RENÉ MÜLLER

DU BRUIT DANS LA TÊTE (VINCENT PLUSS)

SELECTION CINEMA

Laura ist Anfang dreissig und arbeitet nach einem Soziologiestudium in Kanada als Journalistin bei einer Genfer Zeitung. Doch sie steht nicht mit beiden Beinen im Leben, wie dies der erste Eindruck vermitteln könnte. Mit ihrem Job tut sie sich schwer und sie ist einsam. Eines Tages begegnet sie dem 18-jährigen Simon, einem einsilbigen Rumtreiber. Laura, die sich mit dessen jugendlicher Vogelfreiheit mehr zu identifizieren scheint als mit ihrem braven Büroalltag, nimmt Simon bei sich auf. Doch schon bald wird die fragile Beziehung auf die Probe gestellt: Laura verliert wegen einer Bagatelle ihren Job und sieht sich deshalb auch noch mit materiellen Ängsten konfrontiert. Als zudem Simons Onkel, ein undurchschaubarer Arzt, auftaucht und den Ausreisser zu seiner Mutter zurückbringen will, beginnt Laura immer mehr an ihrem Leben zu zweifeln.

Das titelgebende Rauschen im Kopf wird in Du bruit dans la tête als Stilmittel eingesetzt, um die Unsicherheit und Widersprüchlichkeit, aber auch die Fantasien der Hauptfigur zu veranschaulichen. Lauras Gedanken sind zeitweise auf der Tonspur genauso präsent wie die normalen Dialoge – sie reiben sich sozusagen an der (filmischen) Realität. Solche inneren Monologe könnten leicht zum prätentiösen Kunstgriff geraten, doch der Genfer Regisseur Vincent Pluss setzt sie sparsam und auf poetische Art und Weise ein, sodass sie dem bedrückten Grundton des Films entgegenwirken und der Sozialstudie eine gewisse Leichtigkeit und Verspieltheit gewähren.

Mit seinem zweiten Langspielfilm nach On dirait le sud (CH 2007) stellt Pluss erneut sein enormes Gespür für die Dramatisierung zwischenmenschlicher Beziehungen unter Be­weis. Indem er seine Schauspieler improvisieren lässt und mit unruhigen Handkamera- Bildern arbeitet, erschafft er trotz eines be- scheidenen Produktionsbudgets berührende Filme, die dank ihrer Originalität und Qualität weit über das durchschnittliche Schweizer Filmschaffen hinausragen. Vincent Pluss’ Figuren sind nie stereotyp, sondern vielschichtig und widersprüchlich – eine Herausforderung für Schauspieler und Publikum zugleich. Mit Celine Bolomey als Laura und Gabriel Bonnefoy als Simon hat Pluss eine hervorragende Besetzung gefunden – Bolomey wurde für ihre Leistung so auch als beste Schauspielerin 2008 mit dem Schweizer Filmpreis Quartz ausgezeichnet. Diese Auszeichnung ist mehr als verdient, haben Bolomey und Pluss mit Laura doch eine der spannendsten Figuren im Schweizer Film der letzten Jahre geschaffen.

René Müller
*1977, Studium der Filmwissenschaft, Publizistik und Neueren Deutschen Literatur in Zürich und Paris. Er ist beim Migros Museum für Gegenwartskunst für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Von 2007 bis 2012 Redaktionsmitglied von CINEMA.
(Stand: 2014)
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