch bei einem Übergang vom Freeze Frame zum dunklen Bild mittels eines harten Schnitts wäre dieser Eindruck der heimlichen Verborgenheit möglicher gegenständlicher Bilder im dunklen Grund nachvollziehbar. Die nüchterne Leere des unmittelbar anschliessenden dunklen Bildes erlaubt, provoziert sogar ein solches Erinnern an die vergangenen Bilder.
In einem 1935 erschienen Text über Mimikry beschreibt der französische Soziologe und Autor Roger Caillois den Verwandlungsprozess der Mimikry als ein Streben nach Gleichheit und zielgerichteter Angleichung an die Umgebung.7 Der Mimikry-Prozess der Assimilation kann mit dem Effekt der Abblende verglichen werden. Auch bei der Abblende handelt es sich um eine Anpassung der gegenständlichen Lichtspuren an einen Untergrund. Das Bild wird einheitlich flach, der illusionistische Tiefenraum wird nivelliert, der Vordergrund verschmilzt mit dem Hintergrund, alles scheint zu einem Bilduntergrund zu werden. Ein Angleichungsprozess, der im imaginären Raum der diegetischen Bilder beginnt, lässt sie entdiegetisierend zur vermeintlichen dunklen vierten Wand des Kinosaals werden und versetzt damit den Betrachter in den realen Raum zurück. Und doch bleibt der Zustand dieses Bildes unklar und diffus. Realer und imaginär-diegetischer Raum diffundieren in diesem Rahmen der Dunkelheit. In Anlehnung an die Analysen des russisch-französischen Psychiaters und Philosophen Eugène Minkowski schreibt Caillois:
Dunkelheit ist nicht einfach nur Abwesenheit von Licht, in ihr steckt etwas Positives. Während der helle Raum zurücktritt und die Materialität der Gegenstände hervortreten lässt, ist die Dunkelheit selbst «Stoff», sie berührt das Individuum direkt, hüllt es ein, durchdringt es und geht sogar durch es hindurch.8
Ernüchtert vom Effekt der Abblende findet der Betrachter im und mit dem dunklen Bild aus der imaginären Welt in den realen Raum des Kinos zurück. Das von Dunkelheit durchdrungene Bild bietet dem nun auf sich selbst zurückgeworfenen Betrachter die Möglichkeit, nachzudenken und das Vergangene zu rekapitulieren. Doch zugleich evoziert die tatsächliche, letztlich aber nur scheinbare Leere des Bildes auch eine Erwartungshaltung. Die Konvention von Mainstreamfilmen erlaubt diesem Bildzustand keine Langfristigkeit. Eine Änderung, und sei es nur, dass der Film zu Ende ist und der Kinosaal sich erhellt, ist in diesem dunklen Bild implizit enthalten. Bei zunehmender Dauer des sich nicht verändernden und damit vermeintlich stillstehenden Bildes steigt die Erwartung des Betrachters. Während des allmählichen Lichtentzugs und des damit einhergehenden Versinkens der Lichtspuren in der gegenstandslosen Finsternis wird die Dunkelheit im Bild zum imaginären Möglichkeitsraum. Im Laufe des Filmes wurde sie als ambivalente, veränderbare Fläche eingeführt, die in unterschiedlichsten Kontexten Verwendung findet und unvermittelt vom Bild eines illusionistischen Tiefenraumes zur opaken Grundfläche zu wechseln vermag. Diese, wie es scheint, potenziell absolute Wandelbarkeit wird eindrücklich mit den Nachtszenen thematisiert, die unter den Abspanntiteln eingeblendet werden (Abb. 2–3). Die allmählich aus dem Dunkeln aufscheinenden hellen Spuren der Bilder verweisen auf die Präsenz eines narrativen, illusionistischen Bildes. Doch da sie als Nachtbilder einen hohen Anteil an Dunkelheit aufweisen, bleiben sie fragmentarisch. Solche Bildmomente sind prekär: Sie sind zwar motivisch, aber die dunkeln Bildpartien wirken durch die vorangegangenen opaken Bilder zugleich gegenständlich als auch gegenstandslos-technisch. Beide Bildzustände scheinen im selben Bild verschränkt. Darüber hinaus wird mit dem Aufscheinen der motivischen Lichtspuren aus dem dunklen Grund eine quasi bedingungslose Abhängigkeit der motivischen Lichtbilder zur Dunkelheit markiert. Jacques Aumont dazu: «[...] dans tout film, on peut penser l’image comme ce qui s’arrache à un noir primordial, sous l’action d’une lumière – quelque chose comme une noirceur essentielle qui serait la réserve sans fin de toutes les images.»9 Die Dunkelheit wird also zur Grundfläche, aus der die filmischen Bilder gleichsam emergieren.
Zusammenfassend möchte ich das dunkle Bild als ein in höchstem Masse wandelbares Bild beschreiben. Es fungiert als Scharnierbild zwischen dem imaginären diegetischen Raum und dem realen Kinoraum. Die beiden Bildzustände sind ambivalent und diffundieren ineinander. Im Prozess der Entdiegetisierung enden die illusionistisch wirkenden Bilder im dunklen Bild, doch scheinen sie in einen dunklen Grund zu versinken, von Dunkelheit durchdrungen und damit heimlich latent präsent zu bleiben. In ihrem ambivalenten Verhalten wird die filmische Dunkelheit zur vermeintlich magischen Fläche, aus der sich die filmischen Bilder herausentwickeln, in die sie verschwinden und so zum Ausgangs- und Endpunkt der filmischen Bilder werden. Das dunkle Bild gelangt scheinbar an einen Endpunkt, aber es wirkt für den durch die Dunkelheit auf sich selbst zurückgeworfenen Zuschauer als ein neuer Möglichkeitsraum. Das dunkle Bild am Ende des Films markiert gleichsam als Auftakt den Beginn des individuellen reflexiven Nachlebens der kinematografischen Projektion beziehungsweise eröffnet einen imaginären Raum für weiterführende oder erinnernde, subjektiv vereinzelte Projektionen oder (Licht-)Gedanken. Das angehende Licht im Kinosaal nach dem Ende des Films verdrängt die Dunkelheit – doch währt die Nüchternheit nicht lange. Aus dem erhellten Kinosaal in die urbane Nacht entlassen, schlendert der Flaneur und sieht sich, durch die dezent oder berauschend erhellte urbane Dunkelheit, in die Atmosphäre von Filmstar und Happy End zurückversetzt.